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Nach der Landtagswahl in NRW 2017: Die Spitzenkandidaten Christian Lindner und Armin Laschet halten den Koalitionsvertrag in den Händen.

© Imago/Reiner Zensen

Die SPD und der Osten: Jamaika wäre eine westdeutsche Regierung

Die SPD hat die Wahl im Osten gewonnen. Jetzt muss sie ihre Versprechen einlösen, sagt der Sozialdemokrat Carsten Schneider und erklärt wie. Ein Gastbeitrag.

Die SPD hat die Bundestagswahl gewonnen – so weit, so klar. Besonders stark hat sich die politische Landkarte jedoch im Osten verschoben. Der solide bundesweite Vorsprung der Sozialdemokraten vor der CDU speist sich in erster Linie aus dem großen Abstand in Ostdeutschland.

Bundesweit liegt die SPD 775.950 Stimmen (1,6 Prozentpunkte) vor der Union. Im Osten beträgt der Abstand zwischen SPD und CDU rund 600.000 Stimmen (7,3 Prozentpunkte), im Westen hingegen nur 180.000 Stimmen (0,5 Prozentpunkte). Das bedeutet: Der Bundes-Vorsprung der SPD speist sich zu drei Vierteln (76 %) aus dem Ost-Vorsprung.

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Erstmals seit 2005 ist die SPD wieder stärkste Kraft in Ostdeutschland, vor vier Jahren hatte sie noch auf Platz 4 gelegen. Damals konnte sie nur einen Wahlkreis direkt gewinnen, diesmal stolze 24 Wahlkreise. Dagegen ist die CDU am Sonntag im Osten krachend gescheitert. Sie konnte nur noch acht Wahlkreise direkt holen, das sind 36 weniger als 2017. In allen fünf ostdeutschen Ländern landete sie auf Platz drei, im Schnitt acht Punkte hinter der SPD. 

Der Osten macht den Unterschied

Nicht zum ersten Mal ist Ostdeutschland bei Bundestagswahlen das Zünglein an der Waage. Im Osten leben zwar nur 15 Prozent der Wahlberechtigten. Die Verschiebungen in der Wählerschaft sind aber häufig größer als im Westen und damit entscheidend für den Wahlausgang.

So gewann Gerhard Schröder im Jahr 2002 auch deshalb gegen Edmund Stoiber, weil die SPD in den neuen Ländern 40 Prozent der Stimmen holte. Und im Jahr 2013 die konnte die schwarz-gelbe Koalition nicht in die Verlängerung gehen, da die FDP im Osten schwächelte und schließlich unter die 5-Prozent-Hürde fiel. 

Wie ist der Erfolg der SPD im Osten zu erklären? Drei Gründe sind zentral. Erstens ist auch drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung die wirtschaftliche Lage im Osten schlechter als in den alten Ländern. Rund 40 Prozent der Beschäftigten arbeiten zu Niedriglöhnen von weniger als 12 Euro.

Sie erhalten damit später auch eine Rente unterhalb des Sozialhilfesatzes. Olaf Scholz´ Kernversprechen, für stabile Renten und einen Mindestlohn von 12 Euro zu sorgen, setzte also an der Lebensrealität sehr vieler Menschen an. Dazu passt: Einer Umfrage zufolge finden 82 Prozent der Ostdeutschen, der Wohlstand in Deutschland sei nicht gerecht verteilt.

„Es kann doch nicht sein, dass ich 40 Jahre gearbeitet habe und dann zum Sozialamt muss“, solche Sätze habe ich in Erfurt und Weimar häufig gehört, nicht erst in diesem Wahlkampf. Bei aller Freude über die Erfolge beim Aufbau Ost dürfen wir nicht vergessen, dass er hart erarbeitet wurde. Gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, die ostdeutschen Unternehmen zu stärken, bei Forschung und Entwicklung eine ordentliche Schippe draufzulegen und für auskömmliche Löhne im Osten zu sorgen – dies alles zählt zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung. 

