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Nirgendwo in Kolumbien gibt es mehr Landminenopfer als in Antioquia.

© REUTERS

Kolumbien: Ein Friedensvertrag und die Rückkehr auf vermintes Terrain

In Kolumbien unterzeichnen Farc und Regierung am Montag den Friedensvertrag. Nach 50 Jahren Bürgerkrieg ist aber auch der Beginn einer neuen Mammutaufgabe.

Von ihm aus überblickt man die gesamte Region. Der Cerro del Indio, der Indianerhügel, liegt strategisch perfekt an einer wichtigen Verbindungsstraße in der kolumbianischen Provinz Antioquia, unweit von San Francisco. Was die malerischen Felder und sattgrünen Kakaoplantagen im Hinterland von Medellin nicht erahnen lassen: Hier wütete der Bürgerkrieg besonders schlimm. Der schwer verminte Indianerhügel war seit 1995 eine inoffizielle Grenze. Dahinter begannen die Kokafelder, deren Kontrolle abwechselnd die linke Guerilla und rechte Paramilitärs innehatten. Mittendrin lag der Weiler Boquerón. 55 Familien, hauptsächlich arme Bauern, waren dort Geiseln. Die Trampelpfade waren vermint, die Straße blockiert. Wer Koka anbaute, musste den Kriegstreibern „Steuern“ für das Vorprodukt von Kokain bezahlen, wer nicht, wurde von ihnen mehr oder weniger nachdrücklich dazu angehalten. Dreimal wurden sie vertrieben, einmal von den Paramilitärs, dann von der Guerilla, dann durch eine Militäroperation. Den Zurückgebliebenen machte das verminte Terrain zu schaffen. „Ich hatte immer Angst, wenn ich aufs Feld ging. Viele Bekannte sind verstümmelt oder durch Minen getötet worden“, erzählt Kakaobauer Norberto Morales.

Heute versuchen er und 18 weitere Familien einen Neuanfang, ebenso ängstlich wie hoffnungsvoll. Das katholische Hilfswerk Misereor fördert das Rückkehrerprojekt drei Jahre lang mit 167.000 Euro. „In der Stadt hatten wir keine Arbeit. Wir lebten zusammengepfercht unter Wellblechdächern“, erzählt Morales. Voriges Jahr wurde San Francisco für „minenfrei“ erklärt – als eine der ersten Gemeinden überhaupt. Landminen sind kleine Artefakte, die in einen Handteller passen, aussehen wie zwei übereinandergestülpte Plastikdeckel – und die gemeingefährlich sind.

Kolumbien mit seinen gut 47 Millionen Einwohnern war jahrzehntelang ein Land, in dem täglich mehr Minen gelegt als geräumt wurden. Vor allem für die Guerilla waren die Minen ein billiges Mittel, um ihre Einflussgebiete gegen das technisch überlegene Militär abzusichern. Mehr als 300 Landminen hat das Räumkommando auf 340.000 Quadratmetern im Umkreis der Landgemeinde San Francisco gefunden. Nirgendwo in Kolumbien gibt es mehr Landminenopfer als in Antioquia. In den vergangenen 25 Jahren starben alleine in dieser Provinz 2483 Menschen durch Landminen oder wurden verstümmelt, in ganz Kolumbien sind es mehr als 11000. Während des Krieges wurden vor allem Soldaten Opfer, im Frieden sind Zivilisten und vor allem Kinder am meisten bedroht.

Die Minenräumung ist aber erst der Anfang

Teil des Friedensabkommens zwischen den linken Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) und der Regierung, das heute nach 50 Jahren Bürgerkrieg unterzeichnet werden soll, ist die Säuberung der betroffenen Landstriche. Das ist unumgänglich, um sie wieder bewohnbar und bebaubar zu machen, doch es ist eine teure Sysiphos-Arbeit. „Das wird Milliarden kosten, und wir könnten die gesamte von der EU zugesagte Hilfe von einer halben Milliarde Euro dafür aufwenden, hätten aber trotzdem nur einen Bruchteil gereinigt“, sagt Francisco García von der EU-Vertretung in Bogotá. Insgesamt dürften die Nachkriegszeit und der Wiederaufbau mehr als 31 Milliarden US-Dollar kosten, schätzen Experten. Alleine in San Francisco waren 70 Soldaten sieben Jahre lang mit der Minenräumung beschäftigt. 670 Gemeinden gelten im Land als betroffen. Bis zum Jahr 2021 wird die Räumung nach Schätzung der Regierung dauern.

