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Der türkische Präsident Erdogan.

© Murat Cetinmuhurdar/PPO/Handout via REUTERS

Israel? „Terror-Staat“: Erdogan präsentiert sich als Fürsprecher der Palästinenser

Der türkische Präsident träumt von der Entsendung seiner Soldaten nach Gaza. Seine Anhänger sind begeistert. Die US-Regierung nennt ihn „antisemitisch“.

Israel? „Terror-Staat.“ Österreich? „Ich verfluche diesen Staat.“ USA? „Biden hat Blut an den Händen.“ Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan präsentiert sich im aktuellen Konflikt in Gaza als Fürsprecher der Palästinenser und klagt den Westen an.

Erdogan, der innenpolitisch angeschlagen ist, weiß bei diesem Thema die Mehrheit der Türken hinter sich. Anhänger des Präsidenten träumen in osmanischer Nostalgie von der Entsendung türkischer Soldaten nach Gaza, um die Palästinenser gegen Israel zu verteidigen. Doch in Wirklichkeit kann die Türkei wenig tun, um die Ereignisse im Nahen Osten zu beeinflussen.

Das Schicksal der Palästinenser ist in der Türkei ein emotionales Thema. Für die allermeisten Türken ist der Nahost-Konflikt ein ungleicher Kampf, in dem die Palästinenser gegen Israel keine Chance haben und von der Weltgemeinschaft im Stich gelassen werden.

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Im verklärten Blick auf die eigene Geschichte erscheinen die Jahrhunderte der Osmanenherrschaft über den Nahen Osten vielen Türken als glückliche Zeit. Muslime, Juden und Christen hätten dort harmonisch zusammengelebt, sagte Erdogan am Montag

Der Präsident nutzt den anti-israelischen Konsens in der Bevölkerung, um sich als Landesvater zu präsentieren. Seine Regierung steht wegen der schlechten Wirtschaftslage, einer schleppenden Corona-Impfkampagne und Vorwürfen von Korruption und Vetternwirtschaft unter Druck. Der Gaza-Konflikt bietet Erdogan nun die Gelegenheit, die Türken hinter sich zu scharen.

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Die ganze Türkei stehe an der Seite der unterdrückten Palästinenser, sagte der Präsident. Dagegen unterstütze der Westen den „Terror-Staat“ Israel. „Ich verfluche den österreichischen Staat“, sagte Erdogan als Reaktion darauf, dass die israelische Flagge auf dem Wiener Kanzleramt gehisst wurde. Weil Österreich am Völkermord der Nazis an den Juden beteiligt gewesen sei, sollten nun die Muslime die Rechnung bezahlen, sagte er.

Erdogan schlägt internationale Schutztruppe vor

Erdogan kritisierte auch die USA wegen ihrer Waffenlieferungen an Israel. Bei einem Treffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (IOC), einem Zusammenschluss aus 57 muslimischen Staaten, schlug Erdogans Regierung vor wenigen Tagen eine internationale Schutztruppe islamischer Länder für den Gaza-Streifen vor.

Erdogans Anhänger sind begeistert. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ berichtete am Dienstag, neben der Türkei könnten der Iran, Pakistan und Katar führende Rollen in der Gaza-Truppe übernehmen. Teilnehmer anti-israelischer Demonstrationen vor israelischen Einrichtungen in der Türkei forderten die Entsendung türkischer Soldaten nach Gaza und Jerusalem.

Die Erdogan-treue islamistische Zeitung „Yeni Akit“ erinnerte ihre Leser daran, dass Palästinenser im Ersten Weltkrieg auf der Seite der Osmanen gegen den Westen gekämpft hätten.

Die Türkei als neo-osmanische Ordnungsmacht in der Region – das würde den außenpolitischen Ambitionen der Erdogan-Regierung entsprechen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte, die Gemeinschaft der Muslime erwarte Führungsstärke von der Türkei.

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Allerdings sind die Pläne für eine islamische Gaza-Truppe völlig unrealistisch. Israel würde dem Vorhaben niemals zustimmen, und auch ein UNO-Mandat dafür ist ausgeschlossen. Gegen den Willen Israels und der UNO ist der Truppeneinsatz erst recht unmöglich, denn weder die Türkei noch ein anderer islamischer Staat würde wegen der Palästinenser einen Krieg gegen Israel – und damit auch gegen den USA – riskieren.

Erdogan gefährdet eine Wiederannäherung an Europa

Auch politisch kann die Türkei wenig ausrichten. Ankara hat bisher weder die israelischen Angriffe in Gaza noch die Waffenlieferungen für Israel stoppen können. Ein Versuch Erdogans, Papst Franziskus für Sanktionen gegen Israel zu gewinnen, scheiterte ebenfalls. In einem Telefonat mit Franziskus sagte Erdogan nach Angaben des türkischen Präsidialamtes, die internationale Gemeinschaft müsse Israel bestrafen. Doch der Papst ignoriert Erdogans Ruf nach Sanktionen.

Bei den diplomatischen Bemühungen um eine Waffenruhe für Gaza ist die Türkei außen vor: Die UNO, die USA und Ägypten geben den Ton an. Insbesondere die Regierung in Kairo kann auf einen internationalen Prestigegewinn hoffen. Ägypten habe die besten Kontakte, sagte ein israelischer Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters.

Dagegen gefährdet Erdogan mit seinen Schimpftiraden gegen Israel und den Westen seine vorsichtige Wiederannäherung an Europa und die USA. Die österreichische Regierung bestellte am Dienstag nach Erdogans „Fluch“ den türkischen Botschafter ein. Außenminister Alexander Schallenberg kritisierte, Erdogans Kurs führe in eine Sackgasse: „Mit Schaum vor dem Mund wird sich der Nahost-Konflikt nicht lösen lassen.“

Die US-Regierung wiederum kritisierte Erdogans Äußerungen über die israelischen Luftangriffe als "antisemitisch". "Die Vereinigten Staaten verurteilen die jüngsten antisemitischen Äußerungen von Präsident Erdogan über das jüdische Volk auf das Schärfste und schätzen sie als verwerflich ein", erklärte der Sprecher des Außenministeriums in Washington, Ned Price, am Dienstag. "Wir fordern Präsident Erdogan und andere türkische Politiker auf, aufwieglerische Bemerkungen zu unterlassen, die zu weiterer Gewalt anstacheln könnten", fügte Price hinzu.

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