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Die neuen Parteichefs der Grünen: Annalena Baerbock und Robert Habeck.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Doppelspitze Baerbock und Habeck: Die grüne Sehnsucht nach dem Neuanfang

Annalena Baerbock und Robert Habeck: Die Grünen wählen zwei Realos an die Parteispitze. Die Flügelfrage spielt keine Rolle mehr.

Sie weiß, wie viel jetzt von diesem Auftritt abhängt. Annalena Baerbock geht auf die Bühne, zehn Minuten hat sie für ihre Bewerbung als Grünen-Chefin. An der Wand hinter dem Rednerpult steht das Parteitagsmotto: „… und das ist erst der Anfang“. Es klingt wie ein Versprechen – und Baerbock löst es ein. Sie reißt den Parteitag mit, immer wieder wird ihre Rede von Applaus unterbrochen.

Die 37-jährige Grünen-Politikerin aus Brandenburg knüpft sich die große Koalition vor („Das Abrücken von den Klimazielen ist kein Zufall, das ist die Handschrift von RWE und Leag“). Sie verspricht ihrer Partei, dass radikal und staatstragend kein Widerspruch sein müssen. Und sie geht selbstbewusst mit dem Hype um Robert Habeck um, der sich nur wenig später als Grünen-Chef bewerben wird. „Wir wählen hier nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern die neue Bundesvorsitzende“, ruft sie. Nach ihrem Auftritt ist klar: Sie ist an diesem Wochenende der heimliche Star des Parteitags.

Mit einer deutlichen Mehrheit von 64 Prozent setzt Baerbock sich gegen ihre Konkurrentin durch. Die Niedersächsin Anja Piel vom linken Flügel erhält nur 34 Prozent der Stimmen.

Dabei hatte auch Piel mehr als Höflichkeitsapplaus erhalten. Viele Redner lobten, dass es beim Frauenplatz Auswahl gebe. Piel hatte dezidiert linke Akzente gesetzt. Die Grünen seien viel mehr als eine Ökopartei, mahnte sie. „Wir müssen Glaubwürdigkeit beim Thema Gerechtigkeit zurückgewinnen.“ Doch gegen Baerbock hatte die 52-Jährige, der zwischendurch wegen einer Erkältung auch noch die Stimme wegblieb, keine Chance.

Die Grünen zeigen auf dem Parteitag: Es gibt eine große Sehnsucht nach einem Neuanfang – und aus Sicht der Delegierten verkörpert das Duo Baerbock/Habeck diesen am besten. Dass die beiden offiziell zu den Realos zählen, tritt da in den Hintergrund. In den meisten Redebeiträgen spielt die Flügelfrage keine Rolle.

Die Hoffnung: Über das grüne Milieu hinaus wirken

Als Robert Habeck am Samstag ans Rednerpult tritt, ist die Luft schon ein wenig raus. Der Umweltminister aus Kiel ist der Hoffnungsträger der Grünen, viele versprechen sich von ihm, dass er Wähler über das grüne Milieu hinaus ansprechen kann. Trotzdem ist seine Wahl kein Selbstläufer, weil er seine Bewerbung mit der Forderung nach einer Satzungsänderung verknüpft. Doch den Nervenkrimi, ob der Parteitag ihm diese gewährt, hat er schon am Vorabend hinter sich gebracht. Jetzt geht es nur noch um die Frage, ob sie ihm zum Start ins neue Amt einen Dämpfer verpassen.

Habeck nutzt seine zehn Minuten für einen Grundsatzvortrag. Er wirft die Frage auf, was heute noch links oder liberal sei. Er spricht von wachsenden Kluften in der Gesellschaft, er redet vom Streiten und Versöhnen und der Fähigkeit, Zweifel zuzulassen. Seiner Partei verspricht er Einmischung. „Das bedeutet Schmerzen. Aber diese Schmerzen bringen uns zum Glühen.“

Die Delegierten hören ihm aufmerksam zu. Für die Fähigkeit, mal eben die großen Linien zu skizzieren, lieben sie ihn hier. Mit 81 Prozent wird er gewählt, ein ordentliches Ergebnis. Habeck zeigt sich dankbar: „Was ich geworden bin, bin ich durch euch geworden“, sagt er. „Lasst mich ein bisschen davon zurückgeben.“

Noch am Freitagabend hatte er bangen müssen. Erst um Mitternacht war es so weit: Mit 78 Prozent beschlossen die Grünen, dass Habeck auch nach seiner Wahl zum Parteichef für acht Monate Umweltminister in Kiel bleiben darf. Dass dieser Antrag deutlich mehr als die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten würde, hatten viele vor Beginn der Parteitags nicht erwartet. Ein Vertrauensvorschuss.

