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Ein Testlauf in einem Impfzentrum.

© imago images/Jochen Tack

Die wichtigsten Fragen vor dem Impfstart: Dürfen Hotels, Restaurants oder Veranstalter Geimpfte bevorzugen?

Kurz vor dem Jahreswechsel sollen in Deutschland die Corona-Impfungen beginnen. Wer zuerst dran ist und was sich im Umgang mit der Pandemie jetzt ändert.

Rund zehn Monate nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa wollen Deutschland und die anderen Länder der Europäischen Union kurz vor dem Jahreswechsel mit den ersten Impfungen gegen das Virus beginnen. Die Impfzentren sind aufgebaut, die Abläufe erprobt.

Alles wartet nur auf die Zulassung des Impfstoffs der Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA und die EU-Kommission, die Anfang kommender Woche erfolgen soll.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte am Freitag in Berlin die Impfordnung vor, die unter anderem regelt, wem wann das Angebot einer Impfung gemacht wird. „Wir können zu Beginn der Impfung nicht allen gleichzeitig dieses Angebot machen. weil es zu wenig Impfstoff gibt“, sagte Spahn. Zunächst gehe er davon aus, dass im ersten Quartal 11 bis 13 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen.

Wer wird zuerst geimpft?

Grundsätzlich kann sich jeder impfen lassen, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, sich längerfristig oder regelmäßig hier aufhält sowie Personen, die in der Pflege in bestimmten Einrichtungen im Gesundheitswesen in Deutschland arbeiten, auch wenn sie nicht hier wohnen. Da es besonders am Anfang nicht genug Impfstoff für alle geben wird, sind nach Spahns Plan die Menschen, die als erstes geimpft werden sollen, in drei Gruppen eingeordnet.

Angefangen wird mit den über 80-Jährigen, den Höchstbetagten, den Pflegebedürftigen und denjenigen, die sie pflegen und betreuen. Zur ersten Kategorie von „höchster Priorität“ gehören daher auch medizinisches Personal auf Intensivstationen, in Notaufnahmen, im Rettungsdienst sowie Personal im ambulanten Pflegebereich.

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Zur zweiten Kategorie zählen demnach Personen ab 70 Jahren, Demenzkranke, Menschen mit Trisomie 21 und Transplantationspatienten, zudem Bewohner von Obdachlosen- oder Asylbewerberunterkünften und enge Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen.

Die dritte Kategorie umfasst über 60-Jährige, chronisch Kranke, Personen „in besonders relevanter Position in staatlichen Einrichtungen“ sowie Erzieher, Lehrer und Mitarbeiter im Einzelhandel.

Warum wird die Impfpriorisierung nicht per Gesetz geregelt?

Spahn hat eine Rechtsverordnung zur Verteilung des Impfstoffs vorgestellt, also eine Vorschrift aus der Exekutive. Wesentliche Entscheidungen, die Grundrechte berühren, müssen als Grundlage jedoch ein Gesetz haben, also eine Entscheidung der Legislative sein. Entsprechend hat die FDP einen Entwurf vorgelegt, auch die Grünen meinen, dass der Bundestag darüber abstimmen müsse.

Unterstützung bekommen sie vom Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments: „Der überwiegend vertretenen Auffassung, wonach die Priorisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen beim Zugang zu Impfstoffen eines förmlichen Gesetzes bedarf, das zumindest die wesentlichen Kriterien für die Verteilung eines knappen Impfstoffes regelt, ist zuzustimmen“, heißt es in einem Gutachten.

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Grund dafür ist die zentrale Bedeutung des Impfstoffs für Leben und Gesundheit und die Monopolstellung des Staates, über die Verteilung zu entscheiden. Die Regierung kann sich bei ihrem Vorgehen allerdings auch auf ein Gesetz berufen, das kürzliche erlassene „Dritte Bevölkerungsschutzgesetz“, das den Erlass von Rechtsverordnungen für die Impfstoff-Verteilung vorsieht.

Vorteil einer solchen Regelung ist, dass sie kurzfristig geändert oder angepasst werden kann, je nach Pandemieverlauf. Ob die gesetzlichen Grundlagen im Hinblick auf die Bedeutung der Priorisierung ausreichend differenzieren, werden absehbar Gerichte entscheiden müssen.

Was fordert die Wirtschaft mit Blick auf die Impfungen?

In den USA werben große Unternehmen offensiv dafür, dass ihre Mitarbeiter schnellstmöglich geimpft werden. So hat Amazon die US-Regierung in einem Brief gebeten, bei der Impfung besonders wichtige Angestellte wie Mitarbeitende in Warenlagern und Datenzentren zu bevorzugen; diese könnten nicht von zuhause aus arbeiten. Der Einzelhändler-Verband US National Retail Federation hatte bereits eine ähnlich lautende Bitte eingereicht.

