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Anstehen fürs Essen. Weil der Andrang zu groß wurde, hat die Essener Tafel eine umstrittene Entscheidung getroffen.

© Roland Weihrauch/dpa

Leserreaktionen zur Essener Tafel: Die Politik vernachlässigt den Sozialstaat

Die Entscheidung der Essener Tafel ruft bei unseren Lesern unterschiedliche Reaktionen hervor, wie diese vier Beispiele zeigen.

Ich finde es schon etwas befremdlich, wenn sich die Bundesregierung kritisch zur Entscheidung der Essener Tafel äußert. Wer hat denn diese sozialen Missstände in unserem Lande erst geschaffen und gesellschaftlich voll zu verantworten? Das ist doch vor allen Dingen die SPD mit ihren unsozialen Hartz-IV-Gesetzen, auf die diese Entwicklung zurückgeht. Das ganze Land ist in einer sozialen Schieflage, denn viele Hartz- IV-Jobber und arme Rentner können sich kaum mehr richtig ernähren und sind auf solche ehrenamtlichen Helfer bei den Tafel-Initiativen in ganz Deutschland angewiesen.

Eine Fortsetzung dieser Politik mit einer Neuauflage der Groko sollte deshalb in unser aller Interesse unbedingt verhindert werden!

Thomas Henschke, Berlin-Reinickendorf

Der Bericht, dass die Essener Tafel, keine Personen mit „Migrationshintergrund“ mehr in ihre Kartei aufnimmt und die Kontroverse, die dies ausgelöst hat, könnte den Eindruck erwecken, dass es sich um ein Problem handelt, über das eine ergebnisoffene politische Debatte möglich wäre. Tatsächlich ist die Entscheidung der Essener Tafel aber indiskutabel – auch wenn man davon ausgehen kann, dass sie nicht durch Rassismus bestimmt ist und dass die Mittel nicht ausreichen, um allen Bedürftigen zu helfen. Dies wird in einer Reihe der zitierten Stellungnahmen auch zutreffend festgestellt. Nicht unwidersprochen bleiben kann aber die Überschrift auf der Titelseite, die den Eindruck erweckt, dass der Sozialstaat an seine Grenzen gerät, weil nichtstaatliche humanitäre Institutionen keine ausreichende Hilfe mehr leisten oder leisten können. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn diese Organisationen dazu nur unzulänglich in der Lage sind, liegt dies in erster Linie daran, dass die Politik die Verpflichtungen, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergeben, vernachlässigt oder sogar unterlaufen hat. Die nichtstaatlichen Institutionen der Wohlfahrtspflegen können diese Leistungen nur ergänzen, aber nicht ersetzen. Die Definition der Bundesrepublik als Sozialstaat ist kein Luxus, der nach Bedarf eingeschränkt oder abgewickelt werden könnte. Sie ist in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes verankert, gehört zum Kernbestand der Verfassung und könnte selbst durch ein verfassungsänderndes Gesetz nicht aufgehoben werden. Der Umfang der Verpflichtungen, die sich daraus für die Politik ergeben, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten Hartz-IV-Entscheidung überzeugend aus dem Grundsatz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) hergeleitet.

Dr. Ernst Zivier, Berlin-Zehlendorf

Solidarität ist nicht ersetzbar

Ich bin eine deutsche Frau von 77 Jahren und gehe seit sechs Jahren einmal pro Woche zur Tafel. Monatlich habe ich ca. 150 Euro zur Verfügung, nach Abzug aller Kosten. Ich kann die Zustände in der Warteschlange zur Lebensmittelausgabe bestätigen. Nur darf ich mich nicht öffentlich äußern, da ein sofortiger Ausschluss erfolgen würde. Bei mir in der Stadt ist die Anmeldung zur Tafel sehr hoch. An meinem Ausgabetag (acht Gruppen/je 20 Minuten Einkaufszeit) sind nur noch fünf alte deutsche Bürger, aber 32 ausländische Mitbürger. Vor vier Jahren sah das noch ganz anders aus. Die Mehrzahl der ausländischen Tafelbezieher kommen im eigenen Pkw, die als sehr hochpreisig angesehen werden. Da soll man nicht verbittert werden. Ich gehe ca. 45-50 Minuten zu Fuß, um zur Tafel zu kommen. Mit dem Bus würde es hin und rück 5,20 Euro kosten. Ein Familienmitglied braucht nur arbeitslos zu sein, schon bekommt er einen Tafelausweis!

Mein Sohn und mein Enkelkind sind leider auch arbeitslos; aber es würde sich nicht lohnen, einen Tafelausweis zu beantragen, da beide auch alleinstehend sind und nur für eine Person Lebensmittel bekämen. Aber, es kommt noch besser: Jeder, der einkaufen möchte, muss drei Euro zahlen. Ich bin alleinstehend und bekomme nur für eine Person Lebensmittel; Leute mit fünf Personen im Haushalt brauchen aber auch nur drei Euro zahlen und bekommen für fünf Leute Lebensmittel. Möchte ich einmal eine Packung mit mehreren gebratenen Schnitzel haben oder einen Kopf Wirsing, der größer als zwei Tennisbälle ist, heißt es: Nein bekommst du nicht, nur für mehr als zwei Personen. Und so geht es bei Kartoffeln, Gemüse etc. weiter, jedoch mit Spargel und Schwarzwurzel werde ich überhäuft, da die Ausländer dieses Gemüse nicht konsumieren. Sich beschweren oder Kritik äußern darf man nicht. Ist das gerecht? Ach ja, jeder wird hier bei der Tafel von Mitarbeitern mit „Du“ angeredet!

R. Ferner

Die geschäftsführende Bundeskanzlerin und ihre Sozialministerin sollten sich bei der Essener Tafel für ihre unangebrachte öffentliche Kritik auch öffentlich entschuldigen. Herrn Sator sollte man das Bundesverdienstkreuz verleihen für sein enormes soziales Engagement, aber auch für seine Ehrlichkeit und sein Rückgrat, was man bei seinesgleichen in Berlin und Brüssel zumeist schmerzlich vermisst.

Lothar Reinhard, Mülheim/Ruhr

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