zum Hauptinhalt
Ein ukrainischer Soldat im Einsatz naher der ostukrainischen Stadt Novoluhansk.

© Aris Messinis/AFP

Ex-Brigadegeneral Wittmann erklärt: „Die Ukraine hat jedwede Unterstützung verdient – auch Waffenlieferungen“

Die Nato unterstützt die Ukraine nicht erst seit der offenen und verdeckten Aggression durch Russland. Klaus Wittmann zeigt auf, was noch möglich ist.

Interview mit Klaus Wittmann; er ist Brigadegeneral a.D. und lehrt Zeitgeschichte an der Universität Potsdam. Er macht auf einige weithin unbekannte Aspekte im Zusammenhang mit der Bedrohung der Ukraine durch Russland aufmerksam.

Kurz bevor Russlands Präsident Wladimir Putin mit der Anerkennung der besetzten Gebiete in der Ost-Ukraine neue Fakten geschafften hat, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz von der Nato geradezu verzweifelt „offene Antworten“ auf die Frage nach einer Aufnahme seines Landes in das Bündnis verlangt. Wie offen können aus Ihrer Kenntnis der Vergangenheit solche „offenen Antworten“ sein?
Sie lässt sich aus der offiziellen „Erweiterungsstudie“ ablesen, die von der Nato 1995, noch vor den ersten Einladungen zum Beitritt herausgegeben wurde. Da heißt es in Absatz 6: “Staaten, die ethnische Streitigkeiten oder externe territoriale Streitigkeiten, einschließlich irredentistischer Ansprüche, oder interne Zuständigkeits-streitigkeiten haben, müssen diese Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln im Einklang mit den OSZE-Prinzipien beilegen. Die Beilegung solcher Streitigkeiten wäre ein Faktor bei der Entscheidung, ob ein Staat zum Beitritt zum Bündnis eingeladen wird.“ Vorher also keine Einladung.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Was heißt das für die Lage heute?
Das heißt, dass Moskau es (leider) in der Hand hat, durch Krim-Annexion und Krieg im Donbass eine Nato-Einladung an die Ukraine zu verhindern.

Aber 2008 gab es beim Nato-Gipfel in Bukarest dann nochmal Streit um den  „Membership Action Plan“, genannt MAP.
Beim dem Nato-Gipfel in Bukarest wollten vor allem die USA als nächsten Schritt im Beitrittsverfahren Georgien und die Ukraine in den MAP aufnehmen, was keinen Konsens fand und besonders von Frankreich und Deutschland abgelehnt wurde. Die Bedeutung des MAP wurde allerdings sowohl von Russland als auch von vielen Verbündeten völlig überschätzt.

Inwiefern überschätzt?
Der MAP leitet lediglich eine möglicherweise sehr lange Phase konkreter Vorbereitungen und Anpassungen des Beitrittsaspiranten ein. Der Kompromiss zwischen den Positionen der USA und den Gegnern bestand dann in folgendem allgemeinem Kommuniqué-Satz: „Wir sind übereingekommen, dass diese beiden Länder Mitglieder der Nato werden.“ Der Zeithorizont blieb unbestimmt.

Dennoch eine Perspektive, die Moskau nicht gefallen konnte.
Richtig, zumal man offen eingestehen muss: Während die erste Erweiterungsrunde 1999 durch die Nato-Russland-Grundakte und die Schaffung des Nato-Russland-Rats „abgefedert“ wurde und die zweite 2004 durch die Aufwertung des Rats, gab es vor Bukarest keinerlei Gespräche mit Russland über dieses Thema. Aber ist das eine Rechtfertigung für Kriege gegen diese Länder?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

So scheint es Russlands Präsident Wladimir Putin zu sehen. Er hat nach der Anerkennung der besetzten Gebiete abermals die nicht eingehaltenen Zusagen der Nato bezüglich Osterweiterung als Begründung angeführt.
Die behaupteten „Zusagen der Nato“ einer Nichterweiterung nach Osten gab es nicht, sondern lediglich gesprächsweise Bemerkungen einzelner. Damals waren diese völlig hypothetisch, weil der Warschauer Pakt und die Sowjetunion noch bestanden. Außerdem hätte keiner der diesbezüglich immer wieder zitierten Politiker (z.B. Kohl, Wörner, Baker, Genscher) überhaupt nur die Befugnis gehabt, namens des Bündnisses eine derartige Festlegung zu treffen. Die wäre ja faktisch einer Absage an  Artikel 10 des NATO-Vertrags und an ein wichtiges Prinzip der Schlussakte von Helsinki von 1975 und der „Charta von Paris für ein neues Europa“ von 1990 gleichgekommen.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Neue Aufregung um alte Vorwürfe: Hat der Westen Moskau den Verzicht auf die Nato-Osterweiterung versprochen?.]

Was kann die Nato der Ukraine denn anbieten?
Die Nato unterstützt die Ukraine nicht erst seit der manifesten - offenen und verdeckten - Aggression durch Russland. Schon 1997 wurden gleichzeitig mit der NATO-Russland-Grundakte die Vereinbarung über eine „Besondere Partnerschaft“ mit der Ukraine abgeschlossen und die NATO-Ukraine-Kommission gegründet.

Was macht die?
Sie unterstützt die Ukraine bei Streitkräfteentwicklung, demokratischer Kontrolle, Ausbildung usw. Diese Abmachung war Ausdruck der Bedeutung, welche die NATO-Mitgliedstaaten Souveränität und Integrität dieses größten europäischen Landes zumaßen. Angesichts der heutigen existentiellen Bedrohung hat die Ukraine jedwede Unterstützung verdient, diplomatisch und nach meiner persönlichen Auffassung auch durch Waffenlieferungen und Sanktionierung Russlands bereits für die Bedrohung der Ukraine, die im Widerspruch zu Artikel 4 der UN-Charta steht.

Was ist Ihr Resümee bisher?
Der Kreml will die Ukraine  in seine exklusive Einflusssphäre zurückholen. Viele in Deutschland betrachten sie als Objekt zwischen Ost und West und finden Gefallen an einem ukrainischen Neutralitätsstatus. Den besaß die Ukraine 2014. Das Ergebnis ist bekannt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false