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Ein Transparent mit dem Symbol für den Fluchtweg hängt vor Wohncontainer der kommunalen Erstaufnahmeeinrichtung in Köln-Zollstock.

© dpa/Oliver Berg

„Eine Einigung, die keine ist“: So reagieren die Kommunen auf den Bund-Länder-Gipfel

Der Bund gibt Kommunen und Ländern eine Milliarde Euro mehr für die Versorgung Geflüchteter. Landräte und Bürgermeister erzählen, warum ihnen das nicht weiterhilft.

Eine Milliarde Euro mehr für Länder und Kommunen, eine härtere Linie gegenüber Menschen ohne Bleiberecht und Verhandlungen über eine Neuordnung der Finanzen in der Flüchtlingsfrage: Der Bund-Länder-Gipfel am Mittwochabend hat eine Einigung gebracht. Immerhin, so mancher hatte im Vorfeld sogar ein Scheitern für möglich gehalten.

Doch hilft das Beschlossene den Kommunen tatsächlich weiter? Die Verantwortlichen, die die Integration und Versorgung Schutzsuchender praktisch zu bewältigen haben, machen seit Monaten auf die aus ihrer Sicht dramatische Lage vor Ort aufmerksam – bundesweit und über Parteigrenzen hinweg.

Im Vorfeld des Bund-Länder-Gipfels hatte der Tagesspiegel acht kommunal Verantwortliche, von der Bürgermeisterin bis zum Landrat, zu Wort kommen lassen. Die Protokolle zeigten, wie groß die Verzweiflung ist. Es fehlt an Wohnungen, an Personal in Kitas und Schulen sowie an Geld in den Kassen der Kommunen.

Was ist nun vom Ergebnis des Gipfels zu halten? Wir haben unsere Gesprächspartner noch einmal gefragt, fünf von ihnen haben geantwortet.

Julian Christ (SPD), Bürgermeister der Stadt Gernsbach (Baden-Württemberg)

Der gestrige Gipfel hat gezeigt, dass die Herausforderungen der kommunalen Flüchtlingsunterbringung mittlerweile von Land und Bund wahrgenommen werden. Leider wurden aber keine Lösungen gefunden, die tatsächlich und zeitnah zu einer spürbaren Reduzierung der Flüchtlingszahlen führen. Stattdessen wurde fast ausschließlich über Geld gestritten. Das erschüttert das Vertrauen in die Lösungskompetenz unserer Politiker.

Bürgermeister von Gernsbach: Julian Christ (SPD).

© privat

Vor dem Hintergrund, dass es zu keiner spürbaren Reduzierung der Flüchtlingszahlen kommen dürfte, droht weiterhin eine Überforderung der Kommunen. Denn neue Menschen bedeuten Kita-Plätze, Sprachkurse, Schulklassen und vieles mehr. Ich befürchte, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung weiter verschlechtert und extreme Parteien, wie die AfD, bei künftigen Wahlen profitieren.


Claudia Kalisch (Grüne), Oberbürgermeisterin von Lüneburg (Niedersachsen)

Die eine Milliarde Euro vom Bund ist allenfalls ein Trostpflaster. Zum Vergleich: Von den zuletzt ausgeschütteten 1,5 Milliarden Euro des Bundes kamen in der Hansestadt Lüneburg 580.000 Euro an – das reichte gerade mal, um einen einzigen Monat die Betriebskosten für unsere Unterkünfte abzudecken. Jetzt soll es eine weitere Milliarde geben, bis im November wieder verhandelt wird. Das reicht dann für weitere 20 Tage Betriebskosten. Eine auskömmliche und planungssichere Durchfinanzierung ist etwas anderes, der Bund muss seiner Verantwortung endlich nachkommen.

Wir brauchen bei dieser Aufgabe keine Politik nach Kassenlage! Wir brauchen eine verlässliche Pro-Kopf-Finanzierung. Ob in einem halben Jahr mehr herauskommt, werden wir sehen. Zumindest mein Vertrauen ist angeknackst. Denn offensichtlich wird die Realität in den Kommunen vor Ort nicht erkannt. Und wir sind auch am Verhandlungstisch nicht gewollt. Dabei sind es die Kommunen, in denen diese gesamtgesellschaftliche Herausforderungen zu stemmen sind. Wir haben schon lange und deutlich genug auf unsere Probleme hingewiesen. Worauf also wartet der Bund?

Claudia Kalisch (Grüne) ist Oberbürgermeisterin der Stadt Lüneburg.

© PR

Die Folgen mangelnder Planbarkeit und Finanzierung sind in den Kommunen deutlich zu spüren. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe können wir nur gemeinsam bewältigen. Bund, Land und Kommunen an einem Strang, an einem Tisch. Das hält auch die Zivilgesellschaft hinter uns. Ohne die es auch nicht geht. Gelingt uns das nicht, kann es für das gesellschaftliche und politische Klima vor Ort in den Städten und Gemeinden sehr schwierig werden.


