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Kunstprodukt des Internets: Die Influencerin Shirin David.

© Henning Kaiser/dpa

Eskalation durch Instagram: Der Druck der freien Bilderwelt

Die Instagram-Welt ist ein fulminantes Kunstprodukt, aber ein unkuratiertes. Wir sollten die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Nach Thigh Gap, Bikini Bridge und Collarbone Challenge wurde das Jedermann-Abc der Summer Hotness zuletzt noch um Ab Cracks erweitert, was sicher manche ins Schwitzen gebracht hat, auch wenn die Temperaturen zuletzt gesunken sind. Wer jetzt fragt, was das hier alles heißen soll, wurde von der ständig wachsenden Instagram-Welt, der bis 2022 eine Milliarde Nutzer vorhergesagt wird, offenbar noch nicht aufgesogen.

Es ist eine Welt, in der unglaubliche Karrieren gestartet und Identitäten erfunden werden. Darin liegt eine große Freiheit für die, die den Input liefern – und ein Risiko für die, die ihn konsumieren. Bei Instagram treten zu Selbstvermarktungszwecken viele junge Frauen auf, deren Welt auch aus manipulierten und nachbearbeiteten Fotos besteht, welche im Ergebnis eine einzige Übertreibung sind: die Wimpern zu dicht, die Fingernägel zu lang, die Zähne zu weiß, die Lippen zu voll, die Busen zu groß, die Taillen zu schmal, die Beine zu lang.

Ein Star dieser Bilderwelt ist Shirin David, die ihren 4,9 Millionen Abonnenten jetzt ein Hip-Hop-Album aufgenommen hat, das ebenfalls der Oberflächlichkeit huldigt. So singt sie in einem Video beim Blick in den Spiegel: „Das ist kein Outfit, Baby, das ist Kunst.“

Was aber ist, wenn das niemand mehr glaubt? Wenn das Nacheifern die Freiheit schlägt? Shirin David hat die von ihr singend behauptete Grenze zwischen Outfit und Kunst fast vollständig aufgelöst. Wer sie als Jurorin in der DSDS-Show von Dieter Bohlen gesehen hat, sah eine lebende Kunstfigur.

Und wer die Videos ihrer Pre-Listening-Sessions für das Debütalbum anklickt, sieht im Publikum lauter Shirin Davids, mal kleiner, mal größer, mal heller, mal dunkler, aber alle sehr künstlich und sehr ähnlich. Trennen sie zwischen Outfit und Kunst?

Anzeichen für Defizite bis zur Unterernährung

Wenn aus Kunstwelten Kunstwörter herausploppen, werden sie real und entfalten in der wirklichen Welt Wirkung. Der Thigh Gap, die Lücke zwischen den Oberschenkeln, wenn jemand mit geschlossenen Beinen dasteht, kann als Schönheitsideal einen Anspruch behaupten, seit es die Bezeichnung dafür gibt.

Dasselbe gilt für die Lücken zwischen über die Hüften gespannten Bikinihosen und Bauchdecke, den Schlüsselbeinkuhlen, in denen Münzen gestapelt werden, oder die Ad-Crack-Spalte im oberen Bauchmuskel.

Erst der massenweise Hinweis mit dem millionenfach verbreiteten Bild gebiert den Druck zum Kontrollblick auf den eigenen Körper, den Druck, ihn anzupassen an das, was promotet wird. Das Bedenkliche daran ist, dass die obigen Merkmale, wenn man den dazu laut gewordenen Stimmen aus der Medizin folgt, Anzeichen für körperliche Defizite bis hin zur Unterernährung sind. Also wahrlich nichts Nachahmenswertes.

Gleichwohl ist ein Aufschrei, wie er noch den Fernsehstart der Modelshow von Heidi Klum begleitete, nicht mehr gehört worden. Stattdessen kamen die hippen Insta-Anglizismen spätestens im nun endenden Sommer im Mainstream an.

Was von den Gaps und Bridges und Collarbone-Münzsammlungen echt ist und was Fake, was ernst gemeint und was ironisiert, ist schwer auszumachen. Die Instagramwelt ist ein fulminantes Kunstprodukt, aber ein unkuratiertes. Schlüsse daraus zu ziehen bleibt der Verantwortung des Publikums überlassen. In der Onlineparallelwelt der Wörter war das Ergebnis dieser Freiheit die Eskalation.

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