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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer traditionellen Sommer-Pressekonferenz.

© Michael Kappeler/dpa

Merkels vorletzte Worte: Ein Jahr vor Amtsende hat die Kanzlerin noch viel vor

Angela Merkel zeigt sich bei der traditionellen Sommerpressekonferenz zufrieden mit sich selbst - und gibt Einblick in ihre Pläne für die nähe Zukunft.

Von Robert Birnbaum

Eine kleine Bilanz nach 15 Jahren? Oder wenigstens ein kleiner Ausblick auf die Rente? Och nö. „Mir geht die Arbeit jetzt nicht aus“, sagt Angela Merkel. „Bin voll beschäftigt mit der Ist-Zeit.“

Dabei gäbe es an diesem Freitag im Saal der Bundespressekonferenz durchaus Anlass für zumindest vorletzte Worte. In jedem Jahr, mal vor, mal nach den großen Ferien stellt sich die Bundeskanzlerin für eineinhalb Stunden den Fragen der Hauptstadtpresse. Dies ist also ihre Sommerpressekonferenz Nummer 15. Eine bleibt höchstens noch.

Aber Merkel macht ganz und gar nicht den Eindruck, dass sie ihr letztes Amtsjahr vorwiegend mit Abschiednehmen verbringen will. Sie hat noch allerlei vor.

Das hängt natürlich stark mit der Ist-Zeit zusammen, wie schon der Blick in den Saal illustriert. Wo sich sonst zu diesem Anlass Journalisten um Stehplätze am Rand drängeln, sitzen jetzt abgezählt 41 Kollegen auf weitem Corona-Abstand. Die anderen müssen fernsehen. Fragen stellen können sie trotzdem, digital.

Wann wird alles so wie früher?

Insofern ist doch fast alles wie immer, seit Helmut Kohl die Tradition in Bonn begründet hat. Man hatte ihm das damals übrigens nicht zugetraut. Kohls Verhältnis zur Presse war bekanntlich etwa so angespannt wie umgekehrt. Und er ging ein gewisses Risiko ein, denn anders als in der gesamten übrigen Welt üblich führen in der Bundespressekonferenz die Journalisten selbst Regie und nicht ein Regierungssprecher oder gleich ein Präsident der USA selbst, der unbotmäßige Fragesteller kurzerhand übergeht.

Der Regierungssprecher ist trotzdem da, aber nur als Beiwerk. Steffen Seibert knetet hinter der Brüstung des Podiums seine Hände und versucht ansonsten, das Bild einer lässig aufmerksamen Salzsäule abzugeben. Das Wort erteilt Jana Wolf von der Mittelbayerischen Zeitung. Merkel hilft bloß manchmal mit. „Das waren zwei Fragen“, rügt sie einen Übereifrigen, „is' auch mehrere Fragen“ bekommt ein zweiter zu hören. Sie kennt das Reglement.

Steffen Seibert ist seit August 2010 Sprecher der Bundesregierung.

© AFP

Aber zuerst, auch das ist Brauch, hat die Kanzlerin als Gast das Wort. Merkel spricht natürlich über Corona: diese „demokratische Zumutung“, die im Winter noch größer werden könnte als sie schon ist und deren Ende niemand absehen kann.Kritik an der Regierung wischt sie geschmeidig beiseite: Dass so viele Menschen in Risikogebieten Urlaub machen, dass ganz Spanien wieder eins werden würde, „das war doch nicht vorauszusehen“. Aber so was werde es immer wieder geben: „Wann immer wir Neues wissen, müssen wir auch neue Maßnahmen treffen.“

Später wird eine Fernsehjournalistin eine verzweifelte Zuschauerfrage weiterreichen: Wann wird alles wieder so wie früher? Erst wenn es eine Impfung gibt oder wirksame Medikamente, antwortet Merkel: „Drücken wir mal die Daumen.“ Aber was weiß sie, ob es „noch drei, noch zehn, noch zwölf, noch 15 Monate“ so weiter geht? „Die Hoffnung kann nur darin bestehen, dass wir mit der Wirklichkeit so umgehen, dass wir andere nicht gefährden.“

Euro, Ukraine, Flüchtlinge - die Kanzlerin der Krisen

Die Wirklichkeit – für Merkel ist sie seit langem der Maßstab. Nicht das Wünschbare, nicht das Erträumbare. Mit dem, was der Wirklichkeit so alles einfällt, hat man genug zu tun als Chefin der größten Wirtschaftsmacht Europas. Und die Pandemie ist die größte Herausforderung einer Kanzlerschaft, die immer in Krisen zu ihrer Form gefunden hat: Finanzkrise, Eurokrise, Ukrainekrise, Flüchtlingskrise.

