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Der Fußballfan Wolfgang Schmidt bezeichnet sich selbst als „Libero der Regierungsmannschaft“.

© Imago/Christian Spicker

Die Kompromissmaschine im Stresstest : Der Mann, der für die Kompromisse für den Kanzler konzipiert

Der Kanzleramtschef skizziert für Olaf Scholz im Hintergrund Auswege aus den vielfältigen Ampelkonflikten. Offenbar hat er es auch diesmal geschafft.

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Ob das berühmte Zitat wirklich aus Otto von Bismarcks Munde stammt, lässt sich historisch nicht eindeutig nachweisen. Erwiesen ist dagegen, dass es zu Wolfgang Schmidts liebsten gehört. Schließlich handelt der Kanzleramtsminister selbst nach dem Motto, dass die Öffentlichkeit besser nicht erfahren solle, wie Gesetze oder Würste produziert werden. Beides, so soll der erste deutsche Reichskanzler gesagt haben, sei gleichermaßen unangenehm.

Die rechte Hand des heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz jedenfalls lässt sich nicht dazu hinreißen, pikante Details aus dem Regierungsgeschäft preiszugeben – selbst in vertraulichen Hintergrundrunden nicht und vor Publikum gleich drei Mal nicht. In seiner neuen Rolle als Leiter der deutschen Regierungszentrale hat sich Schmidt weitgehende Zurückhaltung auferlegt. Er soll im Auftrag seines Chefs den Laden am Laufen halten und nicht darüber reden.

Als er einmal von dieser Interpretation seines Amtes abgewichen ist, ging es schief. Als er im Herbst die abwartende Haltung zu Kampfpanzern für die Ukraine verteidigte, weil mit deren Lieferung zu hohe Erwartungen verknüpft würden, verglich er das mit der in Nazi-Deutschland als „Wunderwaffe“ bezeichneten V2-Rakete. Er, Schmidt, sei „manchmal versucht, es das V2-Syndrom der Deutschen zu nennen“. Nun gelte der Leopard 2 als „diese Wunderwaffe, die den Krieg beenden wird – und das wird er nicht“. Empört war nicht nur die Opposition.

Am Tischkicker im Kanzleramt

Wolfgang Schmidt hat seine Lehren daraus gezogen – und hält sich noch mehr zurück. Zur Sache spricht er quasi gar nicht mehr. „Mir geht es darum, dass die anderen Ministerinnen und Minister und der Bundeskanzler glänzen“, hat er im einzigen seither erschienenen Interview gesagt, das er Anfang Dezember aber auch nur im Podcastformat „Aus Regierungskreisen“ dem eigenen Bundespresseamt gegeben hat: „Ich mache meine Arbeit gerne so, dass ich nicht jeden Tag in der Zeitung stehe.“ Als „Libero der Regierungsmannschaft“ hat sich der Fußballfan, der beim Einzug ins Kanzleramt einen Tischkicker mitgebracht hat, bei dieser Gelegenheit selbst bezeichnet.

Mir geht es darum, dass die anderen Ministerinnen und Minister und der Bundeskanzler glänzen.

Wolfgang Schmidt, Kanzleramtschef

Für den redseligen Kumpeltyp Schmidt, der der Berliner Hauptstadtpresse einst stundenlangen erklären konnte, warum die in Umfragen hoffnungslos zurückliegende Scholz-SPD doch den Kanzler stellen werde, ist es dennoch ungewohnt, auf Twitter nun nur noch die aktuelle Erfolgsserie des Fußball-Zweitligisten St. Pauli zu kommentieren. Aber er hat gelernt, dass alles, was er sagt, als Aussage seines Regierungschefs interpretiert wird. Es wäre also für ihn nicht ratsam, sich in gesetzgeberischen Streitfällen auf die Seite des ein oder anderen Ampelpartners zu schlagen.

Das gilt in einer für die Koalition so heiklen Lage, in der sie bei zentralen Zukunftsfragen wie dem Klimaschutz und der Verkehrspolitik erst wieder neu zueinanderfinden muss, gleich doppelt. Denn er weiß am besten Bescheid, wo die Ampel bei den verschiedenen Themen schlussendlich landen könnte. Der Sozialdemokrat Schmidt hat das erste Kompromisspapier entworfen, das zu Beginn des Koalitionsausschusses am Sonntagabend auf den Tisch kam.

