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Steuerflucht in der EU: Die geheimen Geschenke des Jean-Claude Juncker

Luxemburg soll jahrelang Konzernen geholfen haben, Steuern zu sparen. Damals war Jean-Claude Juncker Premierminister. Holt den heutigen EU-Kommissionspräsidenten die Vergangenheit ein?

Hunderte deutsche und internationale Konzerne haben mit Unterstützung der Luxemburger Regierung Steuerzahlungen in Milliardenhöhe vermieden. 28 000 Seiten geheimer Dokumente, die der internationale Rechercheverband ICIJ ausgewertet hat, belegen, dass Luxemburgs Behörden, komplizierte Finanzstrukturen genehmigt haben, mit deren Hilfe Unternehmen teils die Steuern auf ein Prozent drücken konnten.

Was haben die Recherchen über die Luxemburger Steuerpraxis genau ergeben?

Erstmals belegen die Berichte im Detail, was Kritiker bisher nur an Hand einzelner bekannt gewordener Fällen vermutet haben: Die Steuerbehörden in Luxemburg ermöglichen es internationalen Unternehmen im großen Stil, die in anderen Staaten erzielten Gewinne der Besteuerung zu entziehen. Dafür etablierte die Luxemburger Regierung eigens eine gesonderte kleine Abteilung, deren Leiter Marius Kohl über viele Jahre Hunderte von solchen Steuerdeals, „rulings“ genannt, mit den Beratern der interessierten Unternehmen aushandelte.

Wie funktionieren die Steuersparmodelle?

Die einfachste Konstruktion läuft über die Gründung einer Finanzgesellschaft in Luxemburg. Diese wird vom Mutterunternehmen mit Kapital ausgestattet, das sie ihrerseits an andere Konzerngesellschaften im Ausland verleiht. Die Zinsen auf diese Kredite mindern den dort gegenüber dem Fiskus ausgewiesenen Gewinn. Die Zinseinnahmen der Luxemburger Finanztochter unterliegen aber einem ermäßigten Steuersatz, so dass die Steuerlast des Gesamtkonzern insgesamt weit niedriger ausfällt. Ein weiteres gängiges Modell ist die Gewinnverschiebung mittels Zahlung von Lizenzgebühren. Dabei müssen alle Gesellschaften eines Konzerns für die Nutzung von Software, Patenten oder auch einfach nur dem Markennamen überhöhte Gebühren an eine Luxemburger Tochtergesellschaft überweisen. Für die Gewinne aus solchen Einnahmen gewährt die Luxemburger Finanzbehörde wiederum Steuersätze, die weit unter dem eigentlichen gültigen Satz liegen. Die so erzielten steuerbegünstigten Gewinne kann der Mutterkonzern sodann steuerfrei vereinnahmen, weil Luxemburg mit allen wichtigen Staaten Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung unterhält.

Welche Firmen haben davon profitiert?

Die veröffentlichten Dokumente beschreiben 548 „rulings“ der Luxemburger Finanzbehörde mit 340 Unternehmen aus den Jahren 2002 bis 2010. Darunter sind zahlreiche US-Konzerne wie Pepsi, FedEx,3i und auch die deutschen Dax-Unternehmen Eon, Deutsche Bank und Fresenius Medical Care. Aber auch das gibt nur einen Ausschnitt wieder, denn es wurden nur Daten über solche Firmen bekannt, die sich ihre Steuersparkonstruktion von dem Beratungskonzept PriceWaterhousCoopers (PWC) erstellen ließen. Neben PWC bieten aber viele andere Steuervermeidungshelfer wie KPMG und die gleichen Dienste an. Darum gilt als sicher, dass Luxemburg weit über 1000 Unternehmen zur Steuerveremeidung dient.

Ist es illegal oder nur verwerflich?

