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Ortstermin mit Helmut Schmidt: Er zieht

Helmut Schmidt zieht Bilanz. Der Altkanzler, der von sich sagt, ein Angestellter Deutschlands mit täglicher Kündigungsgefahr gewesen zu sein, absolviert einen Parforceritt durch die gesamte Weltpolitik - lässt aber Deutschland nie aus den Augen.

Eine ganze Dreiviertelstunde musste Helmut Schmidt ausharren. Dabei sah der Altkanzler ihn schon, den Aschenbecher auf dem kleinen Tisch neben ihm. Doch erst als Moderator Claus Kleber ihn darauf hinwies, dass er ruhig auf der Bühne des Berliner Ensembles rauchen dürfe, gab es kein Halten mehr. Es blieb aber bei einer Zigarette an einem Abend, bei dem es eigentlich um Schmidts neues Buch „Außer Dienst“ gehen sollte.

Vordergründig ging es das auch, aber es wurde viel mehr daraus. Der Altkanzler, der von sich sagte, ein Angestellter Deutschlands mit täglicher Kündigungsgefahr gewesen zu sein, absolvierte am Mittwochabend einen Parforceritt durch die gesamte Weltpolitik. Die atomare Bedrohung, der Afghanistan-Einsatz, die Russlandpolitik, die US-Präsidentschaftswahlen und religiöse Konflikte handelte Schmidt mit spitzen Kommentaren und gewohnt scharfer Analyse ab. So beklagte er, dass weder Bischöfe noch Mullahs religiöse Toleranz predigen würden. Außerdem attestierte er sowohl Russland als auch den USA, dass „von atomarer Abrüstung keine Rede sein kann“. Der 89-Jährige warnte die Nato davor, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen: „Dass die Nato eine Ratssitzung im georgischen Tiflis abhält, zeigt, dass diese Menschen die Maßstäbe aus den Augen verloren haben.“ Außerdem sollte sich Deutschland nicht leichtfertig gegen Russland stellen, befand der Altkanzler.

Natürlich kam der ehemalige deutsche Finanzminister auch an der Bankenkrise nicht vorbei. Er forderte die Politik auf, den globalen Finanzmarkt unter einheitliche Regeln zu stellen. „Der internationale Währungsfonds IWF sollte dafür Standards entwickeln, denn dort sitzen Fachleute, die sonst nicht viel zu tun haben.“

Bei aller Weltpolitik verlor Schmidt Deutschland aber nicht aus den Augen. Der großen Koalition attestierte er wenigstens, keine großen Fehler gemacht zu haben. Die Überalterung der Gesellschaft und die Globalisierung bezeichnete er als die wichtigsten Herausforderung für alle Parteien. Die SPD habe mit der Agenda 2010 den ersten Schritt getan, aber es müssten weitere folgen. Nur zu einem wollte er sich nicht äußern: dem SPD-Personal. Das tat er als schnöde Tagespolitik ab, die ihn aber doch nicht ganz kalt lässt. Denn so viel sagte er doch: Die Umstände des Wechsels an der SPD-Spitze könne er „nicht beurteilen, aber mit dem Ergebnis bin ich zufrieden“. Dafür gab es großen Applaus. Auch im Foyer, den dorthin wurde das Gespräch zwischen Kleber und Schmidt übertragen. Schließlich zieht der Altkanzler noch – nicht nur an seiner Zigarette. 

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