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Aung San Suu Kyi hat lange für gewaltlose Demokratisierung gekämpft, in Den Haag legitimierte sie nun die Gewalt gegen die Rohingya.

© AFP

Aung San Suu Kyi vor dem Weltgericht: Die schreckliche Wandlung der Friedens-Ikone

Militärgewalt gegen die Rohingya? Nur Einzelfälle, sagt Aung San Suu Kyi in Den Haag. Dabei sollte doch gerade ihr klar sein, um was es bei staatlicher Willkür geht. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Aung San Suu Kyi hat gesprochen. In traditionellem burmesischem Gewand und mit roséfarbenen Blüten im Haar stand die zarte Frau am Mittwoch dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (ICJ) erstmals Rede und Antwort. Angeklagt ist dort nicht die Staatschefin als Person, sondern ihr Land, Myanmar. Es soll 2017 einen Genozid an der muslimischen Minderheit der Rohingya geplant haben.

Der ICJ, auch Weltgericht genannt, hat seinen Sitz im Haager Friedenspalast. Verhandelt werden dort seit 1946 Klagen von Staaten gegen andere Staaten, oft geht es dabei um territoriale Ansprüche. Noch nie ging es – bis jetzt – um das größte aller Verbrechen, um Genozid, definiert als die Absicht, eine Bevölkerungsgruppe ganz oder teilweise zu eliminieren. Kläger vor dem ICJ ist, stellvertretend für 57 islamische Staaten, der kleine westafrikanische Staat Gambia. Er wirft Myanmar vor, die UN-Konvention gegen Völkermord gebrochen zu haben, der beide Staaten angehören. Und krasser könnte die Kluft kaum sein zwischen dem guten Ruf der Staatschefin, die 1991 den Friedensnobelpreis erhielt, und der maximalen Anklage.

Alles nur "Einzelfälle", sagt sie

10 000 Rohingya wurden laut UN-Ermittlungen ermordet, etwa 740 000 Männer, Frauen, Kinder, Schwangere und Greise sind ins Nachbarland Bangladesch und nach Indien geflüchtet – vor Verfolgung, vor Mord, Folter, Vergewaltigung, Raub und Brandschatzung. Ganze Dörfer wurden danach planiert.

Im Friedenspalast will die Friedensnobelpreisträgerin jetzt die Schatten schönreden, die auf ihr Land fallen, das 2020 vor Parlamentswahlen steht. Aung San Suu Kyi erklärt die Aktionen des Militärs zur legitimen Antwort auf Angriffe gegen Polizeiposten. Sie räumt ein, in „Einzelfällen“ sei es zu „unangemessener Gewalt“ gekommen, doch genozidale Absicht könne da „nicht die einzige Hypothese“ sein, die Klage sei „irreführend“, das Bild der Lage „unvollständig“.

Dabei dürfte der Oxford-Absolventin überaus klar sein, worum es geht. Für Menschenrechtler war Suu Kyi eine Lichtgestalt, als die Nobelakademie sie auszeichnete. Aufrecht und gewaltfrei hatte sie sich für Demokratie eingesetzt und gegen die Militärdiktatur, sie lebte unter Hausarrest, bedroht und schikaniert. Nun scheint sie eine Bevölkerungsgruppe auf dem Altar der nationalen Einheit opfern zu wollen, als Kollateralschaden der Transformation.

Seit einiger Zeit betreiben die „Postcolonial Studies“ vorrangig Erkundungen derjenigen, die von den Folgen des westlichen Kolonialismus’ geknechtet waren. Allerdigns tut sich der neue Forschungszweig schwer mit Erklärungen angesichts der brutalen Ethnisierung von Konflikten in ehemaligen Kolonien. Teils wurde versucht darzulegen, Staaten wie Myanmar hätten nun mal ein „anderes“ Verhältnis zu Territorialität und Zugehörigkeit. Dass mörderische Rechtsbrüche schlicht der „Andersheit“ zugeschlagen werden können, wird gleichwohl auf Dauer nicht einleuchten.

Ethische Gerechtigkeit hat es schwer in nationalen Zeiten

In der Zeitschrift „Postcolonial Politics“ stellen Mursed Alam und Anindya Parakayastha bitter fest, dass Aung San Suu Kyi im Konflikt mit den Rohingya „wie eine neo-koloniale Matriarchin“ wirkt. Sie plädieren für ein Konzept postnationaler Staaten, um dem Dilemma zu entrinnen, eine neue „ethisch-politische Agenda der Gerechtigkeit“. Doch das ist leicht gesagt, solange Wahlen mit nationalen Agenden gewonnen werden, die den Mehrheiten Zucker versprechen. Sie ist nichts als vergiftete Zuckerwatte.

Deutlich zeigen sich auch hier die Konturen von Staaten, in denen koloniale Traumata, traditionelle und postkoloniale Gewalt fusionieren. Im Zuge der Transformation zu demokratischer Staatlichkeit werden fatalerweise Sündenböcke gesucht, auf die sich das traumatische Material der Vergangenheit projizieren lässt. Aung San Suu Kyi würde ihrem Land einen Gefallen tun, wenn sie, sich an den Geist des einmal mehr beschädigten Nobelpreises erinnernd, Inklusion fordern statt Exklusion rechtfertigen würde. Verantwortliche in postkolonialen Staaten sind erwachsen. Gräueltaten in der Gegenwart der kolonialen Vergangenheit anzulasten, das besitzt keinerlei ethische oder politische Legitimität.

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