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Freund des Lappens: Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) beim Besuch eines Bio-Bauernhofs in Baden-Württemberg.

© dpa/Bernd Weißbrod

Kretschmanns Waschlappen, Jaraschs Katzenwäsche: Die Verzichts-Bekenntnisse sind unangebracht

Kürzer duschen, besser gar nicht: Deutschlands Politik überbietet sich mit Selbstauskünften aus dem Bad. Das verdeckt die soziale Schieflage. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Adrian Schulz

Die Beichte aus dem Badezimmer ist zur neuen Tugend geworden. „Ich mache morgens nur Katzenwäsche“, sagte Berlins grüne Umweltsenatorin Bettina Jarasch am Mittwoch. Damit meinte sie möglichst kurzes Duschen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann legt prompt nach. In einem Interview bekennt er: „Man muss nicht dauernd duschen. Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung.“

Waschlappen, ernsthaft? Gibt es nicht dringlichere Themen? Die Gas-Krise? Die Klimakatastrophe? Die soziale Spaltung im Land? Sicher – aber alle diese Probleme klingen an, wenn Kretschmann über den Waschlappen spricht. Der Lappen soll aufgewertet werden, verheißt er doch nichts Gutes: Der gewohnte Lebensstandard gerät in Gefahr.

Wenn Politiker zu derart privaten Bekenntnissen greifen, dann, weil sie die Bevölkerung von etwas überzeugen wollen, das Not tut: vom Sparen. Weil sie sie auf das vorbereiten wollen, was kommt. Weil sie sie krisenfester machen wollen. Und wer andere überzeugen will, fängt bei sich selbst an.

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Politische Inszenierungen gehen immer tiefer ins Private

Das ist legitim. Politiker sollen Vorbilder sein. Dass sich solche Bekenntnisse nicht überprüfen lassen, liegt in der Natur der Sache. Was geht wirklich unter Frau Jaraschs Dusche vor? Und vor Herrn Kretschmanns Waschbecken? Das bleibt ihr Geheimnis.

Politik ist eine Bühne, auf der Erzählungen vorgetragen werden. In Zeiten sozialer Medien reichen die immer tiefer ins Private. Wer Aufmerksamkeit für sein Anliegen gewinnen will, muss auffallen. Nicht anders kalkulierte FDP-Mann Wolfgang Kubicki, als er im Juni erklärte, besonders lang zu duschen.

Auch die Forderung nach Sparsamkeit ist nicht falsch. Niemand weiß, ob die Gas-Vorräte im Winter reichen. Angesichts extremer Trockenheit ist selteneres und kürzeres Duschen ohnehin angebracht. Wer duscht, verbraucht laut Umweltbundesamt zwischen 12 und 15 Liter Wasser – pro Minute. Auch aus Sicht von Dermatologen ist Duschen nicht jeden Tag nötig. Die Reinigung mit Seife und Waschlappen kann genauso sauber und behaglich sein: Das werden viele aus Kindertagen bestätigen.

Das Problem an den Bad-Geständnissen

Aber die aktuellen Verzichtsappelle wirken unangebracht – wegen des mangelhaften politischen Umgangs mit den extremen Preissteigerungen. Der Gaspreis für Neukunden hat sich innerhalb eines Jahres verdreifacht. Die meisten Bürger wissen oder ahnen, wie viele hundert Euro sie wohl draufzahlen müssen.

Die Bundesregierung, an der auch Kretschmanns und Jaraschs Grüne beteiligt sind, agiert hilflos. Heckt zunächst eine Umlage aus, um Gasversorger zu retten, dann die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas, um die Gemüter zu beruhigen. Aber die zentrale Frage bleibt unangetastet: Warum sollten die Belastungen nicht vor allem diejenigen treffen, die mehr Geld zur Verfügung haben?

Für viele Bürger erscheinen die Appelle wie Hohn

Viele Menschen machen sich Sorgen, wie sie es angesichts der gestiegenen Preise bis ans Monatsende schaffen sollen. Ihnen müssen die Verzichtsbekenntnisse von Leuten, die das Fünf- oder Zehnfache verdienen, wie Hohn vorkommen. Jarasch und Kretschmann haben die Wahl. Für sie – und andere Menschen mit ihrer Gehaltsstufe – ist Verzicht eine Option. Für die meisten anderen wird er dagegen zum bitteren Zwang, der Angst hervorruft, Scham und Ärger.

Ein Ökonom kritisierte kürzlich eine „Politik nach dem Gießkannenprinzip“. Man sah sie beim Tankrabatt, von dem – in absoluten Zahlen – diejenigen am meisten profitierten, deren Autos den größten Tank haben; ebenso bei der Energiepauschale, die, abzüglich Steuern, auch Spitzenverdiener erhalten; und nun bei der pauschalen Entlastung von Gaskunden.

Wenn die Gesellschaft krisenfest in diesen Winter gehen soll, dann müssen die in die Pflicht genommen werden, die am meisten stemmen können. Olaf Scholz wurde zum Kanzler mit einem Wahlkampf, der auf Gerechtigkeit und „Respekt“ gesetzt hat. Erst danach sollten Politiker wieder über Waschlappen reden.

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