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Präsident Erdogan lässt sich sehr ungern kritisieren.

© Umit Bektas/Reuters

Türkei in der Krise: Erdogan - der Dünnhäutige

Präsident Erdogan verschärft die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei. Auch ausländische Journalisten sind betroffen. Das ist ein Wendepunkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Seibert

Es gab mal eine Zeit, da wollte die Türkei unbedingt ausländische Journalisten im Land haben. In den 1990er Jahren bemühte sich der damalige Präsident Turgut Özal, westliche Reporter anzulocken, weil er der Meinung war, dass so die Politik der Türkei im Ausland besser erklärt werden könne.

Özals Nachfolger Recep Tayyip Erdogan erweckt dagegen den Eindruck, als wolle er westliche Journalisten so schnell wie möglich loswerden. Die Verweigerung von Pressekarten für die Korrespondenten von „Spiegel“ und „Welt“, Hasnain Kazim und Deniz Yücel, sind nur das jüngste Beispiel.

Ankara wittert Verschwörung

Erdogan ist bekannt dafür, dass er sehr dünnhäutig auf Kritik reagiert – die Zahl von fast 2000 Verfahren wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung in nicht einmal zwei Amtsjahren ist ein eindrucksvoller Beleg dafür. Bisher hatten vor allem regierungskritische Medien und Journalisten in der Türkei selbst unter dem Druck zu leiden. Gegen den Chefredakteur der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, reichte Erdogan gleich selbst Strafanzeige ein. Dündar soll nach dem Willen des Präsidenten und der Staatsanwaltschaft lebenslang ins Gefängnis.

Bisher wurden ausländische Journalisten weitgehend in Ruhe gelassen, doch damit ist es offenbar vorbei. Einige Berater Erdogans sehen die Türkei als Opfer einer groß angelegten Verschwörung ausländischer Kräfte.

Harter Kurs

Die Türkei bewegt sich auf die Erstarrung in einem autoritären System zu. So will Erdogan jetzt durch eine Gesetzesänderung erreichen, dass auch gewaltlose Aktionen und Meinungsäußerungen als Terrordelikte bestraft werden können. Jeder, der nicht für mich ist, ist gegen den türkischen Staat, lautet Erdogans Linie.

Die vorgeschlagene Gesetzesreform zum Terrorismus-Begriff ist mehr als nur eines von vielen Beispielen für Erdogans harten Kurs. Das Vorhaben ist ein Wendepunkt, denn der Plan geht an die Wurzel der Reformpolitik der Erdogan-Partei AKP im vergangenen Jahrzehnt. Damals trat die AKP an, um die Türkei zu demokratisieren – ein Land, in dem Journalisten schon ins Gefängnis wanderten, wenn sie PKK-Chef Abdullah Öcalan nur erwähnten. Unter dem Vorwurf der Verbreitung terroristischer Propaganda konnte alles Mögliche bestraft werden. Erdogan will die bahnbrechenden Reformen seiner Partei nun kassieren und die alten Zustände wiederherstellen.

Kaum Widerstand

Von der Justiz ist kaum Widerstand zu erwarten. Tausende Richter und Staatsanwälte wurden in den vergangenen zwei Jahren gefeuert und durch regierungsnahe Juristen ersetzt. Nur die Richter am Verfassungsgericht, die mehrheitlich von Erdogans Vorgänger, dem Reformer Abdullah Gül, eingesetzt wurden, bieten dem Präsidenten noch die Stirn. Doch auch da will die Regierung mit neuen Gesetzen Abhilfe schaffen.

Für Journalisten bedeutet das, dass der Druck in den kommenden Monaten noch zunehmen könnte. Deutschland und andere westliche Länder haben kaum Möglichkeiten, auf die türkische Regierung einzuwirken. Angela Merkel setzte sich in den vergangenen Monaten persönlich bei Davutoglu für die bedrängten deutschen Reporter ein: diskret, hinter verschlossenen Türen – und am Ende vergeblich.

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