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Der Journalist Andreas Hoidn-Borchers schreibt für den „Stern“.

© Georg Ismar

Als Journalist auf 43 SPD-Parteitagen: „Die SPD hat das Talent, gute Leute zu verlieren“

Reporter Andreas Hoidn-Borchers war auf 43 SPD-Parteitagen. Ein Rückblick auf Rauchschwaden und Überraschungsmomente.

Andreas Hoidn-Borchers schreibt seit 1989 für den „Stern“ und ist Autor für Politik im Hauptstadtbüro.

Herr Hoidn-Borchers, für Sie ist es der 43. SPD-Bundesparteitag, den sie als Journalist begleiten. Welchen Moment werden Sie nie vergessen?
Einen Randmoment. SPD-Bundesparteitag in Mannheim 1995: Gerhard Schröder, der kurz zuvor von dem damaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping abgemeiert, also als wirtschaftspolitischer Sprecher abgerufen worden war. Schröder steht am Rednerpult, hält eine kurze Rede und beendet sie mit dem Satz: „Und im Übrigen liebe Genossen, ich trete an.“

Dann dreht er sich vom Pult weg. Auf der Pressetribüne und unten im Saal Schockstarre. Ein Kollege einer Nachrichtenagentur rennt zur Tür, um eine Eilmeldung abzusetzen. Da dreht sich Schröder nochmal zum Mikro, grinst, und sagt: „Für den Parteivorstand“. Und damit nicht gegen Scharping als Parteivorsitzenden, wie es alle vermutet hatten. Ich glaube, er hat das nicht einmal absichtlich gemacht.

Und dann gibt es natürlich noch die Rauchschwaden, die von Helmut Schmidts Platz ausgingen. Weil er trotz des Rauchverbotes auf den Parteitagen, wenn er denn mal da war, rauchte.

Wie alt waren Sie bei Ihrem ersten Parteitag?
Das war 1986 in Nürnberg. Ich war 25 Jahre alt und für die SPD-Zeitung „vorwärts“ unterwegs. Regulär gibt es nur alle zwei Jahre einen Bundesparteitag, aber mehr als die Hälfte meiner Parteitage waren außerordentliche.

Wie unterscheidet sich der Parteitag 1986 von dem heutigen?
Der angenehmste Unterschied ist, dass der erste fünf Tage dauerte und der heute nur noch zweieinhalb. Es gibt auch einen deutlich sichtbaren Unterschied bei den Delegierten. Heute sind viel mehr Frauen und viel mehr junge Menschen da. Außerdem ist zum Beispiel das Logo anders und der Parteivorstand sitzt nicht mehr auf dem Podium, sondern unten im Saal.

Was war früher besser als heute?
Die Prozentzahlen der SPD. Diese Partei hat sich selbst zerlegt.

Bei Ihrem ersten Parteitag war die SPD noch wesentlich erfolgreicher. Sie müssten es eigentlich am besten wissen. Woran lag es?
Die SPD ist immer eine debattierfreudige Partei gewesen, dabei ist die Grenze zur Streitlust oft überschritten worden. In letzter Zeit zu häufig. Die SPD neigt dazu, unglücklich mit sich selbst zu sein. Die Leute wollen aber keine Partei wählen, die mit sich selbst unzufrieden ist. Außerdem hat die SPD das Talent, gute Leute zu verlieren. Sie haben damals mit Peer Steinbrück gehadert und mit Gerhard Schröder. Hätten sie damals eine Mitgliederbefragung gemacht, wäre nicht Schröder, sondern Lafontaine Kanzlerkandidat geworden.

Das gehört vielleicht auch zu den Gründen des Niedergangs der SPD. Die Partei hatte immer dann Erfolg, wenn sie in Person nicht nur Sozialkompetenz, sondern auch Wirtschaftskompetenz ausgestrahlt hat. Schröder und Helmut Schmidt haben das getan. Diese Wirtschaftskompetenz hat die SPD verloren. Dabei könnte sie heute von Olaf Scholz verkörpert werden, wenn man ihn ließe.