Alle genannten Berater und Unternehmen verweisen darauf, dass die Steuerpraxis völlig legal sei. So erklärte etwa ein Sprecher des Stromkonzerns Eon, dass das Unternehmen natürlich alle seine steuerlichen Pflichten erfülle. Auch Luxemburgs Premierminister versicherte, sein Land halte sich an alle vereinbarten europäischen Regeln und handle keineswegs gesetzwidrig. Rein steuerrechtlich trifft das auch zu, den bisher steht es jedem EU-Staat frei, seine Unternehmenssteuern zu gestalten. Der allzu großzügige Erlass von Gewinnsteuern verstößt allerdings möglicherweise gegen das EU-Wettbewerbsrecht, das unerlaubte Staatsbeihilfen untersagt. Wegen dieses Verdachts ermitteln Beamte der EU-Kommission auch bereits gegen die Luxemburger Regierung im Fall des US-Konzerns Amazon und des italienischen Autoherstellers Fiat.

Wie kann man das künftig unterbinden?

Nötig wäre eine Vereinbarung der europäischen Finanzminister über eine gemeinsame Bemessungsgrundlage und eine Mindestbesteuerung, wie sie etwa der Grüne Europaabgeordnete Sven Giegold fordert. In Steuerfragen kann der Ministerrat aber nach dem geltenden EU-Vertrag nur einstimmig entscheiden. Darum scheiterten bisher alle entsprechenden Vorschläge der EU-Kommission. Markus Meinzer, Experte beim internationalen Netzwerk Steuergerechtigkeit, empfiehlt daher, die Bundesregierung solle im Alleingang beginnen, den Anteil des weltweiten Gewinns von transnationalen Unternehmen nach der im Inland errechneten Wertschöpfung zu kalkulieren und zu besteuern. Die dagegen erhobene Warnung, dies würde Unternehmen aus dem Land treiben, hält Meinzer für irreführend. Kein Unternehmen würde einen wichtigen Markt „nur aus Steuergründen aufgeben“.

Warum sind diese Enthüllungen für Jean-Claude Juncker so brisant?

Die mehr als vorteilhafte Steuerpraxis des Großherzogtums wurden zu einer Zeit getätigt, als Jean-Claude Juncker dort Ministerpräsident war. Brisant ist das schiere Ausmaß, die Systematik der Steuervermeidung. Eine politische Kernfrage in der Causa Juncker lautet nun: Ist es überhaupt erträglich, dass er als Chef der Eurogruppe und nun als Kommissionspräsident den  Mitgliedstaaten und damit den Menschen dort teils harte Haushaltskürzungen und soziale Einschnitte empfiehlt, wo er doch selbst als Luxemburger Premier und davor als Finanzminister von der Steuerpraxis seines Landes zumindest gewusst haben muss. "Er hat in der Eurogruppe härteste Sparmaßnahmen gegen Griechenland beschlossen und mit der anderen Hand Milliarden an Großkonzerne und deren reiche Eigentümer verschenkt", echauffiert sich ein belgischer EU-Diplomat ganz undiplomatisch: "Das ist einfach zutiefst ungerecht."

Zu den politischen Fragezeichen gehört auch, dass genau diese Ermittlungen der obersten EU-Wettbewerbsbehörde unter Juncker plötzlich dem Vorwurf möglicher Befangenheit ausgesetzt sind. Kommissionssprecher Schinas versuchte diese Bedenken zu zerstreuen: „Margrethe Vestager wird ihren Job machen“, sagte er in Bezug auf die neue Wettbewerbskommissarin aus Dänemark, die im Brüsseler Institutionengefüge eine besonders unabhängige Stellung innehat. Dennoch hatte es Juncker für nötig befunden klarzustellen, dass er sich „bei diesem Thema nicht einmischen“ werde. Trotzdem forderten einige Europaabgeordnete eine Untersuchung der enthüllten Papiere außerhalb der Europäischen Kommission.

Kann Juncker, der erst seit sechs Tagen im Amt ist, über diese Sache stolpern?

Klar ist erst mal, dass sein Start gründlich schief gegangen ist und viele im Europaparlament wütend und enttäuscht sind. Der liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt, verlangte, dass die EU-Kommission den Abgeordneten „unverzüglich erklärt, ob diese Praktiken legal waren oder nicht“. Der Grüne Sven Giegold sieht Juncker „beschädigt“, er habe sich „zum Komplizen von Steuerdrückern gemacht“. Sein SPD-Kollege Udo Bullmann forderte eine Sonderdebatte darüber, ob unter diesen Umständen Junckers Zusage noch gelte, „die europäischen Anstrengungen im Kampf gegen Steuerumgehung und Steuerbetrug zu verstärken“.

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