Habeck zeigt Verständnis für seine Kritiker

Habeck steht um Mitternacht vorne neben der Tribüne, er wirkt fast ein wenig gerührt. Er sei dankbar für die „große Solidarität“ der Partei, sagt er später. Schließlich hatte er selbst lange nicht gewusst, ob er durchkommen würde. Die Satzungsänderung war in Teilen der Partei ja auch auf heftigen Widerstand gestoßen. „Ich lasse mich von dir nicht erpressen“, schimpft die Delegierte Claudia Schmidt aus dem Kreisverband Wuppertal, bevor es an die Abstimmung geht. „Ich will, dass nicht nur ein paar wenige die Macht auf sich vereinen“, kritisiert der Berliner Werner Graf.

Habeck selbst umwirbt auch seine Kritiker. Lange war er unsicher, ob er sich überhaupt in die Satzungsdebatte einmischen sollte. Aber dann redet er doch in eigener Sache, zeigt Verständnis für diejenigen, die sich gegen ihn auflehnen. In Zeiten zunehmender Prinzipienlosigkeit verdiene es hohe Anerkennung, wenn jemand an Grundsätzen festhalte. Und natürlich habe er „richtig Muffensausen“ vor der Doppelbelastung. Aber er verspricht: „Mit wenig Schlaf und keinem Alkohol geht das für eine gewisse Zeit.“

Doch einen Einwand will Habeck nicht gelten lassen. Nämlich, dass es zu permanenten Interessenkonflikten kommen werde, wenn er als Minister der Kieler Jamaika-Koalition Kompromisse vertrete, die er als Bundesvorsitzender kritisieren müsse. Das Bild, dass ein Parteichef „grüne Ideale“ hochhalte, während Minister „prinzipiell Verrat“ begingen, sei falsch. Er war mit dem Versprechen angetreten, seine Regierungserfahrung auch zu einem Teil der Parteistrategie zu machen.

Göring-Eckardt fällt im ersten Versuch durch

Für ein bisschen Chaos ist der Parteitag am Samstagabend dann doch noch gut. Als die Delegierten am Ende den Parteirat wählen, erlebt Katrin Göring-Eckardt ein Déjà-vu. Die Chefin der Bundestagsfraktion kandidiert für das Führungsgremium, eigentlich müsste dieser Platz ihr sicher sein. Schließlich hat die Thüringerin ihre Partei als Spitzenkandidatin in die Bundestagswahl geführt. Doch der erste Anlauf geht schief.

Göring-Eckardt hat diese Situation im Jahr 2006 schon einmal erlebt. Damals war sie Bundestagsvizepräsidentin, auch damals fiel sie überraschend bei den Parteiratswahlen durch. Doch nun tritt sie im zweiten Wahlgang noch einmal an. Während sich die männlichen Kandidaten für das 16-köpfige Gremium vorstellen, laufen Göring-Eckardts Unterstützer durch die Gänge und werben für sie. Im zweiten Anlauf schließlich gelingt ihr der Einzug, sie erreicht exakt die erforderliche Stimmenzahl.

Warum es im ersten Wahlgang nicht klappte, darüber gibt es unterschiedliche Spekulationen. War es vielleicht sogar ein Denkzettel? Einige vermuten, es habe sich eher um einen Unfall gehandelt. Zu viele Delegierte seien sich offenbar sicher gewesen, dass Göring-Eckardt auf jeden Fall gewählt werde.

Für einen anderen prominenten Grünen reicht es nicht: Reinhard Bütikofer verpasst den Einzug in den Parteirat. 339 Delegierte unterstützen ihn zwar. Doch am Ende fehlen ihm 15 Stimmen.

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