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CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zieht eine Bilanz des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags.

© Britta Pedersen/dpa

30 Jahre Nachbarschaftsvertrag mit Polen: Eine schnelle Zugverbindung nach Warschau fehlt noch immer

Es braucht bessere Infrastruktur und mehr Förderung der Kultur polnischsprachiger Bürger in Deutschland. Trotz der Erfolge bleibt viel zu tun. Ein Gastbeitrag.

Katja Leikert ist stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Europapolitik und Menschenrechte, Paul Ziemiak ist CDU-Generalsekretär.

Vor 30 Jahren, am 17. Juni 1991, unterzeichneten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der polnische Regierungschef Jan Krzysztof Bielecki den Vertrag „über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ zwischen Deutschland und Polen. Helmut Kohl sprach zu Recht von einem „Beitrag zu einer neuen Ordnung des Friedens“ in Europa.

Der Vertrag bildet heute das Fundament für unsere vielseitige Partnerschaft. Allein über 400 Städtepartnerschaften verbinden unsere Bürgerinnen und Bürger. Das deutsch-polnische Jugendwerk hat bisher drei Millionen Jugendliche zusammengebracht. Nicht zu vergessen die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Angesichts der historischen Erfahrungen ist dieses enge Band der Freundschaft ein Wunder.

Bei der Unterzeichnung des Vertrages, gerade mal ein Jahr nach der Wiedervereinigung Deutschlands, war dieser in beiden Ländern nicht unumstritten. Für Teile der Kriegsgeneration schien es damals kaum vorstellbar, gute nachbarschaftliche Beziehungen zueinander aufzubauen. Heute sind Polen und Deutschland gemeinsam tragende Säulen des europäischen Hauses.

Drei Jahrzehnte beharrliche Arbeit, um Vertrauen und Verständnis aufzubauen, liegen hinter uns. Der Jahrestag des Freundschaftsvertrages bietet nun eine gute Gelegenheit, um sich neue Ziele für die gemeinsame Zukunft zu setzen.

Ein Buddy Bär zum 30. Jahrestag des Freundschaftsvertrages wird vom deutschen Botschafter in Warschau enthüllt.

© imago images/Eastnews

Ein Leitmotiv für Polens Beitritt zur Werte- und Rechtsgemeinschaft der Europäischen Union war es, für die Garantie der eigenen Sicherheit ein Stück nationaler Souveränität zugunsten Europas einzulösen und seinen angestammten Platz als Teil der europäischen Völkerfamilie wieder einzunehmen.

Damals wie heute gehört Polen zu den Ländern mit den höchsten Zustimmungswerten für das europäische Projekt. Nach den Diktaturerfahrungen auf beiden Seiten sehnte sich auch Polen nach grenzübergreifender Zusammenarbeit auf Augenhöhe. So ist es großes Glück, dass inzwischen Polizisten aus beiden Ländern im Rahmen der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit grenzüberschreitend im Einsatz sind.

Eine deutsch-polnische Brigade sollte aufgestellt werden

Mehr Zusammenarbeit ist auch im Bereich der Verteidigungspolitik denkbar. Es wäre ein beachtlicher Erfolg, wenn eine deutsch-polnische Brigade nach dem Vorbild der deutsch-französischen Einsatzkräfte aufgestellt würde. Eine höhere Präsenz der Bundeswehr wäre in Polen ein wichtiges Zeichen der Solidarität und würde dem langjährigen polnischen Verlangen nach mehr Sicherheitszusammenarbeit nachkommen.

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Die Krisen in der Ostukraine und Belarus haben gezeigt, wie eng Deutschland und Polen bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen zusammenarbeiten. Dabei kann Warschau seine breite regionale Vernetzung in Mittel- und Osteuropa einbringen und wir können unsere Rolle als Brückenbauer in Süd- und Westeuropa in die Waagschale werfen.

Der polnische Ministerpräsident Krzystof Bielecki (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl (r) unterzeichnen am 17. Juni 1991 in Bonn den Nachbarschaftsvertrag.

© Michael Jung/dpa

Deutschland ist seit über zwei Jahrzehnten der mit Abstand wichtigste Handelspartner für Polen. Die aufstrebende polnische Wirtschaft liegt inzwischen vor Italien, Großbritannien und Russland auf Platz fünf unserer Handelspartner mit einem Handelsvolumen von rund 124 Milliarden Euro.

