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Ein Covid-19-Patient wird auf einer Intensivstation untersucht.

© Bodo Schackow/dpa

„Die Inzidenz hat ausgedient“: Regionale Klinikbelegungen sollen Maßstab für Corona-Auflagen werden

Die Zahl der Neuinfektionen steigt schnell, immer mehr Menschen müssen wieder in Kliniken. Deren Auslastung soll nun über Corona-Maßnahmen entscheiden.

Bisher galt die Sieben-Tage-Inzidenz als der Wert, der in der Coronavirus-Pandemie in Deutschland ausschlaggebend für Auflagen und Lockerungen war. Angesichts der steigenden Impfquote im Land waren in den vergangenen Wochen immer mehr Forderungen laut geworden, sich davon zu verabschieden – und andere wie die Auslastung der Kliniken stärker zu gewichten. Dies soll Plänen des Bundesgesundheitsministeriums zufolge nun auch offiziell geschehen – und zwar auf regionaler Ebene.

Einem Papier des Ministeriums von Minister Jens Spahn (CDU) zufolge, das dem Tagesspiegel vorliegt, soll vor allem die „Hospitalisierungsinzidenz“ herangezogen werden. Gemeint ist damit die Zahl der zur Behandlung aufgenommenen Covid-19-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen – und eben nicht mehr die Zahl der Neuinfektionen.

Der Schwellenwert, ab dem Gegenmaßnahmen greifen, sei „jeweils unter Berücksichtigung der regionalen stationären Versorgungskapazitäten festzusetzen mit dem Ziel, eine drohende Überlastung der regionalen stationären Versorgung zu vermeiden“, heißt es in dem Formulierungsvorschlag für die Koalitionsfraktionen.

„Weitere Parameter zur Bewertung der epidemischen Lage, wie die Infektionsdynamik und die Anzahl der gegen Covid-19 geimpften Personen, können einbezogen werden“, steht in dem Papier weiter.

Der Bundestag hatte die Regierung in einem am Mittwoch gefassten Beschluss aufgefordert, bis Montag eine Formulierungshilfe vorzulegen, damit der Inzidenzwert als maßgebliche Größe aus dem Infektionsschutzgesetz gestrichen werden kann.

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Spahn sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Inzidenz hat ausgedient. Um die Pandemielage zu beurteilen, ist die Hospitalisierungsrate sehr viel aussagekräftiger.“ Sie zeige, ob die Pandemie trotz hoher Impfquote noch gefährlich werde. „Entscheiden müssen dann die Länder. Sie behalten auch alle anderen Pandemie-Kriterien im Blick und können damit die Lage in ihrer Region am besten beurteilen“, sagte der Minister.

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Dem Papier zufolge sollen die regionalen Hospitalisierungsinzidenzen durch die zuständigen Landesbehörden erhoben und veröffentlicht werden, das Robert Koch-Institut (RKI) werde täglich den aktuellen Wert bezogen auf das Bundesgebiet publizieren. RKI-Chef Lothar Wieler hatte sich vehement gegen die Abschaffung des Inzidenzwertes ausgesprochen. Auch andere Gesundheitsexperten wie der SPD-Politiker Karl Lauterbach lehnen es ab, den Inzidenzwert nicht mehr zu berücksichtigen.

Am Donnerstag sprachen sich auch Mediziner dagegen aus. „Wir befinden uns wieder im exponentiellen Wachstum der Infektionen und auch der schweren Erkrankungen. Immer mehr junge Menschen landen im Krankenhaus, weil sie sich nicht haben impfen lassen oder es bislang nicht ernst genug genommen haben“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, Christian Karagiannidis, der „Rheinischen Post“.

„Das Signal, das vom Streichen des Inzidenzwerts 50 ausgeht, ist kritisch. Natürlich hat sich die Bedeutung verändert, wir sollten den Inzidenzwert aber keinesfalls aufgeben. Ein Dreiklang aus Inzidenzen, Krankenhausfällen und Intensivbettenbelegung ist wichtig", so Karagiannidis weiter.

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Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß sagte dem RND: „So wie wir seit Wochen sagen, dass die Inzidenz nicht alleiniger Indikator sein kann, so gilt das jetzt auch für die Hospitalisierung.“ Notwendig sei, verschiedene Indikatoren nebeneinander qualitativ zu betrachten, um sich ein wirkliches Bild von der Infektions- und Gefahrenlage im Gesundheitswesen zu machen. So müssten neben der Inzidenz und der Hospitalisierung zum Beispiel auch die Impfquote und die Dynamik der jeweiligen Parameter berücksichtigt werden. „Es gibt nicht die Glücksformel, bei der die eine Zahl herauskommt, die die Pandemie umfassend erklärt.“

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Das RKI meldete am Donnerstag 12.626 neue Positiv-Tests. Das sind 4226 mehr als am Donnerstag vor einer Woche, als 8400 Neuinfektionen gemeldet wurden. Hamburg habe keine Zahlen übermittelt, teilte das RKI mit. 21 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus.

Die Hospitalisierungsquote betrug dem RKI zufolge am Donnerstag 1,56 – Tendenz steigend. Die Zahl der registrierten Covid-19-Intensivpatienten lag am Mittwoch bei 832, ebenfalls mit einem täglichen Anstieg, der dem RKI-Wochenbericht zufolge fast nur auf ungeimpfte Personen zurückgeht.

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Bayern kündigte bereits eine neue Verordnung an, die die Krankenhausbelastung berücksichtige. „Wir werden eine einfachere und verständlichere Verordnung auf den Weg geben“, sagte Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder am Donnerstag in München. Er betonte, Basis bleibe das seit dieser Woche geltende 3G-Prinzip mit Freiheiten für Geimpfte, Genesene und Getestete. Zudem werde es Warnstufen geben, die die Krankenhausbelastung berücksichtigten.

[Lesen bei T+: Die (vermeidbare) Zukunft der Pandemie – Ende Oktober könnte es 128.000 Corona-Neuinfektionen pro Tag geben]

Je nach Bettenauslastung – auch bei Intensivbetten – werde es eine gelbe und rote Warnstufe geben, bei der es dann strengere Auflagen gebe. Söder betonte, dass es keinen weiteren Lockdown wie in den ersten drei Wellen mehr geben solle. Dies sei im Umgang mit Geimpften und Genesenen nicht mehr rechtlich möglich.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) fordert wie einige andere seit Wochen eine bundesweit einheitliche Regelung, die neben der Inzidenz auch die Auslastung der Krankenhäuser und den Impffortschritt berücksichtigt. Die Landesregierung in Schwerin hat eine solche Ampel bereits eingeführt.

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