zum Hauptinhalt
Die Fraktionsmindestgröße liegt bei 37 Abgeordneten. Der Linksfraktion gehören 39 an.

© dpa/Bernd von Jutrczenka/Bearbeitung: Tagesspiegel

Die Linke in der Krise: Verliert die Partei demnächst ihren Status als Bundestagsfraktion?

Sollten drei Bundestagsabgeordnete die Linke verlassen, wäre der Fraktionsstatus dahin. Wird es bei der kleinsten Kraft im Bundestag soweit kommen? Drei Experten bewerten die Lage.

Mit dem angekündigten Rückzug von Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali offenbarte sich das tiefe Zerwürfnis der Linken. Die Existenz der kleinsten Kraft im Deutschen Bundestag hängt nun an einem seidenen Faden. Sollten mindestens drei weitere Bundestagsabgeordnete die Linke verlassen und einer anderen Partei beitreten, wäre der Fraktionsstatus (Rechte im Parlament, Mitarbeiter, Geld, Redezeit im Plenum) dahin.

Viel hängt dabei ab von den Plänen Sahra Wagenknechts, die mit einer Parteigründung liebäugelt und Vorgängerin Mohamed Alis war. In unserer Kolumne „3 auf 1“ bewerten drei Expert:innen die Situation. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.


Die Gründung einer linksnationalistischen Partei ist wahrscheinlicher geworden

Wäre Amira Mohamed Ali nicht eine Vertraute von Sahra Wagenknecht, dann bestünde noch Hoffnung auf Erhalt des Fraktionsstatus. Aber da es um mehr geht als nur um die Ankündigung, nicht mehr für das Amt der Co-Fraktionsvorsitzenden zur Verfügung zu stehen, dürften die Monate gezählt sein, in denen „Die Linke“ den Status und damit die zur Arbeitsfähigkeit notwendigen Privilegien einer Bundestagsfraktion genießt.

Die Fraktionsmindestgröße liegt derzeit bei 37 Abgeordneten, der Linksfraktion gehören 39 an. Dieser Puffer ist in zweierlei Hinsicht zu klein: Er verkraftet die großen inhaltlichen Differenzen nicht, die an Wagenknecht festgemacht werden; etwa die Frage, was für eine linke Partei mehr Priorität haben muss – Genderthemen und der faire Umgang mit dem „globalen Süden“ oder die Existenzsorgen derer, die mit Mindestlohn über die Runden kommen müssen. Vor allem aber fehlt der linken Fraktion das Polster, um zu überstehen, was durch Mohamad Alis Signal wahrscheinlicher geworden ist: die Gründung einer linksnationalistischen Partei.


Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende

Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Linkspartei überhaupt noch im Bundestag zusammenhält. Seit Jahren kokettiert mit Sahra Wagenknecht eines ihrer prominentesten Gesichter damit, die Linke zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen. Ein destruktiveres Verhalten ist kaum denkbar.

Und doch trennt sich die Linke nicht von ihr – was trotz hoher rechtlicher Hürden hier durchaus möglich wäre. Die Aufforderung des Bundesvorstandes, ihr Bundestagsmandat zurückzugeben, wirkt da eher halbherzig. Ein maßgeblicher Grund dafür, den endgültigen Cut zu vermeiden, ist wohl die Angst, den Status als Bundestagsfraktion zu verlieren. Damit wäre nicht nur ein deutlicher Verlust finanzieller Mittel verbunden, auch die Möglichkeiten der parlamentarischen Mitwirkung wären eingeschränkt.

Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass diese Appeasement-Strategie am Ende trotzdem nicht fruchtet und die Fraktion mindestens drei Mitglieder aus dem Wagenknecht-Lager verliert – und damit auch ihren Fraktionsstatus. Für die Linke läge darin eine große Chance, aus der zermürbenden Beschäftigung mit sich selbst herauskommen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.


Nichts ist so mächtig wie die Macht

Die Abschiedslieder auf die Linken-Bundestagsfraktion sind angestimmt, die ersten Nachrufe verfasst. Doch Vorsicht! Nichts ist so mächtig wie die Macht. Ein Abgeordneter verliert massive Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten, sobald er seine Fraktion verlässt. Ohne eine Fraktion ist ein Abgeordneter fast machtlos. Das werden die geschätzt fünf bis zehn Parlamentarier um Sahra Wagenknecht abwägen.

Wagenknecht wiederum ist klug genug zu wissen, wie mühsam eine Parteigründung ist (und wie viele politische Chaoten sie anzieht). Bekommt sie ein erfahrenes Team zustande, das ihre eigenen organisatorischen Defizite ausgleicht? Vielleicht halten Macht und normative Kraft des Faktischen die Linke-Fraktion doch beisammen.

Sollten Linke und Wagenknecht auseinanderbrechen, so dürften sich beide um einen Gruppen-Status im Bundestag bemühen (wie ihn PDS und Bündnis 90 von 1990 bis 1994 hatten). Was der gesamte Bundestag dazu sagt? Das Parlament kann kein Interesse an 39 unorganisierten Abgeordneten haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false