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Das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.

© Boris Roessler/dpa

Streit um das EZB-Urteil des Verfassungsgerichts: Ein Konflikt, den keiner lösen kann

Die deutsche Regierung sagt wenig zu den Vorwürfen aus Brüssel, EU-Recht verletzt zu haben. Dafür zeigt sie diplomatisches Gefühl. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Etwas abseits der Aufmerksamkeit werden derzeit einige Wegmarken für den Fortschritt der Europäischen Union platziert. So hat die Bundesregierung im Streit mit der EU-Kommission um den Anwendungsvorrang des Europarechts zu einer Position gefunden. Sie lautet: Lasst uns bitte reden. Mehr reden.

Dies ist im Wesentlichen die deutsche Stellungnahme, die in einem aktuellen Vertragsverletzungsverfahren in Brüssel abgegeben wurde. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahrs 2020. In Karlsruhe hatte man Anstoß daran genommen, wie die Europäische Zentralbank (EZB) ihr geldpolitisches Mandat überdehnt und wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) diesem Handeln „ultra vires“, also aus Karlsruher Sicht jenseits EU-vertraglicher Befugnisse, juristisch absegnete. Es war das erste Mal, das deutsche und EU-Justiz in dieser Form aneinandergerieten, es wird wohl nicht das letzte Mal bleiben. Die Kommission leitet daraus den Vorwurf ab, die Bundesrepublik verletze EU-Vorschriften.

Der Weg in einen Bundesstaat sollte eine politische Entscheidung bleiben

Wie löst man einen Konflikt, in dem alle Seiten Recht haben? Um ein solches Dilemma handelt es sich. Der Anwendungsvorrang des Europarechts gehört zum breit akzeptierten Selbstverständnis in Brüssel wie beim Luxemburger EuGH. Zugleich ist der Letztvorbehalt nationalen Verfassungsrechts ein gut begründbares Instrument, um der Bundesrepublik einen Rest an staatlicher Souveränität zu erhalten. Der Weg weg vom praktizierten Mehrebenensystem, hin zu einer bundesstaatlichen Ordnung mit Brüssel an der Spitze, sollte eine politische Entscheidung bleiben und nicht in ein rechtliches Programm umgeformt werden. Der EuGH ist gleichwohl munter dabei. Da kann der scharfe Einspruch aus Karlsruhe orientierend wirken.

Recht haben alle. Das ist das Problem

Recht hat aber auch die EU-Kommission, als sie förmlich reagierte. Sie kann nicht tatenlos zusehen, wie sich ein Land wie Polen aus dem europäischen Konsens verabschiedet, indem es die Gängelung seiner Justiz als Reform verkauft. Die Sorge in Brüssel war groß, dort könne das deutsche Ausscheren als vorbildhaft empfunden werden, wenngleich sich die beiden Streitigkeiten fundamental voneinander unterscheiden: Warschau beansprucht Sonderwege, während Berlin lediglich ein Verfassungsgericht zu dulden hat, das seinerseits die Geltung von EU-Recht anmahnt. Schon aus Gründen der Gewaltenteilung sind hier Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive begrenzt.

Konflikte, die man nicht lösen kann, kann man nur befrieden. In diese Richtung zielt die deutsche Stellungnahme, die Festlegungen vermeidet und einen institutionalisierten Dialog zwischen den Gerichten anregt. Das sind Impulse, die man aufgreifen kann. Der Ball liegt jetzt in Brüssel.

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