Es fügt sich, dass die Virus-Krise zuletzt kam. Als frischbackene Kanzlerin hätte sie nicht gern mit all den Staats- und Regierungschefs nur per Video konferieren müssen, sagt Merkel. Heute geht das. Durch ihre sehr lange Zeit im Amt kenne sie die ja alle.

Für Merkel war das immer wichtig. Sie muss Leuten gegenüberstehen, um zu wissen, wie sie die nehmen muss. Später wird sie bekennen, dass ihr spontane Kontakte jetzt am meisten fehlten.

Es fügt sich auch, dass sie nicht mehr über Wahlkämpfe nachdenken muss oder über Stimmen auf Parteitagen oder die Empfindlichkeiten maulender Konservativer. „Glück“ mag sie das nicht nennen: „Ich halte es mit dem Motto: Alles hat seine Zeit.“

Aber wer hört, wie Merkel geradezu lustvoll ankündigt, dass sie der CDU-Frauenquote „aus vollem Herzen“ zustimmen werde, der muss schon zu dem Schluss kommen, dass ihr die Ist-Zeit gerade ziemlich gefällt. Dass sie sich voll aufs Regieren konzentrieren könne, fügt sie noch an, sei ja in dieser Situation sicher auch kein Nachteil: „Es ist schon eine sehr, sehr besondere Zeit.“

Keine Langeweile

Von langer Hand geplant war das nicht. Als Merkel vor zwei Jahren den Parteivorsitz abgab, fiel die Entscheidung nach Wahlniederlagen unter massivem Druck. Erst im Nachhinein erweist sie sich als der cleverste politische Zug, seit sie 2002 Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur überließ und sich damit taktisch die Zukunft sicherte.

Alle ihre Vorgänger trieb der Wähler aus dem Amt, die eigene Partei, politische Winkelzüge. Sie mussten Wochen und Monate zusehen, wie ihre Macht schwand. Kohl musste sich selbst vormachen, dass er 1998 eine letzte Chance bekäme. Gerhard Schröder konnte die Niederlage lange nicht fassen.

Merkel bleibt das alles bisher erspart, nicht zuletzt durch den Zufall der neuen Krise. „Sitz' ja hier, geschafft hat mich eigentlich nichts“, bescheidet sie eine Fragestellerin. Langeweile kommt auch nicht auf. Der Terminkalender, berichteten Mitarbeiter schon nach dem Rücktritt vom Parteivorsitz, sei voller als vorher. Und unter Corona-Bedingungen, erzählt sie selbst, bleibe erst recht nicht mehr Zeit als vorher, um mal über den Tag hinaus zu denken: weniger Reisen, leider, aber dafür mehr Videokonferenzen.

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Von nachlassender Kraft und Zähigkeit redet keiner mehr, seit die Zitteranfälle nicht mehr aufgetreten sind. Beim letzten EU-Dauergipfel war sie es, die den anderen drohte, dass man gerne noch lange weitermachen könne. Markus Söder zollte ihr nach dem letzten Corona-Treffen mit den Ministerpräsidenten Respekt für ihre Geduld.

„Jeder Tag zählt“

Dass sie die Landesfürstenrunde grenzwertig fand, lässt Merkel übrigens nur in einer Schweigesekunde aufblitzen. „Ich bin mit den Ergebnissen bis hierher“ - kurze Pause - „einigermaßen zufrieden.“

Aber gut, störrische Länderfürsten gehören zur Wirklichkeit. So wie der Brexit oder Donald Trump („Ich hab' immer gesagt, dass ich mit jedem gewählten amerikanischen Präsidenten zusammenarbeite.“), wie der Streit in der EU über die Migrationspolitik („Auch das kann man schaffen, wenn man will.“) oder um den Klimawandel.

Um den, sichert Merkel zu, werde sie sich noch kümmern, damit Europa das Ziel festschreibt, bis 2050 Co2-neutral zu sein. Also in 30 Jahren, keine lange Zeit, wenn man bedenke, dass die Einheit erst 30 Jahre zurückliegt.

Und keine lange Zeit mehr für sie, um die Zukunft mitzuprägen. Das weiß sie schon. Noch ein Jahr. „Das bringt es mit sich, dass jeder Tag zählt.“

Über das Danach hat sie wahrscheinlich wirklich keine Zeit nachzudenken. Lust schon gar nicht. Nein, die Traumreise durch die Rocky Mountains oder mit der Transsibirischen Eisenbahn hat sie noch nicht gebucht; sei ja auch schwierig mit Buchungen im Moment. „Ich werd' jetzt einfach noch weiterarbeiten, und dann wird sich was finden“, frotzelt Merkel. „Bin optimistisch, dass mir was einfällt.“

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