Verfasser der Beschlussvorlage

Geschrieben hat er es nach Gesprächen mit Anja Hajduk, der grünen Amtschefin in Robert Habecks Wirtschaftsministerium, und Steffen Saebisch, dem Staatssekretär bei FDP-Boss Christian Lindner im Finanzministerium. Das Trio der Regierungskoordinatoren ihrer jeweiligen Parteien tauscht sich mindestens einmal die Woche aus, ist per Du miteinander und kann im Vertrauen aufeinander in Gedanken verschiedene Lösungsszenarien durchgehen.

Aus verärgerten Grünen-Kreisen ist am Rande dieser bemerkenswerten Koalitionsgespräche zu hören, Schmidt habe die Beschlussvorlage anders als zuvor nicht so eng mit ihrer Vertreterin Hajduk abgestimmt, entsprechend FDP-lastiger sei es geworden, weshalb überhaupt erst der ganz große Gesprächsbedarf entstanden sei. Auf der anderen Seite gibt es auch in der Umweltpartei jene, die sich vorstellen können, dass die vielen im Papier enthaltenen Zugeständnisse durchaus das Ergebnis der Absprache mit dem kompromissbereiten Habeck und seinen Leuten darstellen könnten.

Ich mache meine Arbeit gerne so, dass ich nicht jeden Tag in der Zeitung stehe.

Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt über sein Rollenverständnis.

So aber steht Wolfgang Schmidt in dieser koalitionären Auseinandersetzung selbst ein wenig im Fokus. Für die Kompromissmaschine der Regierung, die im Stillen an Lösungs-, ja Auswegen feilt, ist es eine Art Stresstest. Funktionieren die Konsensmethoden, die er zusammen mit Scholz eingeführt hat? Haben die formlosen Kabinettsvorbesprechungen genug Teamgeist erzeugt, um die Ampel durch dieses schwierige Fahrwasser zu lotsen? Sind die Antennen des Ampeltrios Schmidt-Hajduk-Saebisch empfindlich genug eingestellt gewesen, um auch diese große Klippe noch rechtzeitig genug zu erkennen und sie zu umschiffen?

Der 1970 in Hamburg geborene Jurist, der seinen hanseatischen Chef seit zwei Jahrzehnten politisch begleitet, hat sich nie die Illusion gemacht, dass es leicht werden würde mit SPD, Grünen und FDP. Zumal die Ampelpartner seiner Sozialdemokraten kaum über Regierungserfahrung verfügen und im Kampf um die eigenen Positionen immer wieder gerne in Oppositionsmuster verfallen – und mal medial einen raushauen.

Er glaubt an die Kraft der Ampel

Schmidt glaubt dennoch an die potenzielle gesellschaftliche Kraft der Ampel. „Es dauert manchmal auch länger, aber der Vorteil ist, wenn sich drei Parteien, die so unterschiedlich sind, dann einigen, deckt es ein sehr großes Spektrum der politischen Meinungen in unserem Land ab“, hat er vor vier Monaten im Regierungs-Podcast gesagt. Das könne eine befriedende Wirkung haben, weil viele Menschen sich dann dächten: „Okay, da sind jetzt tatsächlich alle Aspekte mit berücksichtigt worden, auch die, die mich persönlich umtreiben“.

Schmidt wusste zu Beginn des dritten Koalitionsausschusstages in Folge noch nicht, ob ein Kompromiss zustande kommen würde. Er war gespannt, ob seine Vorarbeit gut genug war, ob er den Arbeitsauftrag von Olaf Scholz so ausgeführt hat, dass er ihm auch diesmal noch größeren Ärger erspart. Als Libero muss Schmidt auftretende Abwehrlücken schließen und sich auch einmal in den Angriff einschalten – mit spielerischen Ideen, die am Ende den Sieg bringen.

Für den Kanzler jedenfalls war schnell klar, dass Schmidt entgegen der ursprünglichen Planung doch in Berlin bleiben musste, während er und weitere Kabinettsmitglieder am Montagnachmittag den Regierungsflieger zu den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in Rotterdam bestiegen und die Ampelrunde auf den Dienstagmorgen vertagten. Während der Scholz auf dem Rückflug eindöste, dürfte Schmidt noch mit einer neuen Version des Kompromisspapiers zugange gewesen sein.

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