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Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis steht unter Druck.

© AFP/Aris MESSINIS

Griechenlands Watergate: Ein Abhörskandal bringt Athens Regierung in Not

Der griechische Geheimdienst soll unter anderem einen Oppositionspolitiker abgehört haben. Der Premier bestreitet jede Verwicklung. Ist das glaubwürdig?

Ein folgenreicher Abhörskandal, der von Medien auch als griechische Watergate-Affäre betitelt wird, bringt die Regierung in Athen unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis zunehmend in Erklärungsnot. Bisher steht fest: Der griechische Geheimdienst hat die Telefone des Oppositionspolitikers und Europaparlamentariers Nikos Androulakis sowie des Finanzjournalisten Thanasis Koukakis überwacht. Mitsotakis streitet ab, davon gewusst zu haben.

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Dabei war er es, der nach seiner Wahl im Juli 2019 die Verantwortung für den Geheimdienst direkt in sein Büro holte. Nachdem griechische Medien den Skandal an die Öffentlichkeit gebracht hatten, trat der Chef des Geheimdienstes zurück. Auch Mitsotaki’ Büroleiter und Neffe, Grigoris Dimitriadis, direkt verantwortlich für die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Geheimdienst, musste gehen.

Der griechische Premier versprach lückenlose Aufklärung. Doch viele Fragen bleiben ungeklärt. Als sich Mitsotakis Anfang August per Videostatement zu Wort meldete, stellte er klar, dass die Überwachung von Nikos Androulakis, Chef der drittgrößten Partei des Landes, zwar nicht illegal, aber dennoch ein politischer Fehler gewesen sei.

Kein Wort dazu, dass auch der Journalist Thanasis Koukakis nachweislich überwacht wurde. Koukakis hatte im Umfeld der großen Piräus-Bank recherchiert und war so ins Visier der Behörden geraten, die ihn als Gefahr der nationalen Sicherheit betrachteten.

Wird die Affäre ein Fall für den Staatsanwalt?

Koukakis sieht auch vier Wochen nach der ersten öffentlichen Stellungnahme keinen Fortschritt. Es habe seitdem zwei Sitzungen der zuständigen Organe und des Transparenzausschusses des Parlaments gegeben – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. „In diesen Sitzungen hat die Regierungsmehrheit die Hauptverantwortlichen geschützt.

Diese durften sich auf Vertraulichkeit berufen und mussten nicht erklären, warum sie Androulakis beobachteten“, sagt er. Auch gebe es keine Antworten darauf, warum man ihn selbst überwachte zu einer Zeit, als er untersuchte, wie die Regierung durch Gesetze Finanzkriminalität begünstigte.

Unangenehme Fragen wirft außerdem die illegale Abhörsoftware Predator auf. Der technische Dienst des Europaparlaments konnte auf dem Handy von Nikos Androulakis den Versuch nachweisen, die Software zu installieren – erfolglos. Thanasis Koukakis dagegen klickte auf den Link, der von einer privaten Nummer auf sein Handy geschickt wurde und ermöglichte der Software somit unwissentlich Zugang.

Im Parlament wurde heftig über den Skandal debattiert.
Im Parlament wurde heftig über den Skandal debattiert.

© AFP/Aris Messinis

Über Wochen hatte eine bisher unbekannte dritte Partei Zugriff auf seine Daten. Die griechische Regierung weist alle Vorwürfe von sich, mit Predator in Verbindung zu stehen. Sollte herauskommen, dass Athen die Installation, wenn auch nicht durchgeführt, so aber doch veranlasst hat, wäre dies ein Fall für den Staatsanwalt.

Während Ministerpräsident Mitsotakis in einer vagen Stellungnahme Russland und die Türkei für die illegale Nutzung der Software beschuldigte, sehen Koukakis und seine Kollegen dafür keinen Anlass. Stattdessen fragen sie sich, warum die Athener Büros der Firma Intelexa, die die Software vertreibt, noch nicht von den Behörden durchsucht wurden.

Recherchen des griechischen Investigativnetzwerkes „Reporters United“ sowie des Nachrichtenportals „Inside Story“ hatten Verbindungen zwischen Intelexa und Grigoris Dimitriadis, dem Neffen sowie ehemaligen Büroleiters von Mitsotakis nachweisen können. Dimitriadis wies die Anschuldigungen von sich und erstattete Anzeige gegen die Journalisten.

Experten sehen große Probleme bei der Pressefreiheit

Die Mediensituation in Griechenland beunruhigt auch unabhängige Experten. Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen belegt das Land Platz 108 von 180 – die schlechteste Platzierung für ein EU-Land. Die Organisation bemängelt, dass Journalisten an ihrer Arbeit gehindert werden.

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So drohte Athen dem „Spiegel“-Reporter Giorgos Christides, der seit Jahren über die verheerenden Menschenrechtsverletzungen an der türkisch-griechischen Grenze berichtet, kürzlich mit rechtlichen Schritten. Anderen Journalisten geht es ähnlich. In den sozialen Medien werden regierungskritische Medienschaffende beschuldigt, türkische Propaganda zu verbreiten.

Die griechische Regierung unterstützt diese Rhetorik. In einem Interview beim regierungsnahen Sender Skai sagte Migrationsminister Notis Mitarachi unlängst, es gebe zwei Fronten: Die Türkei auf der einen, und linke Medien sowie Nichtregierungsorganisationen auf der anderen Seite.

Jamie Wiseman vom Internationalen Presseinstitut (IPI) kritisiert, Athen nutze politische Konflikte zur Ablenkung. „Obskure Erklärungen zur nationalen Sicherheit dürfen nicht dazu benutzt werden, die Überwachungsskandale unter den Teppich zu kehren“, sagt er. Bisher habe Athen versucht, die Skandale herunterzuspielen. Es fehle am nötigen Willen zur lückenlosen Aufklärung.

Florian Schmitz

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