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Der Besuch eines Jobcenters - für viele Arbeitslose kein leichter Gang.

© Stefan Sauer/dpa

Ein Leben mit Hartz IV: „Für 200 Euro mehr Vollzeit zu arbeiten, ist ein Witz“

Wie denken Betroffene über die aktuelle Hartz-IV-Debatte? Bei einem Besuch im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg kann man es erfahren.

Die gläserne Schiebetür vor dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg steht kaum still. Im Minutentakt passieren Menschen den Eingang an der Rudi-Dutschke-Straße. Ob beim Betreten oder Verlassen, ihre Blicke sind meist finster und die Schritte schnell. Aufgrund von Kälte und Schnee hat sich Jonas Pätzold (Name geändert) in Mütze und Funktionsjacke gehüllt. „Eigentlich bin ich Fahrradmonteur, davon leben kann ich aber nicht“, erklärt er, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Der 34-Jährige lebt seit elf Jahren von Arbeitslosengeld 2, „aber nicht als Vollempfänger“. Pätzold repariert nicht nur Fahrräder, er verteilt auch Flyer für eine Rechtsanwaltskanzlei, Schwerpunkt: Sozialrecht.

Eine Belastung für die Partnerschaft

100 Euro des Minijob-Lohns sind für den Sozialhilfeempfänger anrechnungsfrei, alles darüber hinaus wird mit seinem Hartz-IV-Satz verrechnet. So kommt er auf circa 900 Euro im Monat. „Ich komme mit dem Geld aus. Für preiswerte Klamotten und Lebensmittel von Aldi reicht es. Ein Urlaub oder anderer Luxus ist aber nicht drin.“ Eine wirkliche Belastung sei die finanzielle Situation eher für seine Beziehung: „Meine Freundin unterstützt mich, aber ich weiß auch, dass sie als Akademikerin andere Ansprüche hat.“

Zur aktuellen Debatte über Hartz IV, losgetreten von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), hat Pätzold eine klare Meinung: „Die AfD nimmt Spahn den Rassismus weg, jetzt müssen andere daran glauben." Das größte Problem ist aus der Sicht des Hartz-IV-Empfängers nicht die Höhe des Regelsatzes, sondern der große Niedriglohnsektor. „Für 200 Euro mehr Vollzeit zu arbeiten, ist ein Witz“, findet er. Grundsätzlich vollbeschäftigt zu sein, ist aber auch Pätzolds Ziel. Das war nicht immer so. Als Jugendlicher rutsche er in die Kleinkriminalität und hatte mit Drogenproblemen zu kämpfen. „Damals war ich auch ziemlich demotiviert“, gibt Pätzold zu.

Eine schnelle Zigarette raucht Andrea Konopka (Name geändert) noch, damit sie pünktlich beim Termin mit ihrem Sachbearbeiter erscheint. Es ist ein wichtiger Termin, denn Konopka braucht 2000 Euro. Viel Geld, aber dringend notwendig, um sich Schutzkleidung zu besorgen, sagt sie. Es wäre ein wichtiger Schritt zurück in die Berufstätigkeit. Eine Ausbildung zur Industriekletterin hat sie bereits abgeschlossen, jetzt fehlt noch die Ausrüstung.

Seit acht Jahren bezieht Konopka Arbeitslosengeld 2. Ab dem Zeitpunkt, als ihre Tochter zur Welt kam. „Als Alleinerziehende Vollzeit zu arbeiten, ist unmöglich“, sagt Konopka. Sie habe es versucht, aber ihre Tochter litt darunter. „Nach zwei Wochen rief die Schule an, weil ihre Leistungen schlechter wurden“, berichtet Konopka. Dort hieß es, sie vernachlässige ihr Kind. Da entschied sich gegen die Stelle als Sozialarbeiterin und für ihr Kind. Mit Hartz IV komme sie schließlich auch über die Runden.

Als freiwilliger Dolmetscher im Jobcenter

Vom Jobcenter in Kreuzberg und dem Staat, der die 37-Jährige und ihre Tochter all die Jahre unterstützt hat, fühlt sie sich gerecht behandelt. „Ich bin nicht besonders anspruchsvoll“, ergänzt Konopka. Vor 20 Jahren kam sie als junge Frau aus Polen nach Deutschland. „In Polen gibt es sechs Monate Arbeitslosengeld und dann war es das.“ Dafür gehe es in Deutschland ziemlich fair zu, findet Konopka.

Durch die Ankunftshalle des Jobcenters wuselt unterdessen Mohamed Aziz. (Name geändert) Sicherheitskräfte verfolgen das Geschehen mit wachem Auge, ein pöbelnder Antragsteller wird von den Männern in Schwarz vor die Tür gesetzt. Aziz hat damit nichts zu tun. Mit Gebäude und Personal ist er dennoch bestens bekannt. 2016 kam er als syrischer Flüchtling nach Deutschland. „Von 9 bis 13 Uhr war ich täglich im Jobcenter, ohne Termin. Ich habe gedolmetscht und versucht, viel zu sprechen.“ So habe er die Sprache gelernt, die er nach zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland flüssig spricht. Heute will Aziz nicht seine Sprachkenntnisse vertiefen, sondern beruflich vorankommen.

Mit dem Arbeitslosengeld und seiner Nebentätigkeit kommt Aziz derzeit auf knapp 900 Euro. Das Geld reiche zwar aus, um seinem Vater in Syrien und der verstreuten Familie in Deutschland monatlich Geld zu schicken. Zufrieden ist der 22-Jährige mit seiner Stelle als Barkeeper aber nicht. Bevor der Bürgerkrieg ihn zur Flucht aus seiner Heimat zwang, habe er in Syrien das Abitur gemacht.

Bis er endlich in Deutschland studieren könne, sei es noch ein weiter Weg. Gerade hat Aziz sich für eine Ausbildung als Elektroniker beworben. „Wenn ich um sieben Uhr morgens aufstehen muss und nachts um eins nach Hause komme, ist das kein Problem. Mich ausruhen kann ich mich später immer noch“, erklärt er. Um richtig in Deutschland anzukommen, will er nicht mehr abhängig vom Staat sein. Egal, ob als Elektroniker oder Barkeeper. Den Namen Jens Spahn hat er noch nie gehört.

Paul Schwenn

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