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Mit Kopftuch die Welt erklären - in Berliner Schulen bislang ausgeschlossen

© Getty Images/iStockphoto Zurijeta - iStockphoto

Urteil zum Kopftuch in Berliner Schulen: Es wurde zu viel neutralisiert

Künftig könnten Lehrerinnen mit Kopftuch in Klassenzimmern auftauchen - wenn der Senat mitmacht. Das neue Urteil ist eine Chance. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Berliner Senat wollte eine abschließende Klärung, nun bekommt er sie. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat den Entschädigungsanspruch einer Lehrerin bestätigt, die wegen ihres Kopftuchs abgelehnt worden war. Nur durch die juristische Brille betrachtet, könnte es damit sein Bewenden haben. Zahlt man eben. Auf die paar Tausender kommt es nicht an.

Doch erledigt ist damit nichts. Das so genannte Neutralitätsgesetz, das mit bundesweit einmaliger Härte Beschäftigten im Lehrberuf, in Polizei und Justiz jegliches religiöses Selbstzeugnis untersagt, hat mit dem Urteil eine weiche Stelle bekommen. Es könnte sein, dass bald auch in der Hauptstadt die erste Lehrerin mit Kopftuch an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet.

Könnte. Es bedürfte dafür allerdings der Abkehr von einem politischen Weg, den die SPD, anders als der grüne Partner, bisher um keinen Preis verlassen will. Mit dem Neutralitätsgesetz, so dachte man nach der Jahrtausendwende, würde man Integration trotz kultureller und religiöser Diversität zumindest in besonders repräsentativen Bereichen des Staatsdienstes gewissermaßen verordnen können. Gerecht und für alle gleich: Keine religiösen Symbole, egal ob Juden, Christen oder Muslime, egal ob Kreuz, Kippa oder Kopftuch. Das galt als fortschrittlich und fand Applaus auch bei Linken und Liberalen.

Verbote sind nur möglich, wenn Ungemach droht

Tatsächlich verband sich mit der scheinbar neutralen Aussage des Neutralitätsgesetzes ein faktisches Berufsverbot für muslimische Frauen, die das Tuch als Teil ihrer Persönlichkeit und Ausdruck religiöser Überzeugung tragen. Bedenken, dies strapaziere das einschlägige Grundrecht auf Religionsfreiheit über das zulässige Maß, wurden ebenfalls neutralisiert.

Zu verdanken war das alles auch einer ungenügenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die das Auftauchen des Kopftuchs im Lehramt als Gefahr beschrieb. Doch vor einigen Jahren korrigierte Karlsruhe die Ansage. Seitdem können pauschale Verbote nur noch begründet werden, wenn der Schulfrieden in Gefahr gerät. In eine konkrete Gefahr. Es muss also echtes Ungemach drohen.

Es liegt ein Verhängnis darin, dass die Verantwortlichen seitdem viel dafür getan haben, solche Gefahren herbeizureden. Die Bildungssenatorin beauftragte eigens einen Gutachter, der in seinem Werk sämtliche Klischees versammelte, die man sich vom muslimischen Leben in Berlin machen kann. Tatsächlich waren und sind keine Gefahren bekannt oder erkennbar, wenn eine Lehrerin mit Kopftuch einen Klassenraum betritt. Nicht in Berlin, nicht in anderen Bundesländern. Statt sich mit solchen Tatsachen zu beschäftigen, wurden Vorurteile gefestigt.

Das Fremde wird Alltag - nichts anderes ist mit Integration gemeint

Wenn sich Senatorin und Regierender weiter auf dem richtigen Weg glauben, schulden sie Belege. Allerdings bietet sich jetzt, mit höchstrichterlicher Hilfe, auch die Chance, neue Pfade einzuschlagen. Schülerinnen und Schüler mit muslimischen Lehrerinnen zusammenzubringen, birgt Möglichkeiten zum Dialog und Aussicht auf Gewöhnung.

Das Fremde wird Alltag – nichts anderes ist es, was sich hinter dem Soziologenwort Integration versteckt. Zugleich spricht man allen gleichermaßen damit Vertrauen aus, statt die einen zu bevormunden und die anderen zu verdächtigen. Die Politik darf von den Menschen, auch von jungen, eine gewisse Reife erwarten. Die Menschen von der Politik allerdings auch.

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