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Selfie mit Schatzmeister: Dietmar Nietan (Mitte) mit Fraktionschefin Andrea Nahles und Parteichef Martin Schulz.

© Michele Tantussi/AFP

Die SPD nach dem Wahldesaster: Herr Nietan muss sparen

Die Verluste bei der Bundestagswahl reißen ein Millionenloch in die Kassen der SPD. Ihr Schatzmeister will nun das Willy-Brandt-Haus reformieren.

Von Hans Monath

Es war ein Schock für die Schatzmeister der im Bundestag vertretenen Parteien, als nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen vor neun Tagen plötzlich die Möglichkeit von Neuwahlen ganz nah rückte. Auch Dietmar Nietan, der Hüter des Geldes bei den Sozialdemokraten, musste erst einmal schlucken, nachdem FDP-Chef Christian Lindner die Gespräche mit Union und Grünen abrupt beendet hatte. Neuwahlen? Der SPD-Schatzmeister weiß nur zu gut, dass Werbeagenturen, Plakate, Fernsehspots, Reisekosten und Saalmieten erst einmal bezahlt werden müssen. Ein Bundestagswahlkampf ist teuer.

Geschätzte 24 Millionen Euro hat die Kampagne der SPD in diesem Jahr gekostet – ein Betrag, den Schatzmeister Nietan gewöhnlich über Jahre hinweg ansparen kann. Nun könnten im schlimmsten Fall schon bald wieder zweistellige Millionenbeträge aus dem SPD-Haushalt fällig werden, für die er anders als in weniger bewegten Zeiten keine Rücklagen bilden konnte.

Nicht nur politisch, sondern auch in Hinsicht auf die Finanzen wären Neuwahlen deshalb eine heikle Angelegenheit für die SPD. Denn Nietan, der seit Januar 2014 Schatzmeister ist, steht nach dem Desaster von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei der Bundestagswahl (20,5 Prozent) ohnehin unter Druck: Der Verlust von 5,2 Prozentpunkten oder 1,7 Millionen Stimmen reißt ein großes Loch in den Haushalt der ältesten deutschen Partei.
Denn der Staat bezuschusst die Parteien je nach Stimmenzahl. "Im schlimmsten Falle könnten wegen der Verluste bei der Bundestagswahl der gesamten Partei 2,4 Millionen Euro an jährlichen Einnahmen verloren gehen", sagt der 53-jährige Bundestagsabgeordnete. Da die Landesverbände der SPD davon ein Drittel tragen müssen, würden dem fast 40 Millionen Euro umfassenden Haushalt des Parteivorstands in diesem Worst-Case-Szenario etwa 1,5 bis 1,6 Millionen Euro pro Jahr fehlen.

Noch redet der SPD-Schatzmeister nur über Möglichkeiten, nicht über Tatsachen. Denn der Bescheid der Bundestagsverwaltung über die Zuwendungen nach der Bundestagswahl wird erst für Anfang 2018 erwartet. Nietan stellt sich darauf ein, dass die Prüfung durch die Experten des deutschen Parlaments in diesem Jahr besonders schwierig wird. Denn die staatlichen Zuwendungen dürfen die Summe der Eigeneinnahmen einer Partei durch Mitgliedsbeiträge oder Spenden nicht übertreffen.

Wer bis vor Kurzem als Partei seinen Umsatz steigerte, erhöhte den Rahmen möglicher Staatszuschüsse. "Aus diesem Grund hat die AfD mit den fragwürdigen Goldverkäufen versucht, ,Umsatz‘ zu machen", sagt der SPD-Politiker. Die inzwischen eingestellte Praxis müsse von der Bundestagsverwaltung nun genau geprüft werden, weil der AfD-Anteil am Gesamtbudget sich auf den der anderen Parteien auswirkt. Erst 2015 stoppte eine Änderung des Parteiengesetzes durch die große Koalition die Möglichkeit, durch Umsatzsteigerung höhere staatliche Zuwendungen zu generieren. Nun zählt nur noch der Gewinn, der AfD-Goldhandel rentiert sich nicht mehr.

Aber auch ohne offiziellen Bescheid muss Nietan umsteuern. "Wir können im Willy-Brandt-Haus nicht so weiterarbeiten, als hätten wir am 24. September 38 Prozent der Stimmen erhalten", sagt der Schatzmeister. Die Sozialdemokraten seien nun an einem Punkt angelangt, an dem sie "strukturelle Veränderungen" einleiten müssen. Für die Mitarbeiter der Parteizentrale hat der Nordrhein-Westfale, der mit dem Parteivorsitzenden Schulz befreundet ist, zumindest kurzfristig beruhigende Botschaften parat: "Das heißt nicht, dass ich morgen Kolleginnen oder Kollegen entlassen muss."

