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EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger.

© Wiktor Dabkowski/dpa

Exklusiv

EU-Haushaltskommissar Oettinger: „Würde die Bonität des Vereinigten Königreichs gefährden“

Der neue britische Premier Boris Johnson will die EU-Austrittsrechnung von 39 Milliarden Pfund nicht bezahlen. EU-Kommissar Oettinger weist die Drohung zurück.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat den britischen Premierminister Boris Johnson davor gewarnt, im Falle eines ungeregelten Brexit die milliardenschwere Austrittsrechnung nicht zu begleichen. „Wenn es ernst würde mit diesen Aussagen, dann würde dies die Bonität des Vereinigten Königreichs gefährden“, sagte Oettinger dem Tagesspiegel mit Blick auf eine entsprechende Ankündigung Johnsons.

Allerdings sei die von Johnson bei seiner Rede vor seinem Amtssitz in der Downing Street am vergangenen Mittwoch genannte Summe von 39 Milliarden Pfund „nicht mit uns abgestimmt“, sagte der Haushaltskommissar weiter.

Die offenen Beträge seien „haushaltsrechtlich belegbar und nachvollziehbar“. Zudem seien die Beträge von Johnsons Vorgängerin Theresa May akzeptiert worden. Falls sich Johnson tatsächlich weigern sollte, die Austrittsrechnung zu begleichen, würde er auch die künftige Zusammenarbeit mit der EU – etwa beim Forschungsrahmenprogramm Horizon – gefährden, warnte Oettinger.

Ohnehin darf bezweifelt werden, dass die von Johnson für die Austrittsrechnung genannte Summe von 39 Milliarden Pfund (umgerechnet rund 44 Milliarden Euro) noch aktuell ist.

Der Grund: Je länger Großbritannien in der Europäischen Union bleibt und die finanziellen Verpflichtungen aus dem laufenden EU-Haushaltsrahmen erfüllt, umso mehr schmilzt die Abschlussrechnung. Nachdem der ursprünglich für Ende März vorgesehene Brexit bereits zweimal verschoben wurde, ist inzwischen in Brüssel von einer Austrittsrechnung von gut 40 Milliarden Euro die Rede.

Nordirland-Regelung ist für die EU nicht verhandelbar

Mit der Drohung, die fällige Austrittsrechnung nicht zu begleichen und das Geld stattdessen in britische Unternehmen zu stecken, möchte Johnson seine Entschlossenheit unterstreichen, es gegebenenfalls auf einen No-Deal-Brexit ankommen zu lassen.

Johnson sieht dabei den Ball jetzt im Feld der EU. Die Europäische Union, so lautet die Lesart des neuen britischen Premiers, solle sich bewegen und den so genannten Backstop im Austrittsvertrag aufgeben.

Die EU ist allerdings nicht bereit, sich darauf einzulassen. Die Forderung, ein neues Austrittsabkommen ohne den Backstop auszuhandeln, sei „inakzeptabel“, erklärte der EU-Chefverhandler Michel Barnier in einem Schreiben an die EU-Mitgliedstaaten.

Mit dem Backstop soll verhindert werden, dass in der einstigen Bürgerkriegsregion zwischen Nordirland und der Irischen Republik wieder eine „harte Grenze“ entsteht. Laut der im Austrittsvertrag vorgesehenen Regelung soll Nordirland bis auf Weiteres weitgehend im EU-Binnenmarkt bleiben. Dies lehnen die Brexit-Ultras allerdings ab.

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte deutlich, dass sich die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten nicht auf ein Aufschnüren des Austrittsvertrages einlassen würden.

In seinem ersten Telefonat mit Johnson seit dessen Ernennung zum Premierminister erklärte der Chef der Brüsseler Behörde am Donnerstag, dass der bestehende Austrittsvertrag „die beste und einzig mögliche Vereinbarung“ sei. Mit anderen Worten: Der Backstop ist für die EU nicht verhandelbar.

Macron lädt Johnson nach Frankreich ein

Am Freitag ergänzte eine Sprecherin der EU-Kommission, es gebe derzeit keine Planungen für ein Treffen zwischen Juncker und Johnson. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den neuen Hausherrn in der Downing Street hingegen zu einem baldigen Besuch nach Berlin eingeladen. Auch der Elysée-Palast in Paris teilte mit, dass Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron den britischen Premier bei einem Telefonat am Donnerstagabend zu einer Visite nach Frankreich eingeladen habe, die „in den nächsten Wochen“ stattfinden soll.

Spekulationen über Neuwahlen

Angesichts solcher Planungen dürfte den verantwortlichen Politikern auf dem Kontinent allerdings auch klar sein, dass das Chaos in der britischen Innenpolitik auch demnächst noch für einige Überraschungen gut sein könnte. Wie Barnier in seinem Brief an die EU-Mitgliedstaaten hervorhob, hat Johnsons erste Rede im Unterhaus heftige Kritik bei der Opposition hervorgerufen.

Angesichts der Spekulationen, dass Johnson wegen der fehlenden Mehrheit für seinen harten Brexit-Kurs im Unterhaus schon im Herbst Neuwahlen anstreben könnte, empfahl Barnier, nach dem Auftritt des Premiers im Parlament die „weiteren Reaktionen aus der Politik und der Wirtschaft sowie die Entwicklungen im Vereinigten Königreich“ genau zu verfolgen.

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