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14.11.2022, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht beim 45. Deutschen Krankenhaustag in der Messe während der Medizin-Messe «Medica». Ca. 4.500 Aussteller zeigen vom 14.-17.12.22 Neuheiten rund um das Thema Medizin. Foto: Roberto Pfeil/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Roberto Pfeil

Ende der Isolationspflicht?: Pandemieminister Karl Lauterbach in Bedrängnis

Seit einem Beschluss der Ampel-Koalition steht die Frage im Raum, wo Karl Lauterbach bei Corona noch handlungsfähig ist. Dazu droht ein Impfdebakel.

Mit dem Slogan „Das Wir entscheidet“ kämpfte sich die SPD im Bundestagswahlkampf auf Platz eins und damit an die Spitze der nun regierenden Koalition. Wie sehr dieses „Wir“ im gesundheitspolitischen Kreis der Ampel hineinwirkt, zeigte sich nun im Haushaltsausschuss des Bundestages.

Dort setzten die für den Etat des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zuständigen Berichterstatter der Ampel-Fraktionen einen einschneidenden Beschluss durch. Der könnte nicht nur das faktische Ende der Corona-Isolationspflicht in den meisten Bundesländern herbeiführen, sondern auch den Bundesgesundheitsminister demnächst in eine gefährliche Krise stürzen.

Daran ändert auch nichts, dass Karl Lauterbach (SPD) wenige Stunden später in der abschließenden Debatte zum BMG-Einzelplan des Haushalts 2023 erklärte, dass „wir“ erst einmal nicht über ein Ende der Isolationspflicht reden möchten. Das „Wir“ der Ampel-Koalition hatte da schon längst in eine andere Richtung entschieden.

Schon seit einigen Wochen erodiert die Wirkkraft von Lauterbachs Pandemie-Mahnungen und -Warnungen zusehends, sei es in den Ländern oder innerhalb der Bundesregierung. Los ging es bereits im Spätsommer mit dem Kompromiss zwischen ihm und Justizminister Marco Buschmann (FDP) für Pandemieschutzmaßnahmen bis zum Frühjahr. Felsenfest schien damals Lauterbachs Überzeugung, dass die Länder reihenweise von ihrem Recht Gebrauch machen würden, Maskenpflichten in Innenräumen zu erlassen.

Nichts dergleichen passierte, im Gegenteil. In den meisten Bundesländern legte man sogar das Bundesrecht in einer Weise aus, die nun die Maskenfreiheit von Pflegeheim-Bewohnern garantiert. Ein einsamer Anlauf der Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) zur Einführung der Maskenpflicht in Innenräumen scheiterte krachend.

Wenig später, vor zwei Wochen, folgte der Vorstoß mehrerer großer Bundesländer zur Abschaffung der Isolationspflicht für Corona-Infizierte, weitere Länder deuteten an, dies ebenfalls bald in Erwägung zu ziehen. Nicht müde wird Lauterbach seitdem zu betonen, für wie falsch er das hält.

Gegenwind gibt es dabei etwa vom FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann (FDP), der seit einer Weile für ein Ende sämtlicher Corona-Maßnahmen plädiert. Nun spricht sich sogar der Virologe Christian Drosten, lange gern genannter Kronzeuge Lauterbachs, mehr oder weniger direkt für ein Ende der Isolationspflicht aus.

Mit der Entscheidung des Haushaltsausschusses ist das nun noch einmal deutlich näher gerückt. Die Isolationspflicht könnte damit in ein paar Wochen Geschichte sein. Als letzte Pandemiemaßnahme bliebe dann nur noch die Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr, doch auch die beginnt ja bekanntlich bereits zu bröckeln.

Haushaltspolitiker als gesundheitspolitische Treiber

Schon länger haben sich die drei BMG-Berichterstatter der Ampel im Haushaltsausschuss, Svenja Stadler (SPD), Paula Piechotta (Grüne) und Karsten Klein (FDP), als Treiber in der Gesundheitspolitik einen Namen gemacht. Vor allem aber als Wächter der Haushaltsdisziplin bei einem Minister, der aus ihrer Sicht viel zu bereitwillig Milliarde nach Milliarde für Coronatests und Übermengen an Corona-Impfstoffen ausgibt.