Sie meinen, Olaf Scholz wird kein großes Amt mehr bekommen?
Es wäre ein Wunder.

Ihre Analyse von den Problemen der SPD klingt so, als müsste man sie zu Vertrauensübungen in einen Hochseilgarten schicken.
Die Couch, oder eben ein Hochseilgarten, wäre kein schlechter Ort, aber man kann keine ganze Partei auf die Couch schicken. Die wissen selbst, woran es liegt und haben sich schon oft vorgenommen, weniger zu streiten. Aber je häufiger sie sich das vornehmen, desto häufiger streiten sie sich. Mir fehlt der Glaube, dass es nach diesem Parteitag anders sein sollte. Das hat sich zu tief in die Partei eingefressen.

Hat die SPD dann überhaupt noch eine Zukunft?
Mir fällt es schwer, daran zu glauben, dass die SPD mit dieser Aufstellung nochmal die Kurve kriegt und die Möglichkeit bekommt, dass sie den Kanzler stellen könnte.

Auf wie viele SPD-Parteitage werden Sie vermutlich noch gehen?
Das hängt von der SPD ab. Bis zu meiner Rente wären es noch drei reguläre Parteitage. Aber so wie ich die SPD einschätze, mache ich die 50 noch voll.

Wie sieht die SPD nach 43 weiteren Parteitagen aus?
Das will ich mir gar nicht vorstellen. Vielleicht hat sie bis dahin mit der Linken fusioniert oder sich ganz aufgelöst.

Wer kann die Partei noch retten? Kevin Kühnert?
Olaf Scholz, wenn man ihn gelassen hätte. Er hätte die SPD aus diesem Tief rausführen können. Aber die SPD hat mit Kevin Kühnert noch ein wahnsinniges Talent in den Reihen. Ich habe in meiner ganzen Zeit als Journalist noch keinen 30-Jährigen erlebt, der diese Kombination aus rhetorischer Brillanz und strategischen Fähigkeiten besitzt. Und der mit 30 Jahren stellvertretender Bundesvorsitzender und gleichzeitig Juso-Vorsitzender ist. Damit hat er eine immense Macht in der Partei.

NoWaBo und Esken hätten den Mitgliederentscheid ohne die Unterstützung von Kühnert und den Jusos nie gewonnen. Meine These ist, dass sie sich auch nur mit Unterstützung von Kevin Kühnert an der Spitze halten können. Der im Übrigen, behaupte ich mal, gar nicht aus der GroKo raus will. Er braucht sie noch.

Kühnerts Rede hat am Freitag auch im Saal zu Standing Ovations geführt. Wer hielt auf den vergangenen 43 Parteitagen die beste Rede?
Das war Willy Brandts Abschiedsrede als Parteivorsitzender in der Bonner Beethoven-Halle 1987. In der Rede hat er eigentlich alles gesagt, was über die SPD an warnenden Worten zu sagen ist, auf die aber viel zu wenige gehört haben. Er konnte so reden als spreche er frei, las aber jedes Wort vom Blatt ab. Er sagte, die Genossen sollten ihren erfolgreichen Mitgliedern den Erfolg nicht übelnehmen. Und dass die Beschäftigung mit Genossen die Partei nicht mehr Zeit und Kraft kosten sollte als die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner.

Und wie sind die Parteitage der anderen Parteien im Vergleich?
Die CDU-Parteitage waren früher von gepflegter Langeweile. Weil die nicht so eine Diskussionsfreude wie die SPD haben. Die sind viel genügsamer, die wollen regieren. Bei der SPD erlebte ich jetzt schon die Vorsitzenden Nummer 13 und 14. In der Zeit gab es drei Kanzler und vier CDU-Vorsitzende. Die Grünen-Parteitage waren zumindest früher noch chaotischer als die der SPD. Es gab wahnsinnige Streitpunkte zwischen Realos und Fundis.

Für mich ist es der erste Parteitag. Welchen Fehler sollten Journalisten auf gar keinen Fall machen?
Man sollte sich sehr zurückhalten vor endgültigen Festlegungen. Es kommt häufig anders, als man denkt.

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