Ingo Mehner (CSU), Erster Bürgermeister der Stadt Bad Tölz (Bayern)

Wenn überhaupt, ist die Einigung ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Freistaat Bayern entlastet die Kommunen in Bayern sehr gut bei den Unterbringungskosten. Aber das ist nicht das einzige Thema, um welches es geht.

Die von mir in Berlin angesprochenen Probleme bleiben unverändert bestehen: Kosten für die Unterbringung der anerkannten Asylbewerber, Kosten für Kinderbetreuung, Kosten für soziale Betreuung.

Erster Bürgermeister der Stadt Bad Tölz: Ingo Mehner.

© Benedikt Fuhrmann

Und vor allem lassen sich die meisten Probleme bei uns nicht mit Geld lösen: Wohnraum ist keiner vorhanden, es werden – wie auch in vielen anderen Gegenden Deutschlands – Leichtbauhallen, Container und Zelte aufgebaut. Eine Integration wird so nicht gelingen. Vor diesen Folgen verschließt die Bundesregierung die Augen. Die Kommunen werden weiterhin enorme finanzielle und soziale Mehrbelastungen haben, die nicht alle mit Geld zu lösen sind.


Stephan Meyer (CDU), Landrat des Landkreises Görlitz (Sachsen)

Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels sind ernüchternd und unzureichend. Es ist nicht absehbar, dass seitens des Bundes eine Obergrenze der Flüchtlingsaufnahme erkannt wird. Wir sind bei Unterbringung, Integration, ärztlicher Versorgung sowie Kita-und Schulplätzen bereits an der Grenze des Leistbaren.

Ich begrüße die Aussagen, dass die Unterbringung von Flüchtlingen als Daueraufgabe auch eine dauerhafte Finanzierung für die Kommunen erfordert. Die vereinbarte zusätzliche Milliarde Euro ist allerdings nicht ausreichend, um die nachweislich gestiegenen Kosten aufzufangen.

Landrat Kreis Görlitz: Stephan Meyer (CDU).

© Landratsamt Görlitz

Diese zusätzlichen Mittel müssen einerseits vollständig der kommunalen Familie zukommen und gleichzeitig erwarte ich vom Freistaat Sachsen, dass in diesem Jahr eine weitere Aufstockung mit dem Bund verhandelt wird. Die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage ist ebenfalls zu begrüßen und muss dazu führen, dass Abschiebungen auch tatsächlich stattfinden.

Mit Blick auf die deutlich gestiegenen Aufgriffszahlen entlang der sächsisch-polnischen Grenze müssen auch hier die lagebezogenen Binnengrenzkontrollen und die Schleierfahndung personell verstärkt werden. Ich bin sehr dankbar, dass sich nach wie vor viele Helferinnen und Helfer im Ehren- und Hauptamt und in der Ausländerbehörde des Landkreises Görlitz in dieser Belastungssituation weit überdurchschnittlich einsetzen.


Wiebke Şahin-Schwarzweller (FDP), Bürgermeisterin der Stadt Zossen (Brandenburg)

Um alle geflüchteten Menschen unterzubringen und zu versorgen, wird eine Milliarde Euro der Belastungssituation in den Kommunen in keiner Weise gerecht. Erst in einem halben Jahr soll eine dauerhafte Lösung vorgelegt werden. Ich vermisse eine dauerhafte Strategie. Eine Lösung im November kommt viel zu spät, die Situation ist jetzt schwierig. Gerade im Sommer kommen wieder viele Tausende über das Mittelmeer, die vor Krieg, Ausbeutung, Elend, Klima und weiteren Desastern fliehen müssen. Neue „Grenzbefestigungen“ sind aus meiner Sicht keine akzeptablen humanitären Lösungen.

Wiebke Şahin-Schwarzweller (FDP), Bürgermeisterin der Stadt Zossen.

© privat

Viele können nicht verstehen, warum eine endgültige und nachhaltige Lösung zur Finanzierung der Migrationsthematiken noch einmal so in die Länge gezogen wird. Olaf Scholz ist vor allem entschlossen in Handlungsfeldern, die außerhalb der deutschen Zuständigkeit liegen. Es gibt in der Migrationspolitik wieder eine Einigung, die keine ist, und der Streit geht einfach weiter. Das führt zu einem Vertrauensverlust, viele Bürgerinnen und Bürger sind nicht zufrieden.

Die von der Bundesregierung generierten Zukunftsaussichten bereiten vielen Bürgerinnen und Bürgern große Sorge, und es werden weiter Themen polarisiert. Das werden wir in den Kommunal- und Landtagswahlen in 2024 deutlich zu spüren bekommen. Die CDU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen verlieren durch die Flüchtlings- und Klimapolitik Wähler an rechts.

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