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Der Piks, der den Unterschied macht? Würden Geimpfte bevorzugt, wäre das Gleichheitsgebot in Gefahr, argumentiert Rechtsprofessor Boehme-Nessler.

© pJulian Stratenschulte/dpa

Pro und Contra: Mehr Rechte für Corona-Geimpfte?: Ein „Corona-Pass“ wäre Gift für die Demokratie

Die Einteilung von Menschen nach Impfstatus wäre ein staatliches Stigma, und das widerspricht der Idee der Menschenwürde total.

- Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Von 1998 bis 2014 war er als Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.

Die Briten impfen schon. In den USA und in Europa steht die Zulassung von Impfstoffen gegen das Coronavirus unmittelbar bevor. Also Licht am Ende des Tunnels. Jetzt wird der Corona-Pass wieder aktuell, über den bereits seit April immer wieder diskutiert wird. Die Idee ist ebenso einfach wie problematisch: Wer eine Infektion mit dem Corona-Virus überstanden hat oder dagegen geimpft wurde, ist mit großer Wahrscheinlichkeit immun und verbreitet das Virus nicht weiter. Ein Immunitätsausweis oder Corona-Pass könnte diesen Status bescheinigen. Für Menschen mit diesem Ausweis würden die restriktiven Corona-Regeln aufgehoben werden.

(Hier geht's zum Pro des Philosophen Markus Gabriel)

Der Corona-Pass hat den verführerischen Charme des gesunden Menschenverstandes. Falls Geimpfte immun sind, können sie andere Menschen nicht mehr anstecken. Abstandhalten ist dann nicht mehr nötig. Wer nicht mehr ansteckend ist, könnte wieder in Restaurants, Bars, Clubs gehen, Gottesdienste, Theater, Museen, Konzerte und Fußballspiele besuchen. Unter dem Strich könnte der Corona-Pass sogar ein Mittel sein, den Lockdown Schritt für Schritt zu lockern. Das würde den sozialen Druck deutlich verringern. Schaut man genauer hin, verliert die Idee einer staatlich bescheinigten Immunität aber an Attraktivität. Sie ist gesellschaftlich gefährlich und verletzt die Verfassung.

Denn der angedachte Immunitätsausweis schafft eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Er spaltet die Gesellschaft in Immune und Nicht-Immune. Über kurz oder lang würde der Immunitätsstatus über den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen und Ressourcen entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Arbeitgeber den Zugang zu bestimmten Berufen vom Nachweis der Immunität abhängig machen werden.

Im Fall von Gesundheitspersonal und in der Altenpflege ist das sinnvoll. Aber diese Praxis würde sich in vielen Branchen verbreiten. Immerhin senkt sie das Risiko, dass ein Arbeitnehmer andere ansteckt und selbst krankheitsbedingt ausfällt. Und warum sollte sich die Idee des Immunität-Ausweises auf Covid-19 beschränken? Die Konsequenz: Berufliche Chancen wären abhängig vom Immunitätsstatus.

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Andere Beispiele? Vereine könnten ein Corona-Zertifikat verlangen, bevor sie Mitglieder aufnehmen. Schulen, Universitäten und Hochschulen könnten den Zugang zu ihren Bildungsangeboten vom immunologischen Status abhängig machen. Die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Teilhabe würde von einem staatlich zertifizierten Gesundheitszustand abhängen. Das wäre eine neue Qualität der Exklusion. Das macht den Corona-Pass verfassungsrechtlich hoch problematisch. Er verletzt die Menschenwürdegarantie der Verfassung und den Demokratiegrundsatz.

(Lesen Sie hier bei T-Plus: Warum Genesene ein zweites Mal erkranken könnten)

Dabei ist Menschenwürde der wichtigste Wert im gesamten deutschen Recht. Sie bedeutet: Jeder Mensch hat Anspruch darauf, als Persönlichkeit geachtet zu werden, genau so, wie er ist und sein will. Die Menschenwürdegarantie schützt so Menschen, die von der Norm abweichen. Wer anders ist, darf nicht benachteiligt oder gar stigmatisiert werden.

Eine Demokratie setzt Vertrauen voraus, das würde ein Corona-Pass zerstören

Genau das tut der Corona-Pass aber. Er stigmatisiert die Menschen, die nicht immun und nicht geimpft sind. Sie werden offiziell als potenzielle Viren-Spreader gekennzeichnet, also als gefährlich oder unsozial. Das ist ein staatliches Stigma, und das widerspricht der Idee der Menschenwürde total.

Eine funktionierende Demokratie setzt intaktes Vertrauen voraus. Bürgerinnen und Bürger müssen ein Grundvertrauen in den Staat und seine Institutionen haben. Das reicht aber nicht: Sie müssen auch Vertrauen untereinander haben. In einer Demokratie muss sich die Minderheit den Mehrheitsentscheidungen beugen, auch wenn das schmerzhaft ist.

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Ohne ein Minimum an Vertrauen in die politische Urteilskraft und die Integrität der Mitbürgerinnen und Mitbürger ist das kaum denkbar. Der Corona-Pass zerstört dieses Vertrauen. Er spaltet die Gesellschaft. Er stigmatisiert Teile der Bevölkerung. Er schafft Privilegien, die auf dem Immunstatus beruhen. Der Glaube an die grundsätzliche demokratische Gleichheit geht verloren. Das Vertrauen in die Mitbürger leidet.

Menschen haben Rechte unabhängig vom Gesundheitszustand

Das hat eine fatale Folge. Vertrauensvolle Kompromisse, die Essenz der Demokratie, werden schwieriger. Stattdessen nimmt die misstrauische Konfrontation zu. Konflikte werden härter; friedliche Lösungen werden schwieriger und seltener. Anzeichen dafür lassen sich schon jetzt beobachten. Ein Beispiel: Die Diskussionen über die Corona-Maßnahmen werden unsachlicher und aggressiver.

Aus Mitbürgern, die eine legitime andere Meinung vertreten, werden zunehmend Gegner und sogar Feinde, die „das Falsche“ wollen. Ein Corona-Pass, der durch Stigmatisierung Gräben aufreißt, würde diese Entwicklung befeuern. Für die Demokratie wäre das fatal. Letztlich wäre der Corona-Pass ein Tabubruch. Menschenrechte stehen allen Menschen zu, völlig unabhängig vom Gesundheitszustand. Genau das würde sich durch den Immunitätsausweis ändern. Menschenrechte und Grundfreiheiten wären an den Immunstatus, also den Gesundheitszustand, geknüpft. Kurz: Wer bestimmte gesundheitliche Kriterien nicht erfüllt, hat weniger Freiheiten und Rechte. Mit unseren Menschenrechten in der Tradition der Aufklärung hätte das nichts mehr zu tun.

Volker Boehme-Neßler

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