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Der Friseurs Özlan Yildirim steht in seinem Laden. Yildirim ist ein Opfer der Nagelbombe, die der NSU in der Keupstraße explodieren ließ. +

© Henning Kaiser/dpa

Kölner Keupstraße nach NSU-Urteil: „Die Opfer sind zu Tätern gemacht worden“

Vor 14 Jahren explodierte eine Nagelbombe in der Kölner Keupstraße und verletzte viele Menschen. Das Urteil gegen NSU-Mittäterin Zschäpe begrüßen nun viele in der Gegend – sehen darin aber nur einen Anfang.

Die Wunden sind nicht verheilt in der Kölner Keupstraße. Auch die Verurteilung der NSU-Mittäterin Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes lindert den Schmerz und die Enttäuschung nur etwas. „Das Urteil hilft mir. Ich habe psychisch sehr gelitten. Das ist ein guter Tag“, sagt Özlan Yildirim. Sein Friseurladen war am 9. Juni 2004 um 15.56 Uhr zerstört worden. Von einer Bombe mit zehn Zentimeter langen Eisennägeln, deponiert auf einem Fahrrad vor seinem „Kuaföru“.

Der Sprengsatz verwüstete damals Geschäfte, verletzte 22 Menschen, manche von ihnen sehr schwer. „Es wäre gut, wenn Zschäpe nie wieder aus dem Gefängnis rauskommt. Viele Opfer leiden bis heute“, sagt Yildirim. Er ist mit seinem kleinen Laden in den Hinterhof gezogen. Vergessen wird er trotzdem nicht; das alles bleibt in seinem Kopf.

"Schimmel wächst nach"

„Es reicht nicht, nur von oben den Schimmel abzukratzen. Der wächst nach“, betont ein Geschäftsmann in der Keupstraße. „Man muss die Ursachen bekämpfen, Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit. Und man muss die Hintermänner finden, die Fehler und die Rolle des Verfassungsschutzes offenlegen“, fordert der Konditorei-Inhaber weiter. „Mit dem Urteil darf nicht finito sein.“ Die NSU-Morde und -Anschläge seien nur mangelhaft aufgearbeitet worden.

Meral Sahin, Sprecherin der IG Keupstraße, spricht am Tag der Urteilsverkünung im NSU Prozess bei einer Pressekonferenz der Initative "Keupstraße ist überall". +

© Henning Kaiser/dpa

Die Sprecherin der Interessengemeinschaft Keupstraße, Meral Sahin, meint: „Das Urteil ist unter den gegebenen Umständen zwar das beste, was wir erwarten konnten. Aber die Umstände stimmen nicht.“ Sie hält es für ein „Märchen“, dass die Terrorgruppe NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) nur aus Zschäpe sowie ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bestanden habe, die beide tot sind.

"Der Fall ist nicht abgeschlossen"

„Zu glauben, man nimmt sich eine Schuldige, verurteilt sie und dann ist die Sache abgehakt - das kann es doch bitte nicht sein“, stellt Sahin klar. „Der Fall ist nicht abgeschlossen.“ Es gebe zu viele Lücken. „Es ist im Interesse jedes einzelnen Bürgers in diesem Land, zu wissen, welche Rolle der Verfassungsschutz gespielt hat. Wir alle müssen auf das Funktionieren unserer Sicherheitsbehörden und unseres Rechtsstaats vertrauen können.“ Die ganze Gesellschaft sei vom NSU-Terror betroffen.

09.06.2004, Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Polizist sichert die Spuren einer Explosion in der Keupstraße.

© Federico Gambarini/dpa

Was viele erschüttert: Jahrelang vermuteten die Ermittler eine Tat im kriminellen Milieu in der „Türkenstraße“ - Schutzgelderpressung oder eine Familienfehde. Auch Friseur Yildirim wurde immer wieder verhört, zeitweise sogar beschattet. Das hat ihn schwer enttäuscht. Sein Kunde Halil Kaynak, mit dem er die Fernsehberichterstattung über das Urteil verfolgt, gibt zu bedenken: „Zschäpe hatte Beziehungen und vielleicht noch Mittäter, die frei rumlaufen.“ So mancher habe Angst vor neuen Anschlägen. Es gebe kein echtes Aufatmen.

Angela Merkel bat um Verzeihung

Als klar wurde, dass der NSU hinter den Taten steckte, bekundete die politische Prominenz Anteilnahme und Bedauern. Manche schauten vorbei in der Keupstraße, begleitet von einem Medientross. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bat um Verzeihung, dass man Angehörige der Opfer verdächtigt habe. Zum zehnten Jahrestag des NSU-Attentats im Juni 2014 eröffnete der damalige Bundespräsident Joachim Gauck ein Kulturfest gegen das Vergessen. 

Und auch 14 Jahre danach mahnen viele Betroffene und die Initiative „Keupstraße ist überall“: Es gebe noch viel an den „Wurzeln“ zu tun. Und: „Es darf jetzt keinen Schlussstrich geben“. Die meisten Opfer der Morde und Anschläge zwischen 2000 und 2007, die auf das NSU-Konto gehen, waren türkischstämmig.

"Die Opfer sind zu Tätern gemacht worden"

„Die Opfer sind damals zu Tätern gemacht worden, sie wurden zu Unrecht angegriffen und verdächtigt - nur weil sie sind, was sie sind, nämlich Türkeistämmige“, klagt Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Folge: „Manche Menschen sind unsichtbar geworden, sie haben sich zurückgezogen, melden sich nicht mehr zu Wort.“ Sofouglu verlangt: „Das NSU-Urteil sollte der Beginn einer neuen Phase der Aufklärung sein. Politik und Behörden müssen das mit Entschlossenheit vorantreiben. Sonst werden wir solche Fälle wieder erleben in Deutschland.“ (Von Yuriko Wahl-Immel, dpa)

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