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Zwei Stunden haben die rund 40 Bürgerinnen und Bürger den Gut-Leben-Dialog mit Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verfolgt.

© Maurice Weiss /BMUB

Bürgerdialog "Gut Leben": Die Regierung fragt - und das Volk antwortet nicht

Umweltministerin Barbara Hendricks diskutiert mit Kleingärtnern über das Wirtschaftswachstum und freut sich, dass sich niemand von den gerade ankommenden Flüchtlingen "bedroht" fühlt.

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat zum Bürgerdialog geladen – und niemand spricht über Flüchtlinge. Seit Monaten versuchen alle Regierungsmitglieder einschließlich der Kanzlerin, dem Volk den Puls zu fühlen. Unter der Überschrift „Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist“, reist das Kabinett durchs Land. Hendricks hat im Juli schon einmal mit Schülern in Koblenz diskutiert. Um die 180 Veranstaltungen werden es bis zum Jahresende gewesen sein.
Am Montag hat Hendricks in die Kleingartenanlage Am Buschkrug in Berlin-Neukölln geladen. 40 Bürger haben sich angemeldet, die Plätze sind alle besetzt. Ältere Männer und jüngere Frauen - aber kaum jemand mit Migrationshintergrund - saßen erwartungsvoll unter zwei Lampen im 1970er Jahre Design: eine Art Kronleuchter aus weißen Kugeln. Die einzige, die über Flüchtlinge sprach, war die Ministerin selbst, die sagte, „gerade jetzt, wo es darauf ankommt“, weil viele Flüchtlinge ins Land kämen, sei es richtig, sich darüber klar zu werden, „was uns wichtig ist“. Sie stellte auch klar: „Wir sind in der Lage, das zu schaffen.“ Daran zweifelte am Montagnachmittag offenbar niemand. Nicht eine Frage bezog sich auf die aktuelle Tragödie. Hendricks sagte nach der Veranstaltung: „Dass niemand das Thema angesprochen hat, ist doch ein deutliches Zeichen dafür, dass sich hier niemand bedroht fühlt.“

"Uns geht es doch gut!"

Schon vor der Diskussion hatte eine Kleingärtnerin der Neuköllner Kolonie festgestellt: „Uns geht es doch gut!“ Vier Pächterinnen haben sich in der zweitletzten Reihe zusammengesetzt. Uschi Braun bewirtschaftet ihre Parzelle seit 34 Jahren, ihre Parzellennachbarin gehört schon seit 46 Jahren zum Verein. Die Zusammensetzung des Vereins entspreche der „Neuköllner Mischung“, erzählen die Frauen. Und so ganz glücklich sind sie damit nicht. „Es gibt doch viele, die unter sich bleiben wollen“, sagt eine. Uschi Braun bemängelt, dass „die Ausländer nie zu den Festen oder Gemeinschaftsveranstaltungen kommen“. Ihre Nachbarin wirft ein: „Früher war der Zusammenhalt besser.“ Wenn mal viel Arbeit im Garten war, „dann hat man sich auch mal geholfen“, berichtet Braun. Unter einem „guten Leben“ verstehen sie eine „gute Nachbarschaft“ und einen „guten Zusammenhalt“. Was sie vom Dialog mit Hendricks erwarten: „Mal sehen, was da kommt.“ Was dann kam, war „interessant“, wie die Gärtnerinnen danach sagten. Aber sie selbst hatte sich an der Diskussion nicht beteiligt, so wenig wie ihre Parzellennachbarinnen. Denn dafür hätten sie auf die Bühne kommen, sich neben die Ministerin setzen und in ein Mikrofon sprechen müssen. Das traute sich keine der vier Gärtnerinnen. Genau genommen traute sich das nur eine Pächterin, sonst kamen nur Funktionäre zu Wort: zwei Frauen, die in Umweltverbänden arbeiten, ein Wissenschaftler, eine SPD-Kommunalpolitikerin und der Vorsitzende des Kleingartenvereins.

Barbara Hendricks versprach nicht, dass "die Politik Ehekrisen beenden kann, aber sie kann schon einiges", sagte sie. Neben ihr sitzt der Abgeordnete Fritz Felgentreu und Professor Kai Niebert.

© Maurice Weiss/BMUB

Die Themen, um die es ging, waren Kritik am Autoverkehr, der alles beherrscht, Wachstumgsskepsis, weil mit immerwährendem Wirtschaftswachstum eine „nachhaltige Entwicklung innerhalb der Grenzen der Erde“ nicht machbar sei, und die Kritik an der Ungleichheit in der Gesellschaft. Die bemängelt auch Uschi Braun: „Machen wir uns nichts vor: Die Schere zwischen arm und reich geht doch immer weiter auf.“ Von Umverteilung wollte Fritz Felgentreu (SPD), der im Wahlkreis Neukölln in den Bundestag gewählt worden ist, dann doch nichts wissen. Umverteilen könne man nur, wenn die Wirtschaft wachse. Und die These, des Nachhaltigkeitsprofessors Kai Niebert von der ETH Zürich, dass Menschen in weniger ungleichen Gesellschaften ihre Lebensqualität höher einschätzen, die konnte Felgentreu nicht nachvollziehen. Schließlich hätten sehr viele nicht in der DDR bleiben wollen, wo sie viel gleicher gewesen seien. Draußen machte er sich dann mit einer Parteifreundin über die „Weltverbesserer“ im Bürgerdialog lustig. Hendricks fand den Bürgerdialog alles in allem „munter“. Was davon in den „Gut-Leben-Bericht“ am Jahresende einfließen dürfte, sind vermutlich die Zeichnungen, die während der Veranstaltung entstanden sind. Denn die sind schön bunt und illustrieren die „grüne Lunge“ in der Stadt, und den Ort sozialen Zusammenhalts, als den Hendricks die Kleingärten am Montag gelobt hatte.

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