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Auch im Frankfurter Bankenviertel gingen Europafreunde am Sonntag auf die Straße.

© Andreas Arnold/dpa

EU-Demonstrationen: Europa als Wohlfühlprojekt reicht nicht aus

Blau mit gelben Sternen ist zum Synonym geworden für eine progressive kosmopolitische Einstellung. Das hat Vorteile – ist aber nicht ohne Risiko. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Blau mit zwölf gelben kreisförmig angeordneten Sternchen: Das Symbol Europas war am Sonntag in Berlin und sechs weiteren deutschen Großstädten mehr als präsent, als zehntausende Menschen unter dem Motto „Ein Europa für alle. Deine Stimme gegen Nationalismus“ demonstriert haben. Und vielleicht kamen nach Strache-Video und Regierungs-Aus in Österreich noch ein paar mehr, als das ursprünglich geplant hatten.

Blau mit gelben Sternchen war als Flagge zu sehen, als Wimpel, Tasche, als Schminke mitten im Gesicht, auch als modisches Statement, als Aufdruck auf Kapuzenpullovern, T-Shirts, Jogginghosen und Socken ist es zu haben, und oft wird das Motiv noch mit einem Herz garniert.

Diese Art Farbe zu bekennen ist zu einem Synonym geworden für eine progressive, kosmopolitische Einstellung. Es sagt: Seht her, ich bin einer von den Guten. Damit hätte sich die Reaktion der Straßen den Europawahlparolen vieler Parteien angenähert. Europa ist die Antwort, plakatiert die SPD, deren Spitzenkandidatin auf den Plakaten ebenfalls mit Europa-Kapuzenpullover zu sehen ist. Und was waren grad nochmal die Fragen?

Wohlfühleuropäer streiten nicht um Inhalte – sollten sie aber

Politische Symbole waren schon immer mit einem Anspruch auf Deutungshoheit verbunden. Einst waren das Friedenstaubenmotive, „Atomkraft, nein danke!“-Buttons oder Che-Guevara-Shirts. Sie standen für Pazifismus, Ökologie oder revolutionäre Gesinnung.

Wofür die Europaflagge inhaltlich steht, ist dagegen vergleichsweise unbestimmt. Eher scheint es um ein diffuses, ein vor allem emotionales Dazugehören, den Wohlfühlfaktor des Dabeiseins zu gehen. Blau-gelb als der kleinste gemeinsame Nenner. Etwas zum lieb haben, auf das sich sehr viele einigen können.

Das ist insofern gut, als dass das eine niedrigschwellige Einladung zum Mittun ist. Wer heute „nur“ im feschen Europa-Shirt demonstriert, interessiert sich morgen vielleicht für Brüssels politische Arbeit. Und es ist zugleich riskant, als die Kluft, die zwischen diesen beiden Polen klafft, zu groß werden könnte. Wie frustrierend, eben noch begeistert „dafür“ gewesen zu sein – und dann feststellen zu müssen, dass auf der politischen EU-Ebene gegen die eigenen Vorstellungen entschieden wird. So kann die zu schlichte europäische Symbolik gefährlich überdehnt werden.

Das Wohlfühleuropäertum, das ist der Vorteil, muss nicht um die Ausrichtung streiten. Die europäische Einigung ein Prozess voller komplexer Antagonismen. Für das Überwinden der aktuellen Krise wird es Ausdauer und inhaltliche Auseinandersetzung bedürfen.

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