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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) prescht immer wieder vor.

© Peter Kneffel, Reuters

Die Ministerpräsidenten und die Coronavirus-Krise: Die Provinz stellt die Machtfrage

In der Corona-Krise ist der Eindruck entstanden, die Ministerpräsidenten der Länder übernähmen die Macht. Merkel muss sie sich zurückholen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es ist schon erstaunlich. Eben noch wird Angela Merkel weithin gelobt für ihre besonnene Art in der Coronakrise – da wendet sich das Blatt. Zu wenig gesagt, zu wenig getan? Plötzlich sieht es ganz danach aus, jedenfalls im Blick auf die Aktivität der Ministerpräsidenten. Oder ist es Hyperaktivität?

Die MPs, Regierungschefs wie die Kanzlerin, wollen einfach nicht warten, bis sie sich mit ihr beraten haben. Der Sonntagabend ist eine Frist, die von den Großen niemand einhalten will. Bayern und Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, sie verhängen schon „Ausgangsbeschränkungen“, damit ihnen nicht nachgesagt werden kann, sie hätten in der Krise nicht wirklich alles unternommen, um Menschenleben zu schützen.

Weit voran: Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident will sich, angesichts steigender Infektionszahlen und des rigiden österreichischen Nachbarn, in Deutschland von keinem und keiner übertreffen lassen. Das hilft ihm, nebenbei, auch bundesweit politisch ungemein. Also handelt er, und mag es mit der Landesverfassung kollidieren. Söder ruft in dieser Situation den Katastrophenfall aus. Dort werden sich dann wohl alle mit ihren Kosten an den Staat werden.

Ein "Flickenteppich" der Entscheidungen stärkt das Vertrauen nicht

Söder trägt gerade viel dazu bei, dass der Eindruck entstanden ist, die MPs übernähmen die Macht. Nicht nur in ihrem Land. Als Macher, ohne Rücksicht auf den Bund. Doch der hat es gerade noch gemerkt. Der heißt: Jens Spahn, nicht etwa Angela Merkel. Spahn will jetzt über das Infektionsschutzgesetz eine Art Ermächtigung für bundesstaatliches Handeln durchsetzen. Was ins Bild passt. Wegen dieses Gesetzes geht nämlich im Moment alles, was zum Teil über Jahre oder Jahrzehnte umstritten war: Änderungen beim Insolvenzrecht, bei der Kurzarbeit, beim Einsatz der Bundeswehr im Innern. Die Liste ist nicht vollständig. Auch hier kommt die Rechnung später.

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So, und wenn der Bund in dieser Lage mehr will als nur noch übers Geld Einfluss nehmen oder für die äußere Sicherheit zuständig sein, dann muss er reagieren. Der „Flickenteppich“ an Entscheidungen stärkt ja nun auch nicht das Vertrauen in gemeinschaftliches, gesamtstaatliches Handeln. Zumal die Wut auf die Bundeszentrale in Berlin wächst.

In Deutschland wird sehr wohl verzeichnet, wie schnell und unbürokratisch in Frankreich, den USA oder der Türkei geholfen wird. Jeder Amerikaner außer den Superreichen erhält 1000 Dollar Coronahilfe, jeder Türke über 65 Jahre Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel kostenlos, bei jedem Franzosen mit einem Betrieb werden Miete, Steuern und andere Kosten ausgesetzt. Hier herrscht dagegen noch immer Bürokratismus. Auch deshalb wird der Sonntag für Angela Merkel so wichtig: Sie muss sich ein Stück ihrer Macht zurückholen. Sonst ist nach ihr das Kanzleramt nur noch die Hälfte wert.

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