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Hitzacker liegt in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben.

© Philipp Schulze/dpa

Hitzacker in Niedersachsen: Ermittlungen gegen 55 Linke nach Demo vor Haus eines Polizisten

Die Polizei sieht im Protest in Hitzacker eine neue Dimension der Gewalt, die Demonstranten sprechen von friedlichem Gesang - und erwägen selbst rechtliche Schritte.

Nach der Belagerung des Hauses eines Polizeibeamten im niedersächsischen Hitzacker ermittelt die Polizei gegen 55 Beteiligten aus der linken Szene. Den teils vermummten Demonstranten wird Beleidigung, Bedrohung, Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen, teilte die Polizei in Lüneburg am Dienstag mit. Allerdings gibt es zwei ganz unterschiedliche Versionen der Vorgänge.

Die Demonstranten sprechen von friedlichem Gesang und einer Überreaktion der Beamten. Sie erwägen rechtliche Schritte gegen den Einsatz und denken, dass die Vorfälle aufgebauscht werden, um Verschärfungen im neuen Landespolizeigesetz zu rechtfertigen. Die Polizei sieht eine neue Dimension der Gewalt.

Übereinstimmung besteht, dass sich Freitag gegen 20 Uhr 60 bis 80 teils vermummte junge Leute – unter ihnen auch Straßenmusiker der Kombo „Rotzfreche Asphaltkultur“ – vor dem Grundstück des Polizisten Olaf H. versammelten. Sie sind mit Autos aus dem rund 30 Kilometer entfernten Gorleben gekommen, wo am Nachmittag 2000 Menschen friedlich gegen die Atomanlagen protestiert haben. In Gorleben ist an diesem Tag auch H. eingesetzt, im Haus befinden sich abends seine Frau und die beiden Kinder des Paares.

Einige Demonstranten hissen auf der Wiese vor dem Grundstück eine Fahne mit dem Emblem der syrisch-kurdischen Miliz YPG, andere befestigen am Carport weitere pro-kurdische Flaggen. Gleichzeitig stimmen die Aktivisten Sprechchöre und Lieder an. „Wir haben fröhlich und bestimmt vor seiner Hütte gesungen“, schildert eine Frau, die sich Mike nennt.

Die Polizei spricht von „lautstarker Stimmungsmache“ und dem Versuch, „die allein anwesende Familie des Polizeibeamten einzuschüchtern“. Olaf H. gehört zur Staatsschutzabteilung der Polizei Lüneburg. Der Beamte malträtierte seit Monaten linke Projekte im Wendland, heißt es in einer Mitteilung des Gasthofs Meuchefitz, der sich als „Anlaufpunkt für die Alternativszene“ von Gorleben bezeichnet. H. sei auch an einem umstrittenen Einsatz in Februar beteiligt gewesen, als ein YPG-Transparent von der Fassade der Kneipe entfernt wurde. Danach veröffentlichten linksradikale Internetforen den vollen Namen des Beamten und seine Adresse.

Demonstranten werden der Polizei Gewalt vor

Nach Bekanntwerden der Demo machte sich eine aus Gorleben abgezogene Einheit auf dem Weg nach Hitzacker, auch H. fuhr mit. Die Demonstranten zogen sich zurück – gerieten aber in der Innenstadt gegen 20.45 Uhr mit den Beamten aneinander. Polizeisprecher Kai Richter spricht von „Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen“.

Die Beamten hätten ohne Vorwarnung auf die Menschen eingeschlagen, so schildern es Demonstranten. Ein junger Mann, der sich Andreas nennt, sagt: „Die haben mich einfach umgerissen und dann weiter auf mich eingeschlagen, als ich schon da lag.“ Von den Polizisten sei nur H. unvermummt gewesen, er „trat in Rage auf am Boden liegende Personen ein.“ Die Polizei wies die Darstellung zurück.

Der Rechtsstaat dürfe sich das Einschüchtern und Schikanieren von Polizisten nicht bieten lassen, erklärte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) bezeichnete den Vorfall als eine „unfassbare Grenzüberschreitung“, die so nicht hingenommen werden könne.

Auch etliche Grünen-Politiker distanzierten sich von der Demonstration. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Alexander Zimbehl, forderte, dass persönliche Daten von Polizeibeamten nicht mehr auf Anfrage von den Meldebehörden herausgegeben werden dürfen. Das Bundesmeldegesetz müsse dahingehend geändert werden, dass Polizeidienststellen für alle ihre Beschäftigten einen Sperrvermerk eintragen lassen könnten.

Nicht erstes Mal, dass Polizisten privat angegangen werden

Der Vorfall in Hitzacker ist nicht das erste Mal, dass Polizisten von der linken Szene in ihrer Privatsphäre angegangen werden. Zuletzt hatten Berliner Linksautonome Ende 2017 Bilder von 54 Berliner Polizisten veröffentlicht, die an Räumungen in Häusern teilgenommen haben sollen: „Wir freuen uns über Hinweise, wo sie wohnen oder privat anzutreffen sind“, hieß es auf einer linken Webseite.

In Göttingen verübten 2014 mutmaßlich linksextreme Täter einen Brandanschlag auf das Privatauto eines Polizisten einer damals in Zusammenhang mit einer Abschiebung in die Kritik geratenen Polizeieinheit. Nach Angaben des Landeschefs der Gewerkschaft der Polizei, Dietmar Schilff, fotografierten Mitglieder der linken Szene bereits in den 80er Jahren in Göttingen Polizisten bei Einsätzen, um die Fotos in Szenekneipen auszuhängen.

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