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Ferda Atman soll neue Leiterin der Antidiskriminierungsbehörde werden.

© Sarah Eick

Antidiskriminierung in Deutschland: Die vielen Baustellen der Gleichstellungspolitik

Eine neue, reguläre Leitung für die Antidiskriminierungsbehörde und überhaupt mehr Sensibilität: Kommt Gleichstellungspolitik nun endlich aus der Exotenecke?

Vier Jahre hat es gedauert. Jetzt bekommt die „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ (ADS) endlich wieder eine reguläre Leitung. Führen soll die kleine Behörde, so hat es das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen, künftig Ferda Ataman. Die 42-jährige Journalistin, studierte Politologin und frühere Tagesspiegel-Kollegin ist nicht nur die erste mit Migrationshintergrund auf dem Posten. Sie dürfte auch die bisher bestvorbereitete Leiterin der Stelle sein - nach Fachkenntnis wie Verwaltungserfahrung.

Bis vor zehn Jahren leitete sie die Öffentlichkeitsarbeit der ADS und gründete anschließend den "Mediendienst Integration", einen Fachinformationsdienst, der Journalist:innen Wissen über Vielfalt und Migration zur Verfügung stellt und erst recht seit der Pandemie digital Fachgespräche zum Thema in alle Winkeln der Republik möglich macht. Seit sie im April 2016 die Leitung an Mehmet Ata abgab, stritt Ataman als Buchautorin, Kolumnistin und Rednerin für die Einwanderungsgesellschaft und scheute auch Konflikte nicht. Horst Seehofer wollte wegen einiger kritischer Bemerkungen von Ataman sogar einmal nicht aufs Podium im Kanzleramt, weil sie auch dort saß.

Was Personalien über Antidiskriminierungspolitik sagen

Wenn die freundliche Streitbare in der nächsten Woche als erste in diesem Amt vom Bundestag gewählt werden sollte, darf der bisherige Mann an der Spitze, Bernhard Franke, in den Ruhestand wechseln. Der steht dem 68-jährigen Juristen eigentlich längst zu. Vier Jahre lang, seit Frankes frühere Chefin Christine Lüders in Rente ging, hielt er die engagiert die Stellung, - aber eben nur kommissarisch.

Das lange Interregnum in der ADS lässt sich als Zeichen sehen, welche Rolle sie bisher für die Politik spielte. Die kleine Behörde – unabhängig, aber unter dem Dach des Familienministeriums – wurde 2006 eingerichtet, im Gefolge des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“ (AGG), das in der Bundesrepublik mehrere EU-Richtlinien gegen Diskriminierung umsetzen sollte. Richtig Lust hatte man offensichtlich nicht darauf. Brüssel musste der deutschen Politik erst mit mehreren Vertragsverletzungsverfahren Beine machen.

Schon um den Namen des Gesetzes, des ersten deutschen, das den Artikel 3 des Grundgesetzes im Alltag greifbar machen sollte, gab es Hakeleien. „Diskriminierung“ sollte nicht drin stehen, man entschied sich für das freundlichere Wort „Gleichbehandlung“. Die deutsche Wirtschaft hatte das Vorhaben erfolgreich bekämpft. Eine Klagewelle werde auf Arbeitgeber:innen zukommen, Beschäftigte oder Bewerber:innen für einen Job Gründe suchen, warum es bei ihrer Einstellung oder Beförderung nicht mit rechten, also gerechten Dingen zugegangen sei, und sich über die fällige Geldstrafe ein Zubrot sichern. Nichts davon geschah seitdem, die Urteile nach AGG lagen Jahr für Jahr im mittleren zweistelligen Bereich. Was wohl auch mit der Zahnlosigkeit des Gesetzes zusammenhängen dürfte. Ein Verbandsklagerecht gibt es in Diskriminierungsfällen nicht. Wer gegen Ungleichbehandlung vorgehen will – das sind in der Statistik der ADS überwiegend Zurücksetzung am Arbeitsplatz oder bei der Stellensuche – „braucht gute Nerven und viel Geduld“, wie Franke nach seinem ersten Jahr im Amt 2019 feststellte. Die Hürden seien „hoch und Betroffene auf sich allein gestellt“.