Auch in Deutschland sind die Impfpläne von Bund und Ländern vielen Unternehmern nicht ambitioniert genug. In Bremen hat sich ein Bündnis von Unternehmen gegründet, das den Behörden anbietet, die Zahl der Impfungen signifikant zu erhöhen. „Laut der Gesundheitsbehörde sollen dort 1000 bis 1500 Personen pro Tag geimpft werden“, sagte Detlef Pauls, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Bremen dem Tagesspiegel. „Bei 500 000 Einwohnern dauert das viel zu lange.“

Ein Impfzentrum in Hamburg.
Ein Impfzentrum in Hamburg.

© imago images/Chris Emil Janßen

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Das Bündnis will die Zahl auf 15 000 Impfungen pro Tag erhöhen. Dafür sollen Mitarbeiter, die derzeit in Kurzarbeit sind, beim Aufbau und der Organisation weiterer Impfzentren helfen. „In Berlin gibt es ein konstituiertes Bündnis wie in Bremen noch nicht“, teilte die Berliner Industrie- und Handelskammer auf Anfrage mit. Man habe Berliner Firmen aber dazu aufgerufen, die Impfzentren zu unterstützen.

In der Wirtschaft ist man zudem dafür offen, die Impfungen auch von Betriebsärzten durchführen zu lassen oder den Bund logistisch zu helfen.

Können Firmen überhaupt helfen?

In der Gesundheitsbranche bezweifelt man allerdings, dass Hilfe aus der Wirtschaft notwendig ist. Mit Blick auf die medizinische Infrastruktur in Deutschland gebe es keinen Engpass, sondern allenfalls beim Impfstoff selbst, heißt es von Experten. Probleme gebe es nur, solange einzig der Biontech-Impfstoff zur Verfügung steht, weil der bei Minus 80 Grad Celsius gelagert werden muss.

Dass private Initiativen die dafür nötige Infrastruktur schaffen können, wird in der Branche bezweifelt. Sobald der Impfstoff von Moderna verfügbar ist, der nicht so kühl gelagert werden muss, kann der Impfstoff auch in Arztpraxen gespritzt werden. Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge könnte die Impfung dann in fünf Monaten flächendeckend durchgeführt werden.

Dürfen Hotels, Restaurants oder Veranstalter geimpfte Kunden bevorzugen?

Das Bundesjustizministerium hat dazu einen klaren Standpunkt. „Ganz allgemein gilt, dass es privaten Anbietern, etwa Inhabern von privaten Gastronomie-, Beherbergungs- und Veranstaltungsbetrieben, im Rahmen der Vertragsfreiheit freistehen kann, den Abschluss von Verträgen oder den Zutritt zu ihren Liegenschaften zu verweigern“, sagte ein Sprecher.

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Unter privaten Anbietern herrscht Konkurrenz, so dass abgewiesene Kunden auf einen anderen Anbieter ausweichen können. Begrenzt wird diese Freiheit theoretisch nur durch Anti-Diskriminierungsvorschriften nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Eine Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften wird darin aber nicht verboten.

Wie ist die Lage bei Fluggesellschaften und Verkehrsunternehmen?

Die nationale australische Fluggesellschaft Quantas hat es schon klargestellt: Sobald ein Impfstoff verfügbar sei, würden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Airline angepasst. Zumindest Passagiere auf Interkontinentalverbindungen müssten dann geimpft werden.

Mit Blick auf den Abschluss von Beförderungsverträgen weist das Bundesjustizministerium auf teilweise bestehende gesetzliche Kontrahierungszwänge hin. So nennt man die Pflicht eines Unternehmens, mit einem Kunden einen Vertrag abschließen zu müssen.

Solche Regeln gibt es unter anderem im Allgemeinen Eisenbahngesetz und im Luftverkehrsgesetz. Daraus folgt aber noch nicht, dass es unzulässig sein muss, Reisende ohne Impfbestätigung abzuweisen. Teilweise könnten sich die Unternehmen auf Ausnahmebestimmungen berufen. Eine wichtige Rolle werden auch nationale Einreisebestimmungen spielen.

Wie wird der Datenschutz gewährleistet?

Ob eine Person geimpft wurde oder nicht, gehört zu den nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) besonders geschützten Gesundheitsdaten. Grundsätzlich müssen Betroffene danach „freiwillig“ in die Datenverarbeitung (und Erhebung) einwilligen und es muss in engem Zusammenhang mit der Vertragserfüllung stehen.

Im Ergebnis dürfte es darauf hinauslaufen, dass die Datenverarbeitung umso eher zulässig ist, wie Infektionsgefahren entstehen oder durch die Vertragserfüllung begünstigt werden. Demnach werden Fluglinien oder Busreisen-Anbieter wohl solche Gesundheitsdaten erheben, Onlinelieferdienste wie Amazon eher nicht.

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