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Jetzt wird abgestimmt. Vom 20. Februar bis zum 2. März haben die SPD-Mitglieder die Möglichkeit, über die Groko abzustimmen.

© Jens Wolf/dpa

Norbert Römer zur Groko-Entscheidung: "Die SPD ist eine Partei ohne Eigenschaften"

Gegen die Angst vor Veränderung muss die SPD den Willen zur Verbesserung setzen. Das ist ihre einzige Chance, meint ihr Fraktionsvorsitzender in NRW.

Stirb an einem anderen Tag! Der Titel des zwanzigsten James Bond könnte auch die Losung der SPD im Jahr 2018 sein. Will die Partei ihren Streit über den Eintritt in eine neue Große Koalition überleben – und erst recht diese Koalition selbst! – dann darf ihre Spitze die Risiken eines solchen Bündnisses nicht verdrängen. Aus den guten Argumenten der Groko-Gegner müssen Konsequenzen für das Regierungshandeln gezogen und endlich die Schwächen der SPD angegangen werden. Wir brauchen dringend den Erneuerungsprozess – in Nordrhein-Westfalen wie im Bund.

Die Stärke der SPD, so sagte einmal Willy Brandt, sei ihr „entschiedenes Sowohl-als-auch!“ Sie sei sowohl eine Partei für Gerechtigkeit und Frieden als auch eine Partei für Wachstum und Sicherheit; sowohl eine Partei für die Industriearbeiterschaft als auch eine Partei für eine „Neue Mitte“, die nach gesellschaftlicher Modernisierung verlange.

Das alles ist die SPD für zu viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr.

Wir sind keine Sowohl-als-auch-Partei. Wir sind eine Partei ohne Eigenschaften.

Gründe für die Ablehnung der Groko ernst nehmen

Eine Weder-Noch-Partei. Wir stehen weder ausreichend deutlich für soziale Gerechtigkeit noch für Wirtschaftskompetenz; weder ausreichend deutlich für liberale Bürgerrechte noch für Innere Sicherheit; weder für Weltoffenheit noch für die Interessen jener Wählerschichten, die in Globalisierung, Einwanderung und Digitalisierung eben keine „Chancen“ für sich ausmachen können.

Und dennoch konnte die SPD in den letzten zwölf Monaten mehr als 30 000 neue Mitglieder gewinnen. Diese neuen Mitglieder glauben an die Kraft einer erneuerten Sozialdemokratie, die für sozialen Fortschritt steht, für Veränderungswillen und für Zukunftsoptimismus. Also genau für jene Haltungen und Werte, die einst der Treibstoff für den Aufstieg der SPD zur Massen- und Volkspartei waren.

Eine Erneuerung der SPD könne auch in einer Regierung mit der Union gelingen, heißt es nun allenthalben. Als vakuumierte Theorie ist diese Behauptung nicht falsch, mit Blick auf die Empirie aber leichtfertig daher gesagt.

Vorsitzender der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag: Norbert Römer.
Vorsitzender der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag: Norbert Römer.

© promo

Jeder in der SPD, der wie ich aus guten Gründen für eine Große Koalition wirbt, muss deshalb die Argumente der Kritiker ernst nehmen. Denn auch sie haben gute Gründe für ihre Ablehnung: Wird die Groko fortgesetzt, bleibt der Wettbewerb zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links ausgesetzt. Wer wird noch glauben, man könne die Union abwählen, indem man sich für die SPD, ihre treue Juniorpartnerin, entscheidet? Reflektieren die schlechten Umfragewerte nicht auch die Enttäuschung über eine Partei, die allem Anschein nach ihren Führungsanspruch aufgibt? Das Argument, ein Prozent von etwas sei mehr als 100 Prozent von nichts, entspringt jedenfalls eher der Haltung einer Funktionspartei als dem Selbstbewusstsein einer Sozialdemokratie, die das Kanzleramt wiederhaben will.

Noch einmal: Diese Argumente muss die SPD-Spitze sehr ernst nehmen!

Vielleicht die letzte Chance für die SPD

Die fleißige Abarbeitung eines Koalitionsvertrages allein wird keine Wähler zurückbringen. Ein Kompromiss ist ein Kompromiss, fast immer notwendig, selten faul, aber niemals das Ende sozialdemokratischer Politik.

Die SPD-Projekte der Großen Koalition müssen in neue ehrgeizige Zukunftsprojekte münden. Sie sind nur die Ouvertüre für eine sozialdemokratische Regierungsagenda ohne die Union. In keinem Fall darf der programmatische Erneuerungsprozess als Beschäftigungstherapie für Jusos oder die stets gering geschätzten Funktionäre abgetan werden. Er muss mit dem Regierungshandeln verzahnt werden. Denn die größte Stärke einer Regierungspartei ist die Agenda-Macht: Themen besetzen, Debatten anstoßen, Konflikte eingehen, Zukunftsbilder entwerfen! Zum Beispiel von einem Land, indem die Produktivitätsfortschritte der digitalen Revolution in Kaufkraft für alle verwandelt werden und indem die Aussicht auf sozialen Aufstieg wieder weitaus realistischer ist als die Angst vor dem Abstieg.

Die Sozialdemokratie kann und muss wieder die politische Kraft in Deutschland werden, die gegen die Angst vor der Veränderung den Willen zur Verbesserung setzt! Das ist ihre Chance. Ihre einzige und vielleicht auch ihre letzte.

Norbert Römer ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Norbert Römer

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