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Mit Tunnelblick. In einer Röhre mit 9,5 Meter Durchmesser spricht Manuela Schwesig zu den eingeladenen Journalisten.

© IMAGO/BildFunkMV

Einsatz für Erneuerbare statt Russland-Gas: Manuela Schwesigs persönliche Energiewende

Wegen Nord Stream 2 und Gazprom-Nähe stand Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin in der Kritik. Doch die umstrittene Pipeline könnte ihr noch helfen.

Bei Michael Drobek beweist Manuela Schwesig ihre Bürgernähe. „Meine Enkelin würde sich wünschen, dass ich ein Selfie mit Ihnen mache“, sagt der Schweißer zur Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Drobek ist ein Mann wie ein Bär. Muskulös, große Hände, wettergegerbtes Gesicht, darauf ein blauer Schutzhelm. „Ihre Enkelin schieben Sie doch nur vor“, sagt Schwesig und lacht.

Den Selfie-Wunsch erfüllt sie dem 64-Jährigen natürlich gern. Und nicht nur das: Zum Marineempfang lädt die SPD-Politikerin den Schweißer direkt auch ein. „Ich habe noch keine Begleitung, ich meine das ernst.“ Drobek, sonst um keinen Spruch verlegen, muss bei dieser Charme-Offensive schlucken. „Da muss ich jetzt erst einmal meine Frau fragen.“

Ihre Sommertour hat Manuela Schwesig an diesem verregneten Freitag in den Rostocker Hafen und zu Schweißer Drobek geführt. Feuerwehrfeste, Termine bei Landwirten und Besuche bei Unternehmen stehen auf ihrem Programm. Für Schwesig eine willkommene Abwechslung nach harten Monaten.

Im Februar hatte sich die 48-Jährige für mehrere Wochen zurückgezogen, weil eine OP nach überstandener Krebsbehandlung nötig geworden war. In ihrer Abwesenheit begann erst Russland seinen brutalen Angriffskrieg in der Ukraine, dann eine öffentliche Debatte über Schwesigs Rolle bei der Fertigstellung der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream 2. Dafür hatte die Landesregierung gemeinsam mit Gazprom eigens eine sogenannte „Klimaschutzstiftung“ gegründet.

Schwerin sei zum Vorposten des Kremls verkommen, kritisierte die Opposition. Die Stiftung soll nun aufgelöst werden, doch politisch wird Schwesig die Vorwürfe nicht so schnell los. Ein Untersuchungsausschuss will nach der Sommerpause die ersten Akten auswerten.

Politischer Fokus auf Erneuerbaren Energien

Im Rostocker Hafen versucht Schwesig das Thema abzuschütteln. Den Fokus ihrer Sommertour hat sie bewusst auf die Erneuerbaren gelegt. „Wir sehen beim Thema erneuerbare Energien Chancen, an Wirtschaftskraft zu gewinnen, Arbeitsplätze zu sichern und auszubauen“, sagt Schwesig. Ein Beispiel dafür ist der Betrieb von Schweißer Michael Drobek.

[Lesen Sie zudem: Die Akte Manuela Schwesig – Windige Partner, ein ominöses Schiff und fehlende Papiere – die lange Liste der Vorwürfe (T+)]

Das Rostocker Unternehmen EEW stellt Monopiles her, riesige Rohre für Windkraftanlagen auf See. Die stählernen Monopiles sind teils mehr als 70 Meter lang, haben einen Durchmesser von bis zu zwölf Metern und wiegen rund 1400 Tonnen. Mit Spezialtechnik werden die in den Meeresboden gerammt, anschließend werden darauf die Offshore-Windräder installiert.

Den Selfie-Wunsch erfüllt Schwesig dem Schlosser Michael Drobek.
Den Selfie-Wunsch erfüllt Schwesig dem Schlosser Michael Drobek.

© Felix Hackenbruch

Das Geschäft boomt. „Wir können gar nicht alle Anfragen bearbeiten“, sagt Sascha Hofmeister, Technischer Geschäftsführer von EEW. Gerade werden die Rohre für einen neuen Offshore-Park vor Rügen produziert. Für Schwesig eine Vorzeigeprojekt. „Wir wollen so viel wie möglich an der Wertschöpfungskette teilnehmen“, sagt Schwesig, während sie neben Hofmeister in einer 9,5 Meter breiten Röhre steht.

Doch in Rostock hat die EEW ihr Potenzial fast ausgeschöpft. Der Standort platzt aus allen Nähten. Das Unternehmen walzt und verarbeitet rund 250.000 Tonnen Stahl pro Jahr, zuletzt sind die Preise stark gestiegen. Michael Drobek verschweißt mit seinem Team die Einzelstücke zu den gigantischen Rohren. Mehr als 2000 Monopiles für Windparks wurden bereits hergestellt.

