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Kanzlerin Merkel in Davos

© FABRICE COFFRINI / AFP

Kanzlerin Merkel in Davos: „Eine Frage des Überlebens für den ganzen Kontinent“

Die Bundeskanzlerin stellt sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos deutlich auf die Seite der Klimaaktivisten. Sie will Emotionen und Fakten versöhnen.

In Israel, in der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner historischen Rede noch nicht begonnen, da war viele Kilometer entfernt in Davos Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen 14:15 Uhr an der Reihe, der versammelten Weltwirtschaft ihre Vorstellung darzulegen, wie man die Welt retten und besser machen könne.

Eines ließ die Kanzlerin die Zuhörer dabei deutlich wissen: Es müsse jetzt gehandelt werden, sonst werde man die Probleme und Gefahren durch den Klimawandel nicht mehr in den Griff bekommen.

Das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens, nämlich den Auftrag, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, "könnte eine Frage des Überlebens für den ganzen Kontinent sein".

"Deshalb drängt die Zeit", mahnte Merkel immer wieder, "wir müssen aufpassen, dass wir die Ungeduld der Jugend positiv und konstruktiv aufnehmen."

Indirekt, ohne den Namen Greta Thunberg zu erwähnen, unterstützte die Kanzlerin aber die Aktivistin und sagte, sie habe Verständnis für das Drängen der jungen Generationen.

Merkel zeigte Verständnis für die Ungeduld der Jugend.
Merkel zeigte Verständnis für die Ungeduld der Jugend.

© Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dp

Die Kanzlerin versuchte, einen Bogen zu spannen von der Welt des Kalten Krieges bis heute, um deutlich zu machen, dass die damaligen wie heutigen Probleme nur gemeinsam zu lösen seien.

Damals sei Deutschland geteilt gewesen, und sie selbst habe sich nicht vorstellen können, einmal in Davos zu reden.

Damals im Kalten Krieg sei die Welt bipolar gewesen, nun "multipolar", das Pro-Kopf-Einkommen habe sich verdoppelt, es gebe weniger extreme Armut. "Alles das wäre durch nationale Alleingänge niemals möglich gewesen." Für sie sei das ein Ergebnis, dass Staaten zusammengearbeitet hätten auch bei neuen Problemen.

Die wichtigsten Aussagen von Merkels Davos-Rede im Überblick:

  • Das Ziel, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten muss erreicht werden
  • Die junge Generation sei bei der Klimarettung zurecht ungeduldig
  • Industrienationen "haben eine Bringschuld" und Verantwortung
  • Die Wirtschaft brauche völlig neue Wertschöpfungsformen
  • Beim Thema Klimawandel müssten Emotionen und Fakten versöhnt werden

Es war Merkels historische und persönliche Kurve, um an die Botschaft anzuschließen, die schon ihre Parteifreundin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Tag vorher gesendet hatte: Es gibt keine Alternative dazu, sich zuzuhören und gemeinsam als Staaten zu handeln.

Das Ziel der Klimaneutralität, das auch von der Leyen mit ihrem Green Deal anvisiert, sagte die Kanzlerin, sei eine "gigantische Transformation historischen Ausmaßes". Es sei deshalb tatsächlich die "Dekade der Aktion", des Handelns, wie es andere Redner bereits vor der Kanzlerin gesagt hatten.

US-Präsident Donald Trump.
US-Präsident Donald Trump.

© EUTERS/Jonathan Ernst

Merkel sieht die Zeit gekommen, in den nächsten 30 Jahren die "gesamte Art des Wirtschaftens, wie wir das seit der Industriellen Revolution kennen", verlassen müssen, um zu "völlig neuen Wertschöpfungsformen zu kommen". Die Digitalisierung könne bei diesem Prozess beschleunigend helfen.

Sprachlosigkeit zwischen Leugnern und Aktivisten sorgt Merkel

Um ihren Standpunkt deutlich zu machen, blickte die Kanzlerin auf Deutschland als Beispiel - auch für die Probleme und Konflikte beim Thema Klimawandel. Sie konstatierte, dass es viele Menschen gebe, die das Tempo nicht mitmachen wollten oder den Klimawandel leugneten. Diese Menschen müsse man mit der Gesellschaft versöhnen.