Die unaufgeregte Haltung von Olaf Scholz hat einen Nerv getroffen

Zweitens hat Olaf Scholz neues politisches Vertrauen aufgebaut, indem er „Respekt“ in den Mittelpunkt seiner Kampagne gestellt hat. Zwei Drittel der Ostdeutschen fühlen sich als „Bürger zweiter Klasse“. Kein Wunder, dass sie auch deutlich skeptischer auf die Demokratie, ihre Institutionen und Verfahren schauen. Das Versprechen, mehr Respekt gerade auch den Lebensleistungen der Ostdeutschen entgegen zu bringen, hat im Osten einen besonderen Nerv getroffen.

Auch die Ankündigung, den Ausstieg aus der Kohle nicht überstürzt, sondern planmäßig und mit den versprochenen Strukturwandelmitteln fortzuführen, war dabei entscheidend. Denn Strukturbrüche mit all ihren wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen kennen die Ostdeutschen aus eigener Anschauung noch zur Genüge. 

Hinzu kommt drittens, dass im Osten Personen und ihre Glaubwürdigkeit eine besonders große Rolle spielen. Die unaufgeregte, pragmatische und entschlossene Haltung, mit der Olaf Scholz Politik macht, zahlte sich für die SPD aus. In der Kanzlerpräferenz lag Scholz im Osten noch stärker vorn als im Westen.

Auch der riesige Erfolg der SPD in Mecklenburg-Vorpommern ist zu einem guten Stück auf das unideologische und zupackende Politikverständnis von Manuela Schwesig zurückzuführen. Hingegen hatten weder die CDU, noch Grüne und Linke Identifikationsfiguren im Angebot, die die Herzen und Lebenslagen der Ostdeutschen erreichen konnten. 

[Lesen Sie auch: Wo er herkommt, wo er hinwill: Der lange Lauf des Olaf Scholz (T+)]

Ein kurzer Blick auf die Wahlkreiskarte in Ostdeutschland zeigt: Eine Regierung aus Union, Grünen und FDP würde nicht nach Jamaika führen, sondern ins Nirgendwo. Es wäre eine westdeutsche Regierung, die im Osten von zwei Dritteln der Bürgerinnen und Bürger nicht gewollt ist. Deshalb gilt: Die Stärke der SPD im Osten muss sich auch in der neuen Regierung abbilden. Nur so können wir die Gesellschaft zusammenhalten und die demokratische Mitte stärken. 

Die Sozialdemokraten müssen dem Osten mehr Beachtung schenken

Dabei muss die neue Bundesregierung den besonderen Lebensbedingungen in Ostdeutschland mehr Beachtung schenken. Das fängt mit der Repräsentation von Ostdeutschen in Institutionen und Unternehmen an, geht über die Stärkung zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen bis hin zur konkreten Verbesserung der Lebensumstände vieler Menschen.

Dazu gehört auch, dass der Staat in Landstrichen, die dünn besiedelt sind und auf wirtschaftlich schwachen Beinen stehen, mehr Verantwortung für öffentliche Infrastruktur übernimmt. Beispielsweise könnten die Kriterien für Bundesprogramme geändert werden, so dass strukturschwache Regionen einen Bonus für erhalten, damit sie mehr öffentlichen Nahverkehr oder digitale Infrastruktur bereitstellen können. 

Die Regierung darf den Vertrauensvorschuss der Wählerinnen und Wähler nicht enttäuschen, besonders im Osten haben die Menschen ein feines Gespür dafür, ob Versprechen auch umgesetzt werden. Nur so kann es in den kommenden Jahren gelingen, die AfD weiter an den Rand zu drängen. Die Sozialdemokraten haben den Schlüssel zu ihren alten Wählergruppen wiedergefunden und manche Schlösser auch schon geknackt, während die CDU ihre Schlüssel offenbar verloren hat. Entscheidend ist, diese Schlüssel jetzt auch zu nutzen.

Carsten Schneider ist Thüringer Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion.

Carsten Schneider

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