Die ökonomische Kooperation und Verflechtung schafft Wohlstand auf beiden Seiten der Oder und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Auf deutscher wie auf polnischer Seite gilt es, alles dafür zu tun, diese Dynamik aufrechtzuerhalten. Wo immer möglich, sollte der Marktzugang für Unternehmen aus dem Nachbarland weiter verbessert werden. Daneben würde der Ausbau der grenzüberschreitenden Infrastruktur im Bereich der Straßen- und Schienennetze der deutsch-polnischen Zusammenarbeit einen deutlichen Schub verleihen.

Eine schnelle Bahnverbindung Berlin-Warschau muss her

Auch eine Stärkung der Nord-Süd-Verbindungen im östlichen Teil der EU kann der gesamten Region neue Wachstumsimpulse geben. Auf deutscher Seite sollten alle Schienentrassen nach Polen elektrifiziert werden. Der deutsch-polnischen Partnerschaft würde der Bau einer Schnellstrecke zwischen den Metropolen Warschau und Berlin noch mehr Schwung verleihen. Eine spürbare Verkürzung der über sechsstündigen Fahrzeit mit dem Zug würde die beiden europäischen Metropolen einander noch näher bringen – wirtschaftlich wie gesellschaftlich.

Mit dem Ausstieg aus der Kern- und Kohleenergie in Deutschland vollziehen wir gerade einen gewaltigen Transformationsprozess hin zu einem klimaneutralen Industrieland. Obwohl Polen der Haupt- Kohleförderer innerhalb der EU ist, hat die Regierung in Warschau nun auch den Kohleausstieg beschlossen. Die Luftverschmutzung ist eines der drängendsten Probleme in Polen. Dort liegen 33 von 50 Städten in Europa, die die größte Feinstaubbelastung vorweisen.

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Gleichzeitig haben unsere östlichen Nachbarn großes Potenzial für den Ausbau erneuerbarer Energien. Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in der EU zu erreichen, müssten laut der Strategie für erneuerbare Offshore-Energie der EU-Kommission 300 Gigawatt an Offshore-Windenergieanlagen europaweit installiert werden. Allein in der Ostsee gibt es ein Ausbaupotenzial für Windenergie von rund 93 Gigawatt, das Polen und Deutschland zusammen erschließen können.

Mit dem Ausbau der Offshore-Windenergie könnte Polen als einer der weltweit führenden Hersteller von grauem Wasserstoff auch große Fortschritte in der Erzeugung von grünem, umweltschonendem Wasserstoff vollziehen. Deutsche Unternehmen, die in diesem Segment zu den Weltmarktführern gehören, könnten dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Förderung der Kultur der polnischsprachigen Bürger in Deutschland stärken

All diese Beispiele zeigen, dass wir gemeinsam viel für die Zukunft in Europa erreichen können. Der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag war dabei stets mehr als die Aufarbeitung der leid- und wechselvollen Beziehung der beiden Nachbarländer. Die mutigen Politiker vor 30 Jahren wollten vielmehr den Startschuss geben für ein neues Miteinander in einem freien Europa.

Auch nach 30 Jahren ist im Kontext des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrags noch nicht alles erreicht. Hierzu zählt vor allem unser Engagement für die Förderung von Kultur und Sprache der in Deutschland lebenden polnischsprachigen Bürgerinnen und Bürger.

Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, wie weit wir auf diesem Weg gekommen sind. Wie normal es geworden ist, dass Deutsche und Polen zusammenarbeiten, gemeinsam studieren und miteinander leben. Wie normal es geworden ist, dass Soldatinnen und Soldaten beider Nationen Seite an Seite – etwa im Rahmen der EU-Militärmission Atalanta am Horn von Afrika – unsere Wertegemeinschaft schützen.

Und wie normal es ist, über unterschiedliche Ansichten leidenschaftlich zu diskutieren. Denn auch hieraus erwächst Vertrauen. Polen ist Deutschland wichtig und Deutschland ist Polen wichtig.

Diese Normalität ist ein Geschenk, das sich Bürgerinnen und Bürger in beiden Ländern mühsam erarbeitet haben und das es zu schätzen, zu beschützen und auszubauen gilt. Dafür werden wir uns gemeinsam weiter starkmachen.

Katja Leikert, Paul Ziemiak

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