Sie selbst sehe als Naturwissenschaftlerin eine klare Evidenz, trotzdem konkurrierten beim Thema Klimawandel die Fakten mit den Emotionen. Man müsse diese Emotionen mit den Fakten versöhnen. Das aber setze voraus, dass man miteinander spreche. Die Unversöhnlichkeit, die Sprachlosigkeit zwischen Klimaleugnern und Klimaaktivisten "macht mir Sorge und muss überwunden werden".

Wenn das nicht gelinge, sei es schlimmer als im Kalten Krieg, denn damals herrschten klare Meinungsgegensätze, aber man konnte sich annähern, heute würden die Menschen in ihren Blasen verharren.

Sicherlich auch in Richtung US-Präsident Donald Trump, den sie nicht erwähnte, sagte Merkel: "Der Preis des Nichthandelns ist größer als der Preis des Handelns." Die Industrieländer hätten eine Bringschuld und Verpflichtung.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

© imago images/Xinhua

Angela Merkels Rede war mit Spannung erwartet worden, weil am Tag zuvor der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und Europa von US-Präsident Donald Trump wieder verschärft worden war.

Trump stellte bei seinem Abgang aus Davos eine deutliche, allerdings nicht wirklich neue Drohung in den Raum. "Die Europäer", sagte Trump, "haben uns jahrelang ausgenutzt".

Er bezeichnete es als "einfacher mit China" Handel zu treiben als mit den Europäern. Die EU mache es unmöglich mit ihnen zu handeln. Und weil diese Handelsbeziehungen eben aus Trumps Sicht "unfair" seien, überlege er, Zölle auf Autos in Höhe von 25 Prozent zu erheben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyern (CDU) hatte sich am Mittwoch mit Trump getroffen und gab sich hinterher auffallend optimistisch, dass man es "in wenigen Wochen" zu einem gemeinsamen Abkommen" bringen werde. Trump wollte bewusst kein Datum setzen.

Er dürfte aber auch deshalb nicht besonders entgegenkommend gewesen sein, weil von der Leyen zuvor in ihrer Rede ebenfalls von Strafabgaben geredet hatte, ohne die USA zu erwähnen.

Hofreiter fordert, sozialere und ökologischere Wirtschaft

Es sei eine Frage der Fairness gegenüber "unseren Unternehmen, die wir vor unlauterem Wettbewerb schützen werden", über eine Strafabgabe auf Importe aus Ländern mit laxen Klimastandards nachzudenken. Leyen bezeichnete eine solche "Steuer" als Co2-Grenzausgleichssystem. Auch bei den Themen Klima und internationale Zusammenarbeit griff Leyen die Denkweise Trumps an. Sie nannte als wichtige Werte "Multilateralismus, globale Kooperation und einander Zuhören und sagte wörtlich: "Man kann nicht nach vorne streben, wenn man andere ausschließt."

Der Preis des Nichthandelns sei höher, als der Preis des Handelns, sagte Merkel.
Der Preis des Nichthandelns sei höher, als der Preis des Handelns, sagte Merkel.

© Reuters/Denis Balibouse

Zu der Frage, wie Weltrettung und Wachstum zusammenpassen, hatte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, der Tagesspiegel-Morgenlage, dem Newsletter für politische Entscheider, gesagt: „Klimaschutz ist schon jetzt ein riesiger Wachstums- und Jobmotor. Nachhaltige Technologien und innovative Produkte schaffen bereits heute tausende Jobs und sichern die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Doch es geht nicht nur um das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts."

Aus seiner Sicht, sagte Hofreiter, sei das Problem, dass das "Bruttoinlandsprodukt blind für die sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Folgen unseres Wirtschaftens ist. Eine Modernisierung unserer Wirtschaft muss auch zum Ziel haben, sozialer und ökologischer zu werden, und das muss sich auch in der Messung unseres Wohlstands abbilden.“

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