Im September brachten die drei im Ausschuss einen, dem Tagesspiegel Background vorliegenden Maßgabebeschluss, durch, den man als „Lex Lauterbach“ bezeichnen kann. Das BMG wurde damit verpflichtet, künftig Posten, die sich aus der Ermächtigung für die Beschaffung von Impfstoffen und aus der Coronavirus-Testverordnung ergeben und eine Summe von 25 Millionen Euro überschreiten, dem Haushaltsausschuss vorab vorzulegen.

Der Beschluss war Grundlage für den Maßgabenbeschluss zur neuen Testverordnung, der nun im Haushaltsausschuss gefasst wurde. Und der weit mehr ist als eine Einsparmaßnahme, nämlich eine Botschaft an Minister Lauterbach, die direkt auf sein Kernthema zielt: die Pandemiepolitik.

Im Beschluss verknüpft der Ausschuss seine Zustimmung zur Verlängerung der Testverordnung bis Ende Februar mit der Vorgabe, dass es ab 15. Januar keinen Anspruch mehr auf kostenlose Corona-Bürgertests zur „Freitestung“ Infizierter geben soll. Anspruch hätten dann nur noch Mitarbeitende und Besucher medizinischer Einrichtungen.

Zudem wird das BMG verpflichtet, bis 31. Januar „einen ausführlichen schriftlichen Bericht über die dem Bund im Zusammenhang mit der Coronavirus-Testverordnung seit dem 1.7.2022 entstandenen Kosten vorzulegen“, wie es im vorliegenden Beschluss lautet.

Die Verlängerung der Testverordnung kostet nach Schätzungen der Ampel-Haushälter rund 1,278 Milliarden Euro. Und damit rund 700 Millionen Euro weniger als die ursprünglichen „Bürgertest“-Pläne Lauterbachs.

Absehbares Ende der Freitestung

Die Vorgabe zum Ende der kostenlosen „Freitestungen“ ist vordergründig ein Detail, den Ampel-Abgeordneten dürfte aber völlig klar sein, was sich daraus ergibt. Denn kaum eines der Bundesländer wird angesichts der eigenen Haushaltslage bereit sein, nach dem 15. Januar diese Tests selbst zu finanzieren. Daher wird man absehbar zu großen Teilen dazu übergehen, die Freitestung abzuschaffen.

Einige Länder dürften dann dem Vorbild Bayerns, Baden-Württembergs, Hessens und Schleswig-Holsteins folgen und gleich ganz auf die Isolationspflicht verzichten. Wie es auch gehen könnte, macht Nordrhein-Westfalen gerade vor: Dort soll künftig, auch ohne Test, die Isolation automatisch nach fünf Tagen enden, nicht mehr, wie bisher, nach zehn.

Egal, welche Modelle sich in den anderen Ländern durchsetzen werden: Mit der Vorstellung Lauterbachs zur Corona-Isolation und deren Ende hat das dann wohl alles kaum noch etwas gemein. Anders gesagt: Spätestens Mitte Januar dürfte Lauterbach, dank eines Beschlusses seiner eigenen Ampel-Fraktionen, eine weitere derbe Niederlage an der Corona-Front einstecken.

Die Grünen-Politikerin Piechotta begrüßte es gestern, „dass es jetzt eine Einigung zur Weiterführung der Testverordnung bis zum 28. Februar 2023 gibt“. Sie betonte aber ebenfalls, dass die „Tests für vulnerable Gruppen erneut relevante Kosten verursachen“.

Und Ihr FDP-Kollege Karsten Klein erklärte, dass der gestrige Maßgabebeschluss „angesichts der Entwicklung des Pandemiegeschehens, der Zuständigkeit der Länder beim Infektionsschutz sowie der Tatsache, dass immer mehr Bundesländer die Isolationspflicht abschaffen, nur folgerichtig“ sei.

Klein unterstrich damit, dass die Streichung der kostenlosen Freitestungen unmittelbar in Zusammenhang mit der Abschaffung der Isolationspflicht steht. Der Haushaltsausschuss reagierte also einerseits auf bereits absehbare Tendenzen in den Ländern, bestärkt diese aber gleichzeitig, indem er finanzielle Anreize setzt für eine Abschaffung der Isolationspflicht.