Auch die Reform der SPD kostet Geld

Der Erneuerungsprozess, den die SPD-Spitze seit dem Wahlschock beständig beschwört, ist nicht nur eine politische Herausforderung, sondern muss auch finanziert werden. Wer Nietan über seine Aufgaben reden hört, erkennt eine alte Regel wieder: Wenn eine Großorganisation sich neue Strukturen gibt, um sich effizienter aufzustellen, wird das zunächst einmal teuer. "Die Digitalisierung der SPD, die wir uns vorgenommen haben, wird viel Geld kosten", sagt der Schatzmeister voraus. Schließlich müsse die SPD nicht nur ihre Landesverbände im Osten stärken, wo sie sich teilweise der Zehn-Prozent-Marke annäherte und von der AfD überholt wurde. Die Partei müsse "überall, wo wir mittlerweile schwach aufgestellt sind, wieder Handlungsfähigkeit erlangen", sagt der Kassenwart. Auch im wirtschaftlich prosperierenden Baden-Württemberg holte die SPD nur 16 Prozent.

Wer in Großinstitutionen Grundlegendes ändern will, trifft immer auf Widerstand. Das Willy-Brandt-Haus macht da keine Ausnahme. Deshalb kann Nietan den Nöten, mit denen er umgehen muss, auch etwas Gutes abgewinnen. "Der jetzt unbestreitbar entstandene finanzielle Druck wird es möglicherweise einfacher machen, Reformideen durchzusetzen", hofft er.

Viele Funktionäre waren gar nicht begeistert, als Nietan Anfang Oktober ankündigte, es sei künftig nicht sicher, "wie üppig und wie zahlreich" die Veranstaltungen der Partei ausfallen sollen. Ebenso werde sich die Frage stellen, ob es weiter acht große Funktionärskonferenzen geben solle oder ob nicht auch zwei genügten.

Etliche Projekte hat sich der Schatzmeister vorgenommen. So gibt es bislang kein gemeinsames Personalentwicklungskonzept des Parteivorstandes und der Landesverbände. Personalfragen regelt jeder Landesverband nach eigenem Gusto. Noch immer sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit reinen Verwaltungsaufgaben gebunden. Dagegen hat die SPD in Nordrhein-Westfalen solche Tätigkeiten in Servicecenter ausgelagert. Von den ohnehin wenigen Mitarbeitern in den neuen Ländern sei ein Drittel mit Aufgaben "wie Rechnungslegung und Mitgliederverwaltung beschäftigt", sagt Nietan: "Es bringt uns mehr, wenn sie sich auf die politische Arbeit konzentrieren."

Das Tafelsilber der SPD will der Schatzmeister trotz Finanzkrise nicht antasten. Als einzige deutsche Partei verfügen die Sozialdemokraten mit der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (ddvg) über eine erhebliche Medienmacht. Die ddvg hält Anteile an Druckereien, Zeitungen, privaten Rundfunksendern und Online-Portalen. Das soll allen Mindereinnahmen zum Trotz auch so bleiben, kündigt Nietan an: "Wir haben nicht vor, uns von unseren Beteiligungen im Medienbereich zu trennen."

Für den SPD-Politiker dürfte es kaum ein Trost sein, dass es die andere Volkspartei noch schlimmer trifft. 2,5 Millionen Wähler haben Angela Merkel und ihre CDU im Vergleich zu 2013 am 24. September verloren. Der christdemokratische Schatzmeister Philipp Murmann muss sich darauf einstellen, dass der Bundespartei und ihren Landesverbänden deshalb jährlich um die zwei Millionen Euro Staatszuschuss fehlen werden.

Nietan arbeitet derweil schon an der mittelfristigen Finanzplanung der Sozialdemokraten. Doch er ist nicht allein Herr des Verfahrens. "Entscheidungen kann ich erst treffen, wenn der Parteitag Anfang Dezember vorüber ist", sagt er. Denn wenn es auf dem Parteitag um die Erneuerung der SPD geht, beschließen die Delegierten womöglich neue Arbeitsaufträge, die viel Geld kosten.

Der Text erschien zuerst in der Tagesspiegel-Beilage "Agenda".

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