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Der neue Steinmeier: "Flugschreiber - Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten"

© dpa/Maurizio Gambarini

Steinmeier-Buch "Flugschreiber": Ein "Erklärbuch", keine Bilanz

Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellt im Maxim-Gorki-Theater sein neues Buch vor. Seine künftige Aufgabe als Bundespräsident soll es aber nicht einläuten.

Von Hans Monath

Eines ist Frank-Walter Steinmeier an diesem Spätnachmittag im Gorki-Theater ganz wichtig: Seine neue Veröffentlichung, die er gerade auf der ziemlich kahlen Bühne gemeinsam mit Claudia Roth vorstellt, sei „keine Bilanz meiner Außenpolitik“, aber auch „kein Buch das künftige Aufgaben vorbereiten soll“, versichert der Außenminister: Es sei schlicht ein „Erklärbuch“.

Die künftige Aufgabe, das weiß an diesem Donnerstag natürlich jeder im vollbesetzten Saal, ist die des Bundespräsidenten: Der Kandidat der großen Koalition wird aller Wahrscheinlichkeit nach Mitte Februar von der Bundesversammlung zum Nachfolger von Joachim Gauck gewählt werden. Und deshalb löste das Erscheinen von Steinmeiers Buch „Flugschreiber. Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten“ (Propyläen Verlag) Anfang Dezember sofort Spekulationen aus, ob der voraussichtlich künftige erste Mann im Staate nicht alles von langer Hand geplant hatte und seinen kommenden Aufstieg publizistisch begleiten wollte. Diesen Verdacht jedenfalls will Steinmeier nicht stehen lassen.

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth hat da schon eine fulminante Lobrede auf das rund 240 Seiten starke Buch gehalten, die sie als Oppositionsvertreterin natürlich auch mit zwei Prisen Kritik salzt. Es gehe in dem Werk um die „Rolle von Dialog und Menschsein in der internationalen Politik“, meint Roth, die mit dem Autor vertraut scheint („Lieber Frank-Walter“). Das Buch zeige den Außenminister als Menschen in Begegnung mit anderen Menschen - „festgehalten in Bildungen und Geschichten – fast wie in einem Poesiealbum“.

Ein Außenminister ohne schwarze Schuhe - undenkbar

Roth schildert ein paar Szenen, die sie amüsiert oder ergriffen haben, da geht es darum, dass der Außenminister in der wichtigen Woche der UN-Vollversammlung in New York City plötzlich ohne schwarze Schuhe dasteht und sein Büroleiter schnell Ersatz auftreiben muss. Oder darum, wie er gemeinsam mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Wolgograd auf russische Überlebende der Stalingrad-Schlacht trifft, die vor dem deutschen Außenminister salutieren, was die Leserin Claudia Roth rührt, wie sie sagt.

Die ehemalige Grünen-Parteichefin macht deutlich, dass es in dem Band um mehr geht als nur um Anekdoten, nämlich um „Botschaften, die über die Amtszeit Steinmeiers hinausreichen“. Etwa um dessen Satz „Niemals darf die Diplomatie die Tür für Verhandlungen ganz zuschlagen“, der ihr gut gefällt. Oder um den Umgang mit der gewachsenen Verantwortung Deutschlands, den Glauben an Regeln und den Ausgleich von Interessen und auch den Mut, in ziemlich aussichtsloser Lager sich nicht von Ohnmacht überwältigen zu lassen und beharrlich weiter nach Wegen zu suchen, Gegner zusammenzuführen.

Aber es gibt auch etwas, das ihr weniger gefällt: Der Bezug auf die Menschenrechte tauche in dem Buch „nur vereinzelt und abstrakt auf“, sagt Roth, „es fremdelt sogar ein bisschen mit den Menschenrechten.“ Und auch der Deutsche Bundestag, das Parlament spiele nur eine Seitenrolle, moniert dessen Vizepräsidentin. An ihrer Empfehlung ändert das nichts: „Ich wünsche mir, dass dieses Buch bald vergriffen ist, denn es wird gebraucht“, erklärt sie und empfiehlt die kritischen Punkte bei der Neuauflage nachzubessern.