Die Mehrheit der Deutschen nimmt Rassismus ernst

Ein Verbandsklagerecht gibt es im Gesetz nicht, das es Fachorganisationen möglich machen würde, für sie vor Gericht zu ziehen. Die Gründe für eine Klage sind außerdem eng gefasst. Ethnie, Geschlecht, Alter, Religion und Behinderung – soziale Ausgrenzung etwa gehört nicht dazu, obwohl ein Viertel der Einkommensärmsten solche Erfahrungen macht. Diskriminierung durch den Staat, auf Ämtern und in der Schule ist gar nicht erst Teil des Gesetzes. Diese enorme Lücke hat bisher erst ein Bundesland geschlossen – Berlin, mit seinem Landesantidiskriminierungsgesetz von 2020.
Die ADS schlug sich gleichwohl ordentlich, mit weniger Personal und Budget als europäische Schwesterbehörden, zum Beispiel im Nichtmehr-EU-Land Großbritannien. Ihrer Kernaufgabe – Beratung – kommt sie mit Auskünften am
Telefon oder via Internet nach, sie klärt in Wort und Videos über Diskriminierung auf und über Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, und vergab auch immer wieder Forschungsaufträge, beispielsweise zum Ausmaß sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, den Vorurteilen gegen sexuelle Minderheiten oder über diskriminierende Algorithmen.
Im vergangenen Jahr erschien der „Afrozensus“, ebenfalls von der ADS gefördert, der erstmals Daten zur Lage Schwarzer Menschen in Deutschland erhob – mit dem Ergebnis, dass lediglich etwas mehr als zwei Prozent von ihnen nicht diskriminiert werden, der Alltag der meisten von Rassismus bestimmt und ständig eingeschränkt wird.
Untersuchungen wie diese stehen für einen veränderten Umgang mit dem Thema auch in der deutschen Öffentlichkeit. Auftraggeberin war das Schwarze Selbsthilfe- und Bildungsprojekt Eoto, die Daten die ersten über die Lage von
Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland. Selbstorganisationen von Minderheiten in Deutschland werden in den vergangenen Jahren öfter gehört,gefördert, sie sind selbst stärker geworden, die Communities wachsen, auch durch europäische und nichteuropäische Einwanderung und Flucht. Die Aufdeckung der NSU-Mordserie, die Morde von Hanau und Halle, die Ermordung des christdemokratischen Landrats Walter Lübcke wegen seines Engagements für Geflüchtete waren nationale Schockerlebnisse, die das Problem Rassismus immer wieder ins Licht einer größeren Öffentlichkeit rückten. In der Vergangenheit ist mehr Staatsgeld denn je geflossen, um es zu erforschen und zu bekämpfen.

In einer Bevölkerung, die dafür erstaunlich sensibel ist: Der ebenfalls öffentlich finanzierte „Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ (Nadira) kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass fast alle wissen: Es gibt Rassismus in
Deutschland; zwei Drittel (65 Prozent) haben ihn sogar entweder selbst erlebt, sei es als unmittelbar Betroffene oder als Zeug:innen diskriminierender Kontrollen und durch Berichte betroffener Kolleg:innen oder Freunde.
Dieser neuen sozialen Wirklichkeit hinkt die Politik – und vor allem das geltende Recht – nach wie vor hinterher, meint Eva Maria Andrades. Die Juristin leitet den
Antidiskriminierungsverband Deutschland – Lobby und Zusammenschluss von aktuell 30 Mitgliedsorganisationen der Antidiskriminierungsarbeit. Auf dem Feld sei „auf jeden Fall in den vergangenen 15 Jahren viel geschehen“. Nur: „Rechtlich ist
zuletzt 2006 etwas passiert, als das AGG kam. Seitdem: Nichts.“

Nur Berlin hat bisher ein Antidiskriminierungsgesetz

Und das AGG sei eben zu schwach. Recht sei zwar nicht alles, so Andrades im Gespräch mit dem Tagesspiegel, nur ein starkes Gesetz werde Diskriminierung nicht verhindern, aber: „Rechte sind fundamental, sie geben einen Rahmen, der nicht hintergehbar ist.“

Um sie dann auch durchzusetzen, müsse die Antidiskriminierungsstelle des Bundes besser ausgestattet werden: „Das können Nichtregierungsorganisationen nicht leisten, das kann nur eine starke Institution .“ Ein stärkeres Gesetz und eine stärkere Bundesbehörde könnten dann einen allgemeinen Impuls für Antidiskriminierungspolitik setzen. „Bewusstsein und Mittel“ für den weißen Elefanten Diskriminierung – von allen gesehen, aber stets geleugnet – sind nach Andrades' Beobachtung in weiten Teilen Deutschlands noch gering. Ein Anfang dafür ist jetzt gemacht, wenn auch noch ein bescheidener. Um die leidige Führungsfrage für die ADS rasch zu lösen, hat die Ampel Ende April das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erst einmal repariert: Die neue Leitung wird künftig vom Bundestag gewählt - Ferda Ataman wird die erste sein - und soll fachlich klar qualifiziert sein. Bisher geschah die Benennung recht freihändig im Ministerium. Die erste Behördenchefin Martina Köppen hatte vor allem Erfahrung in katholischer Lobbyarbeit und schwamm in Fachfragen unübersehbar. Ataman, die auf Köppens engagierte Nachfolgerin Lüders folgt, bekommt zudem eine Amtszeit von fünf Jahren, um unabhängiger von der Regierung und der vierjährigen Legislaturperiode zu werden.

Eine Rundumsanierung des Gesetzes soll folgen. „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel. „Sehr sehr dünn“ findet Eva Maria Andrades diese Formulierung. Wenn es der Regierung ernst sei mit der Antidiskriminierungspolitik, werde sie „an einem Bundesantidiskriminierungsgesesetz wohl nicht vorbeikommen“, das unter anderem Gewaltschutz, Beratung und Aufklärung in die Fläche bringen, „an die Wurzeln“ des Problems gehen und dafür auch die Mittel sichern müsse.

Die neue Leiterin der ADS wird Teil dieses Prozesses sein. Ferda Ataman stehe "für großes Engagement für eine inklusive, demokratische Gesellschaft". Im neuen Amt werde sie mit Sicherheit "denjenigen eine starke Stimme verleihen, die in Deutschland Diskriminierung erfahren" twitterte am Mittwoch Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Wer Ataman kennt, weiß: Womöglich mehr, als Teilen der Regierung lieb ist.

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