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SPD-Chef Sigmar Gabriel auf der Veranstaltung "Agenda 2016" im Verlagsgebäude des Tagesspiegels.

© Mike Wolff

Agenda 2016: Ein Jahr in fünf Minuten

Was wird im Jahr 2016 in der Politik wichtig? Auf der Tagesspiegel-Konferenz „Agenda 2016“ geben Fachleute auf diese Frage Antworten.

Brauchen wir das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP? Ja! Nein! Ja, aber nicht so! Zu dem Thema scheint bereits alles gesagt. Nein, ist es noch nicht, wie man am Montag bei der Konferenz „Agenda 2016“ im Berliner Verlagshaus des Tagesspiegels erleben durfte. Dort wurde nicht nur diese Prognose abgegeben: In einem Jahr, Ende 2016, werde die Öffentlichkeit im Zusammenhang mit TTIP weniger die Frage der Schiedsgerichte und gar nicht mehr über Chlorhühnchen diskutieren, sondern mehr über transatlantische Gemeinsamkeiten (demokratische Werte) und Unterschiede (juristisches Vorsorgeprinzip in der EU beziehungsweise Nachsorgeprinzip in den USA).

So wird’s auch auf dem Feld nie langweilig. Große Themen in knappen Thesen: Das ist das Prinzip dieses Konferenzformats. Mehr als 20 Verbandsvertreter hatten wie schon bei der ersten Konferenz vor einem Jahr exakt fünf Minuten Zeit, um drei Themen vorzutragen, die ihrer Ansicht nach im neuen Jahr ganz oben auf die politische Agenda zwischen Berlin und Brüssel gehören. Die Uhr lief sichtbar für alle im Saal ab. 30 Sekunden vor Schluss ertönt ein Räuspern, am Ende ein Glöckchen. Das diszipliniert Redner, die es ja in der Regel gewohnt sind, ausschweifend zu argumentieren.

„Es ist eine Win-Win-Win-Situation“, erklärte Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff zur Begrüßung. „Sie erfahren, was die wichtigsten deutschen Verbände – neben Ihrem – politisch für wichtig halten. Die Politik, namentlich die Regierung, erfährt, was von ihr erwartet wird. Und wir erfahren es auch.“ Für die Redner besonders interessant: Sie konnten die Wirkung ihrer Thesen und Wünsche unmittelbar testen, da alle Zuhörer per Knopfdruck auf einer Skala von 1 bis 5 abstimmen konnten, inwieweit sie die wichtigste der jeweils drei Forderungen für „dem Allgemeinwohl zuträglich“ halten. In einer weiteren E-Abstimmung gaben alle Gäste eine Einschätzung ab, für wie realistisch sie es halten, dass der größte politische Wunsch auch tatsächlich erfüllt wird.

Diese knallharte – weil anonym abgegebene – Blitzeinschätzung durch kompetente Verbandskollegen, Spitzenbeamte, Politiker und Wissenschaftler kann Glücksgefühle beim Lobbyisten auslösen. Oder Ernüchterung. Bei dem Forum Energie und Umwelt zeigte sich zum Beispiel, dass ein Drittel (32,7 Prozent) der mehrheitlich fachfremden Konferenzteilnehmer die Forderung, die Klimaerwärmung um mehr als zwei Grad müsse man durch den sukzessiven Ausstieg aus der Kohleverbrennung bis zum Jahr 2040 vermeiden, für am leichtesten durchsetzbar halten – sehr zur Freude von Fritz Brickwedde, dem Verbandspräsidenten des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE). Den Forderungen der vier anderen geladenen Stakeholder in dem Forum gaben die Zuhörer deutlich weniger Chancen. So gaben nur rund zehn Prozent der Teilnehmer die Einschätzung ab, der WWF könne sich mit seiner Forderung durchsetzen, Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) möge dem Kampf gegen die Tropenwaldzerstörung eine Top-Priorität einräumen – bei aller Sympathie.

Sigmar Gabriel zur Abschaffung der W-Lan-Störerhaftung: „Kann man machen. Kann man auch sein lassen“

So ging es weiter durch die Themen im Fünf-Minuten-Takt, mitunter im Twitter-Stil formuliert und auf unter 140 Zeichen verdichtet wie bei Stefan Genth, dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE: „Handel vor Ort: Allianz für Innenstädte! #gewerbesteuerreform #ladenschluss“, forderte er. Ein anderes Thema, das große Sympathien unter den Teilnehmern fand, war die Forderung nach Abschaffung der W-Lan-Störerhaftung in der Runde zum Komplex „Digital und Infrastruktur“. Dies erfuhr allerdings eine schnelle Erdung durch einen gewichtigen Gastredner am Nachmittag: Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Störerhaftung abschaffen? „Kann man machen. Kann man auch sein lassen“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Seiner Ansicht nach werde im kommenden Jahr vor allem wichtig, ob Deutschland es schafft, eine „doppelte Integrationsleistung“ zu vollbringen – die Flüchtlinge und „die, die schon hier sind“. So dürfe man Flüchtlinge und Arme nicht gegeneinander ausspielen. In dem Kontext bezeichnete er die Forderung der Arbeitgeberverbände, Ausnahmen für Flüchtlinge beim Mindestlohn zuzulassen, als „sozialpolitischen Sprengstoff“. Für Gabriel stehen – jenseits der Flüchtlingsfrage – vier große Themen auf der wirtschaftspolitischen Agenda 2016: die Digitalisierung, der Fachkräftemangel inklusive dem Thema Bildung, die Investitionsschwäche heimischer Unternehmen und die Energiewende. Hier gelte es, die erneuerbaren Energien („Die sind keine Welpen mehr, sie sind Jagdhunde“) an den Markt heranzuführen. Da dürften noch viele Gespräche geführt werden, sagte er. Bis zur „Agenda 2017“.

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