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Versucht, Führungsstärke zu demonstrieren: Tschechiens Regierungschef Andrej Babis hat Gesundheitsminister Roman Prymula quasi entlassen.

© Michal Krumphanzl/dpa

Update

Drei Gesundheitsminister innerhalb eines Monats: Die Corona-Situation in Tschechien spitzt sich weiter zu

Die Corona-Zahlen steigen und steigen. Nun steht Tschechien auch noch ohne Gesundheitsminister da - weil er sich nicht an seinen eigenen Lockdown gehalten hat.

Die Corona-Pandemie in Tschechien spitzt sich weiter zu. Am Mittwoch meldeten die Gesundheitsbehörden mit 15.663 Fällen einen neuen Tagesrekord an Neuinfektionen. Tschechien verzeichnet derzeit mehr als 1150 neue Fälle pro eine Million Einwohner - die mittlerweile mit Abstand meisten in Europa. Das sind mehr als doppelt so viele wie in Frankreich und gar dreimal so viele wie in Spanien. Deutschland misst im Vergleich dazu nur rund 130.

Nur Belgien kommt ebenfalls auf mehr als 1000 neue Fälle pro eine Million Einwohner. Der Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl erreichte in Tschechien bereits am Samstag einen in Europa bisher nie da gewesenen Wert von 30,5 Prozent. 

In Frankreich und Spanien sind es weit unter zehn Prozent, Deutschland steht derzeit bei 3,3 Prozent. In wiederum Belgien und auch Polen ist die Lage mit einer Positivrate von rund 20 Prozent zumindest ansatzweise außer Kontrolle. 

Die Zahl der Todesfälle erhöhte sich am Montag um 164 auf 2365. Die Gesamtzahl der Todesopfer hat sich seit dem 13. Oktober etwa verdoppelt. Die Gesamtzahl der Infektionen hat sich in diesem Zeitraum auf rund 270.000 sogar mehr als verdoppelt. In Prag und Brünn werden auf dem Messegelände bereits Not-Krankenhäuser eingerichtet. Mehr als 13.000 Krankenschwester und Pfleger sind unter den Infizierten.

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Und als wenn das alles in Tschechien nicht schon genug wäre, wird die Führung im Gesundheitswesen nun schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats ausgetauscht. 

Die mit letzte Amtshandlung von Gesundheitsminister Roman Prymula war es am Montag, die Corona-Maßnahmen noch weiter auszuweiten und eine nächtliche Ausgangssperre zu verhängen. Die bis dahin geltenden Maßnahmen waren Prymula zum Verhängnis geworden. 

Nicht, dass Regierungschef Andrej Babis ihm die Schuld für die hohen Zahlen gegeben hätte - die waren unter seinem Vorgänger Adam Vojtech bis Ende September bereits in die Höhe geschnellt. Prymula war es als einer der führenden Epidemiologen sogar, dem die strengen Maßnahmen und niedrigen Zahlen zu Beginn der Pandemie zu verdanken waren.

Seinen eigenen Maßnahmen wurden im zum Verhängnis: Tschechiens Gesundheitsminister Roman Prymula.
Seinen eigenen Maßnahmen wurden im zum Verhängnis: Tschechiens Gesundheitsminister Roman Prymula.

© Imago

Nun aber geschah es, dass Prymula dabei fotografiert wurde, wie er ohne Maske spät abends ein Luxusrestaurant in der Hauptstadt Prag verlässt und in einen Wagen mit Fahrer steigt. Dabei hat er selbst die Maskenpflicht im Freien durchgesetzt und sich für die Schließung von Restaurants und Bars stark gemacht. Ein Lockdown, an den sich nicht mal der führende Epidemiologe hält?

Die Bilder entwickelten am Wochenende schnell eine politische Dimension. Der Druck wurde so groß, dass Regierungschef Babis sich gezwungen sah, seinen eigentlichen Corona-Hardliner zum Rücktritt aufzufordern. Babis nannte dessen Fehlverhalten „unentschuldbar“.

Babis ruf zu Urlaub-Verzicht auf - und fuhr selbst

Babis, der sich einen ähnlichen Bock selbst im Sommer geleistet hatte. Damals rief er seine tschechischen Landsleute dazu auf, in den Ferien zu Hause zu bleiben - und wurde selbst im Urlaub auf Kreta abgelichtet.

Am Donnerstag soll bereits ein neuer Gesundheitsminister ernannt werden, so schreiben es tschechische Medien. Es soll der Arzt Jan Blatny werden. Er wird der dritte seit Ende September sein. Damals war Adam Vojetch zurückgetreten, weil die Corona-Zahlen nach einem vergleichsweise vorbildlichem Frühsommer rasant stiegen.

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Eine Rolle spielten damals wohl auch Kommunikationsprobleme Vojetchs und, dass Babis eine erneute strikte Maskenpflicht ablehnte - daraufhin war auch schon Regierungsberater und Epidemiologe Ratislav Radar zurückgetreten. Mit Prymula sollte nun alles besser werden. 

Er war schon als oberster Epidemiologe im Frühjahr in Erscheinung getreten. Die Zahlen waren so niedrig, dass die Tschechen bereits im Juni das Coronavirus als besiegt feierten. Die Maskenpflicht wurde gelockert, Kontaktbeschränkungen gleich mit. Der Bumerang kam schnell zurück.

Mit dem beliebten Prymula konnte auch der angeschlagene Babis selbst sein Ansehen ein wenig aufbessern und verkündete auf Anraten Prymulas dann doch wieder strengere Maßnahmen. Es gilt erneut, wie im Frühjahr, der Notstand. 

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Am Montag hatte die Regierung eine nächtliche Ausgangssperre angekündigt. Von Mittwoch an dürfen die Menschen zwischen 21 Uhr und 5 Uhr ihre Häuser nicht mehr verlassen, wie Prymula bekannt gab. Die bisherigen Maßnahmen hätten nur wenig Wirkung gezeigt, sagte der 56-Jährige.

Da wusste er schon, dass in wenigen Tagen ein anderer Gesundheitsminister anstelle seiner eine solche Maßnahme verkünden würde. Seinen Restaurantbesuch rechtfertigte er damit, dass er sich mit dem Fraktionsvorsitzenden der populistischen Regierungspartei ANO, Jaroslav Faltynek, getroffen habe.

Faltynek erklärte, man habe „Dinge bei einem Kaffee besprochen“. Auch den Parteivize forderte Regierungschef Babis zum Rücktritt auf. Babis, der am Dienstag versuchte, Führungsstärke zu demonstrieren - indem er ankündigte, den geltenden Notstand um einen Monat bis zum 3. Dezember zu verlängern.

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