Der Autor selbst liest zwei Passagen aus dem Buch. In einer geht es um die Lehrerin einer Schule aus dem Donbas im umkämpften Gebiet der Ostukraine. Die Schule ist von Artilleriefeuer getroffen, die Direktorin schreibt an den deutschen Außenminister, der mit seinem Auswärtigen Amt Hilfe organisiert, 125 Fenster und Türen reparieren lässt. Einige Wochen später schreibt Frau Pistura wieder an Steinmeier: wieder Schäden durch Granatbeschuss, wieder organisieren die deutschen Diplomaten Hilfe. Die Geschichte, so schreibt ihr Autor, sei „sinnbildlich für Haltung in der Außenpolitik“. Beharrlichkeit zähle, Fortschritte seien „unendlich mühsam“, und Rückschritte unvermeidlich, manchmal sogar vorhersehbar. Und weiter liest der Minister vor: „Doch Aufgeben kann keine Option sein.“ Denn das hätte bedeutet, die Kinder und Jugendlichen um ihre Bildungschancen zu bringen. Ein halbes Jahr später habe die Schule wieder ihren regulären Betrieb aufgenommen.

Moderator Ulrich Deppendorf will wissen, was der Minister von der Forderung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, hält, Russland wegen seines Kriegseinsatzes in Syrien neue Sanktionen aufzuerlegen. Die Antwort fällt ziemlich knapp und kühl aus: „Man darf sich die Welt nicht einfacher machen, als sie ist“, meint Steinmeier: Noch habe niemand ihm darlegen können, wie Sanktionen etwa den Eingeschlossenen in Aleppo helfen könnten. Empörung oder starke Statements aber seien „noch keine Außenpolitik“.

Steht die Zukunft Europas auf dem Spiel?

Wenig diplomatisch reagiert der Autor auf die Moderatoren-Frage, ob in Europa eine weltoffene, liberale Politik noch eine Chance habe, wenn die Mehrheit der EU-Länder von Rechtspopulisten regiert werden. Dann, so sagt Steinmeier voraus, „werden wir nicht nur über Flüchtlingspolitik reden. Dann reden wir über die Zukunft der Europäischen Union und der Demokratie in Europa“. Es klingt schon, als zeichne sich da ein mögliches großes Thema des wahrscheinlich künftigen Präsidenten ab – freilich keines, auf das er sich freuen dürfte.

Claudia Roth versucht es noch einmal mit Attacken auf Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei (sie spricht konsequent von „Flüchtlingsdeal“), aber der Chefdiplomat bleibt gelassen, verteidigt das Abkommen mit Ankara als hilfreich für die Flüchtlinge und weist daraufhin, dass die Genehmigungspraxis für Waffen an die Saudis extrem restriktiv gehandhabt werde und deutsche Patrouillenboote von der Regierung des Königreichs nicht gegen die Opposition eingesetzt werden könnten. Der guten Stimmung auf dem Podium und auch im Saal tut die Auseinandersetzung ohnehin keinen Abbruch.

Moderator Deppendorf erinnert noch einmal an Roths Mahnung, die Rolle der Menschenrechte und die des Parlaments in einer zweiten Auflage zu überarbeiten, und will wissen, ob Steinmeier das aufnehmen werde. Der sagt freundlich-grummelnd, ironisch-resignativ: „Was bleibt mir anderes übrig...“ Dann sind zweieinhalb unterhaltsame Stunden Buchvorstellungen schon um, der Beifall ist heftig, der Minister signiert noch Dutzende seiner Bücher – und fährt dann sofort zum Flughafen. Er startet zur nächsten Dienstreise – in Syriens Nachbarland Libanon.

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