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„Wir hatten noch nie einen Schaden auf See“, sagt Drobek. Bis er im nächsten Jahr in den Ruhestand geht, soll das auch so bleiben. Für Geschäftsführer Hofmeister ist der Ruhestand von Drobek eine Sorge mehr. 200 neue Mitarbeiter würde er gerne einstellen, doch der Fachkräftemangel hat den Markt auch in Rostock leer gefegt.

Geopolitik im Rostocker Hafen

Doch nicht nur die Erneuerbaren stellt Schwesig bei ihrer Tour durch den Rostocker Hafen, zu der sie extra die Presse aus Berlin eingeladen hat, in den Fokus. Im größten Hafen Ostdeutschlands zeigen sich an diesem Tag die Verknüpfung von Geopolitik und Energieversorgung. Das letzte Steinkohleschiff aus Russland wird gerade mit großen Kränen entladen, ehe die Sanktionen der EU in Kraft treten.

Etwas weiter liegt ein Öl-Tanker aus den USA vertäut. Künftig sollen es noch weit mehr werden, denn über Rostock soll die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt – und damit weite Teile Ostdeutschlands – mit Rohöl versorgt werden. „Das war überhaupt nicht unser Plan“, sagt Schwesig bei einer Fahrt durch den Hafen.

Eigentlich hatte sich der Port um ein Terminal für Flüssigerdgas (LNG) und grünen Wasserstoff bemüht. Doch Gas und Öl dürfen aus Sicherheitsgründen nicht im gleichen Hafen entladen werden. „Wir zeigen uns hier solidarisch“, betont Schwesig.

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Es ist das Credo, mit dem die Ministerpräsidentin politisch wieder in die Offensive kommen will. Denen, die vor einigen Monaten noch ihren Rücktritt gefordert haben, hilft man jetzt mit Strom, Öl und Gas aus dem Norden.

„Jetzt bekommen viele andere Bundesländer erst mit, woher ihr Gas kommt“, sagt Schwesig und hebt mehrfach das LNG-Terminal in Lubmin hervor, wo bereits ab Ende des Jahres Flüssigerdgas anlanden soll.

„Durch die Investitionen von Nord Stream 1 und 2 haben wir einen großen Anlandepunkt für ganz Ostdeutschland bis nach Bayern“, sagt Schwesig. Die Infrastruktur der Vergangenheit, wegen der Schwesig so sehr in der Kritik steht, soll jetzt der Rettungsring für die SPD–Politikerin werden.

Lesen Sie mehr zur Energie-Krise auf Tagesspiegel Plus:

Angesichts der explodierenden Energiekosten im Land verteidigt Schwesig sogar die alten Handelsbeziehungen zu Russland. „Jetzt wird für alle sichtbar, warum wir in der Vergangenheit auf russisches Gas gesetzt haben“, sagt sie. „Es war unkompliziert und preiswert verfügbar.“ Von Selbstgeißelung keine Spur. Schwesig ist jetzt Teil der Lösung.

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Dieses Signal will die SPD-Politikerin auch bei den erneuerbaren Energien senden. „Wir produzieren jetzt schon doppelt so viel Energie, wie wir verbrauchen“, sagt sie. Es ist ein Satz, den sie inzwischen mantraartig bei jeder Veranstaltung und in fast jedem Interview verwendet.

„Wir hängen hinterher“

Dass nicht nur Mecklenburg-Vorpommern längst weiter sein könnte, muss sich Schwesig an diesem Tag jedoch auch anhören. In einem in die Jahre gekommenen Hafengebäude präsentieren sich vier Unternehmen aus der Erneuerbaren-Branche. Es gibt Garnelen-Spieße, Fischbrötchen und Suppe. Als Erster ist Joachim Krüger an der Reihe.

Seit mehr als zehn Jahren vertreibt er solarthermische Parabolrinnen-Kraftwerke. Dabei wird mit Sonnenspiegeln heißer Wasserdampf produziert – eine preiswerte und klimafreundliche Alternative zu Gas. In Thailand, Indien, Belgien und Österreich hat Krüger schon Projekte umgesetzt. In Deutschland dagegen nicht. „Wir hängen hinterher“, sagt er zu Schwesig.

„Ich würde mir wünschen, dass wir diese Technik endlich auch vor unserer Haustür nutzen. 95 Prozent der Wärme am Flughafen in Rostock-Laage könnte er beispielsweise mit einer Anlage garantieren. Doch die Aufmerksamkeit im Land lag lange auf den fossilen Energien.

Direkt kritisieren will Krüger die Ministerpräsidentin nicht. Nach seiner Präsentation sagt er nur: „Ich habe das Gefühl, dass gerade Ohren aufgehen, die lange taub waren.“

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