Die Minenräumung ist aber erst der Anfang, wie in Boquerón klar wird. Die Regierung hat dort bisher eine Stromleitung gelegt, die zerbombte Grundschule wieder aufgebaut und mit Computern ausgestattet. Um den Aufbau ihrer Häuser und die Neubepflanzung ihrer Felder kümmern sich die Familien aus eigener Kraft, auch die gesprengte Brücke über den Fluss Rio Verde im Tal bauen sie selbst wieder auf. Zurückgekommen sind vor allem die Älteren. Jüngere, wie Morales’ Neffe Alvaro, sind zu traumatisiert. Er hat im Krieg seinen älteren Bruder verloren – Orestes wurde von Militärs verschleppt, umgebracht und anschließend als „erschossener Rebell“ den Medien präsentiert.

Heute besuchen nur acht Kinder die Grundschule, früher waren es 60. Die vertriebenen Kriegskinder sind in der Stadt aufgewachsen und haben keine Lust, zur Knochenarbeit aufs Land zurückzukehren. Der Alltag der Kleinbauern ist hart. Um einen Ausweg aus der Armut zu finden – und nicht schon bald wieder den Verlockungen des Koka-Anbaus zu erliegen –, brauchen sie technische Beratung, Transportmittel und Hilfe bei der Vermarktung ihrer Produkte, wie Jaime Gómez vom Bauernverband von Antioquia (ACA) betont. Gómez hilft den Bauern vor allem bei der Umstellung auf die Bio-Landwirtschaft.

Mehr als 220.000 Menschen starben in dem Konflikt

Kolumbiens Krieg war ein Krieg gegen die Landbevölkerung. Mehr als 220.000 Menschen starben, 6,6 Millionen wurden vertrieben, viele werden vermisst. Die Mehrzahl der Opfer sind Bauern, Arbeiter oder Slumbewohner. Sieben Millionen Hektar Land riss eine räuberische Elite – darunter Rinder- und Sojabarone, Palmölfirmen, Smaragdkönige wie der verstorbene Victor Carranza, aber auch Richter und Politiker – gewaltsam an sich. Fruchtbares Land, Land mit Gold, Smaragden und anderen Bodenschätzen. Der wirtschaftliche Faktor spielte eine weitaus wichtigere Rolle als die Ideologie. Das geraubte Land muss jetzt an seine Eigentümer zurückgegeben werden – und hier lauert die nächste Zeitbombe.

Land, das nun von multinationalen Firmen oder großen Konsortien bewirtschaftet wird, wollte die liberale Regierung ursprünglich nicht zurückgeben, sondern die legitimen Besitzer entschädigen. Bis ein Urteil des Verfassungsgerichts bekräftigte, dass die Rückgabe Vorrecht habe. Doch es ist ein mühsamer Prozess. Oft fehlen nötige Papiere und die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Bislang wurden nur 200.000 Hektar zurückgegeben. Und für viele Bauern beginnen mit dem Landtitel neue Probleme. Denn die Todesschwadrone, die die Bauern gewaltsam vertrieben, sind weiterhin auf freiem Fuß und versuchen, die Rückgabe zu verhindern. Seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Rückgabe wurden 63 Bauern und Landaktivisten ermordet. „Der Staat ist schwach, die Mörder werden selten zur Rechenschaft gezogen und die Straffreiheit nährt neue Gewalt“, sagt Priester Darío Echeverry, der bei den Friedensverhandlungen beratend zur Seite stand.

An der Landfrage hatte sich der Konflikt einst entzündet. Die Farc entstanden aus einer Bauernbewegung, die eine Landreform verlangt hatte und vom Staat brutal niedergeknüppelt wurde. „Unser Konflikt war einer aus dem vorigen Jahrhundert. Wir haben jetzt die Chance, dieses Problem endgültig zu lösen“, sagt Echeverry.

Dieser Beitrag entstand auf einer von Misereor finanzierten Reise.

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