Debakel bei Impfkampagne droht

Zum absehbaren Rückschlag bei der Isolationspflicht könnte sich im Januar noch ein weit gravierenderes Problem für Lauterbach gesellen. Eines, welches das Zeug dazu hätte, Lauterbachs Glaubwürdigkeit als Pandemiemanager weiter zu untergraben. Denn Stand heute droht pünktlich zu Jahresbeginn eine schwere Störung der Corona-Impfkampagne.

So läuft zum Ende des Jahres die aktuelle Corona-Impfverordnung aus. Lauterbachs Ziel ist eine Verlängerung, mit der klargestellt wird, dass nur noch niedergelassene Ärzte die Impfungen verabreichen. Gleichzeitig ist im Haushaltsplan für das kommende Jahr keinerlei Geld mehr vorgesehen für die Vergütungen, die Ärzte bis jetzt für die Corona-Impfungen erhalten.

Das heißt: Ab 1. Januar müssten die Impfungen nicht mehr mit Steuergeldern, sondern aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlt werden, sprich in die Regelversorgung überführt werden. Heißt wiederum: GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) müssten sich als Selbstverwaltung auf eine Vergütungsvereinbarung einigen, die ab 1. Januar greift.

2,9
Milliarden Euro aus dem Etat für die Beschaffung von Vakzine könnten für künftige Impfungen umgewidmet werden.

Dass dies in der verbleibenden Zeit sichergestellt werden kann, daran glaubt derzeit kaum jemand der relevanten Akteure. Was vor allem daran liegt, dass niedergelassene Ärzte laut aktueller Impfverordnung deutlich mehr Vergütung für eine Corona-Schutzimpfung erhalten als für eine herkömmliche Schutzimpfung in der Regelversorgung. Die Vorstellungen von GKV-SV und KBV zur Vergütung von Corona-Impfungen ab 1. Januar in der Regelversorgung dürften erfahrungsgemäß nicht auf Anhieb überein gehen.

Hinter den Kulissen finden derzeit intensive, man könnte auch sagen aufgekratzte, Gespräche zum weiteren Vorgehen statt. Eine Option, die von einigen ins Spiel gebracht wird: die Verlängerung der Impfverordnung bis April kommenden Jahres. Gegebenenfalls auch mit einer Umwidmung der 2,9 Milliarden Euro, die im Haushalt 2023 für die weitere Beschaffung von sowieso schon im Überfluss vorhandenen Impfstoffen eingeplant sind, in Mittel für die Vergütung von Corona-Schutzimpfungen.

KBV hofft auf Verlängerung

„Es ist nicht ausgeschlossen, dass das BMG die Impfverordnung noch einmal verlängern wird“, erklärte die KBV gestern auf Anfrage. „Denn während der laufenden Auffrischimpfungen mit an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffen und ohne ausreichenden Vorlauf die Versorgung umzustellen, kann auch nicht im Sinne des BMG sein.“

Allerdings bräuchte es für eine solche Verlängerung der Testverordnung einen Beschluss des Haushaltsausschusses. Bei dem aber ist unter aktuellen Vorzeichen wenig Bereitschaft zu vermuten, noch einmal Milliarden Euro Steuergelder zur Verfügung zu stellen, um der Ärzteschaft überdurchschnittliche Impfvergütungen zu bescheren.

Auf die Frage, wie es im Januar weitergehen könnte mit den Corona-Impfungen, antwortete das BMG gestern, dass „die Anschlussregelung zur aktuellen Impfverordnung“ sich „regierungsintern noch in Abstimmung“, befinde. „Zu Details können wir deshalb momentan noch keine Stellung beziehen.“

Im Bundestag bat Lauterbach wenig später in seiner Rede um „Geduld“. Nur „ein paar Monate“ noch, dann sei die Pandemie vielleicht schon überstanden, so der Minister. Der Appell richtete sich an die Unionsfraktion. Die Frage, die sich seit gestern jedoch drängender als jemals zuvor stellt, ist, ob die Geduld in den Regierungsfraktionen noch so lange reicht.

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