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Pflege, Lehrerlaptops oder Breitbandausbau - die Rechnung geht an die Allgemeinheit, die nicht unbedingt den Nutzen spürt.

© Wolfgang Kumm/dpa

Die Folgen der Coronakrise: "Gesamtgesellschaftlich" wird zum Modewort

Was viel kostet, wenigen nützt und von allen bezahlt werden soll, wird als "gesamtgesellschaftliche Aufgabe" verkauft. Gerade hat das Konjunktur. Ein Zwischenruf.

Ein Zwischenruf von Ursula Weidenfeld

Es wird oft gesagt und ein sehr großes Wort: „gesamtgesellschaftlich“. Das Adjektiv wird neuerdings meist in Kombination mit der „Aufgabe“ verwendet, und beschreibt etwas, das weit über die Gesellschaft hinausweisen soll. Denn eigentlich ist ja die Gesellschaft in einem Land das größte denkbare Ganze. „Gesamtgesellschaftlich“ ist der Superlativ, der Gegenwart und Zukunft in Haftung nimmt.

In der Corona-Krise kommt „gesamtgesellschaftlich“ besonders oft vor. Die Aufgaben, die zu schultern sind, ragen sehr weit in die Zukunft, mindestens, was die finanziellen Folgen betrifft. Deshalb ist es jetzt wichtig zu fragen, ob und wo das Adjektiv wirklich gerechtfertigt ist. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist in der Pandemie in der Regel eine teure Angelegenheit. Oft soll sie einzelnen Gruppen zugutekommen, aber keinesfalls nur von ihnen finanziert werden.

Das gilt zum Beispiel für die Finanzierung der Pflege, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als gesamtgesellschaftliche Aufgabe deklariert, um den Eigenbeitrag der Pflegebedürftigen für ihre Versorgung auf 700 Euro zu deckeln. Außerdem sollen Beschäftigte in der Pflege besser bezahlt werden – gesamtgesellschaftliche Aufgabe –, ohne dass die Pflegebedürftigen allein dafür bezahlen müssen. Weitere gesamtgesellschaftliche Aufgaben wären der flächendeckende Breitbandausbau und die Ausstattung von Lehrpersonal mit Laptops.

Im Wort „gesamtgesellschaftlich“ steckt ein Appell an die Gemeinschaft, sich solidarisch zu zeigen. Gleichzeitig aber buchstabiert es heute Subsidiarität, also das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, wonach Einzelne zunächst für sich selbst sorgen, dann Familie oder Freunde und zum Schluss erst die Gesellschaft in Anspruch nehmen sollen, neu: nicht mehr von unten nach oben, sondern von oben nach unten.

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Solidarität kann aber ohne die Verantwortung des Einzelnen nicht funktionieren. Dass armen Menschen geholfen werden muss, wenn sie ihren Pflegeanteil nicht bezahlen können, ist klar. Doch muss die Allgemeinheit auch jenen die Last abnehmen, die genug Geld haben? Muss die Allgemeinheit für Lehrer-Computer aufkommen oder der Arbeitgeber? Sollte schnelles Internet generell von allen finanziert werden oder zuerst von denen, die es nutzen? „Gesamtgesellschaftlich“ droht ein Begriff zu werden, der nur für eins steht: die schnöde Umverteilung finanzieller Lasten.

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