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Arne Lietz ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Europaparlament.

© picture alliance / dpa

EU und Nato: „Die EU ist militärisch gut aufgestellt – aber ineffektiv“

Eine Erhöhung der Verteidigungsausgabe ist der falsche Weg, meint der EU-Abgeordnete Arne Lietz (SPD). Stattdessen sollten Rüstungsausgaben in der EU geteilt werden.

Herr Lietz, in dieser Woche haben EU und Nato ein Abkommen über engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik unterzeichnet. Welche Botschaft senden wir derzeit an die Nato?

Dass wir daran arbeiten, die Rolle der EU in der Nato zu stärken. Durch den Brexit und die neue US-Regierung hat die EU eine neue, dynamische Herangehensweise beschlossen. Es geht nun um Effizienz in der Verteidigung, um Ressourcenteilung, statt nur um das Erreichen der Zwei-Prozent-Marke. Diesen Ansatz sehen wir auch im geplanten EU-Verteidigungsfonds und dem PESCO-Abkommen. Die EU hat mehr Soldaten als die USA und gibt mehr Geld für Verteidigung aus als Russland. Wir sind also gut aufgestellt, aber bisher ineffizient. Die große Herausforderung ist: wie kriegen wir eine gemeinsame Aufstellung hin?

Die EU verfehlt bisher ihre Zusage, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Sie meinen, diese Bemühungen sind ohnehin falsch. Warum?

Weil eine Versteifung auf die zwei Prozent Rüstungsausgaben nichts über mehr Sicherheit aussagt. Was wir brauchen, ist ein komplementärer Ansatz. Sehen Sie, wir haben 15 verschiedene Panzertypen in der EU, obwohl auch ein oder zwei reichen würden. Wir haben unterschiedliche Funk- und Radarsysteme. Wenn die Streitkräfte der EU jetzt in den Einsatz ziehen würden, bräuchten wir für jeden Außenspiegel unterschiedliche Monteure und Ersatzteile – weil jedes Land seine eigene Ausstattung hat. Was unsere Verteidigungspolitik deshalb braucht, ist eine Zusammenlegung von Militärequipment, statt einfach blind den Etat zu erhöhen. „Pooling und sharing“ nennt man das. Wir sollten uns überlegen, welcher Mitgliedsstaat welche Produktionslinie langfristig produziert und brauchen dann Konversionsprogramme zum Ausgleich für andere Länder. Die Verteidigungsindustrie muss langzeitig planen können. Diesen Ansatz sehe ich noch nicht wirklich.

Aber welcher Staat teilt schon gerne seine Verteidigungssysteme?

Natürlich liegt es an den Mitgliedsstaaten, wie mutig sie sind, ihre Souveränität in Sachen nationale Sicherheit aufzulockern und sich von anderen Staaten abhängig zu machen. Aber es gibt schon einige positive Beispiele. Mit den Niederländern teilt sich Deutschland eine Panzerbrigade, die produzieren gar keine eigenen Panzer mehr. Beide Länder sind sogar dabei, gemeinsame Kommandostrukturen zu entwickeln.

Bisher regeln die Mitgliedsstaaten ihre Rüstungsindustrien aber noch selber. Wie soll man da zu einer EU-weiten Verteidigungsstrategie kommen?

Ja, auf lange Sicht lässt sich so keine Verteidigungsunion aufbauen. Die Mitgliedsstaaten haben unterschiedliche rüstungspolitische Ansätze und Vorstellungen, das merkt man auch hier in Brüssel. Während die Rüstungsbranche in Deutschland zum Beispiel in privater Hand ist, ist sie in Frankreich staatlich. Auch in Sachen Rüstungsexporte gibt es große Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland. Frankreich hält sich nicht so streng an die Richtlinien, wie sie 2008 in der EU vereinbart wurden, und exportiert viel mehr. Aber es kann nicht sein, dass ein Land aufgrund einer weniger restriktiven Rüstungspolitik ein anderes übergeht. Rüstungsgüter sind keine normalen Handelsgüter. Wenn sie gehandelt werden, dann unter gemeinsamen Standards, wie der Dual-Use-Verordnung.

Ist der politische Wille dazu da?

Die Harmonisierung der Rüstungsexporte in der EU findet bisher kaum Rückhalt. Denn das würde vielerorts Restriktionen und Jobverluste bedeuten. Um aus dem Kreislauf rauszukommen, in dem wir mit unseren Exporten zur Destabilisierung von Drittländer beitragen, nur um dann mit Entwicklungshilfe dagegenzulenken, müssen wir aber zweigleisig fahren: mit einer vereinheitlichten Rüstungsindustrie und glaubhafter EU-Außenpolitik. Im Übrigen zählt für mich zur Außenpolitik auch Klimapolitik oder humanitäre Hilfe. Wir müssen präventiv handeln und Partnerländern fördern, um Konflikte, Nahrungsmittelkrisen, Migration und Wasseranstieg einzudämmen. Auch das ist Sicherheitspolitik. Es geht also nicht nur darum, wie viel Equipment und Personal man hat. Donald Trump reduziert die Verteidigungspolitik gern darauf. Da prallen unsere Weltsichten aufeinander – bei solchen Grundsatzfragen muss die EU sich in der Nato zusammen mit Kanada stark machen.

Was ist Ihre Botschaft an Donald Trump dieser Tage? Ist seine Kritik nicht trotzdem gerechtfertigt, dass wir unser Versprechen von zwei Prozent nicht erfüllen?

Sie ist insofern gerechtfertigt, als wir uns auf diese willkürliche Zahl geeinigt haben. Meine Botschaft an ihn wäre aber: Lassen Sie uns eine gemeinsame Strategie entwickeln. Das ist eine riesige Chance für die EU, eine kohärente, starke Rolle in der NATO einzunehmen. Wir müssen uns auch über unsere Ziele unterhalten. Die USA sind militärisch global tätig, das will die EU nicht. Außerdem entwickeln die USA mit ihrem Verteidigungsbudget auch Atomwaffen. Wir müssen uns also überlegen, was wir technisch erreichen wollen und eine klare Linie fahren, um aus der neuen, nuklearen Rüstungsspirale rauszukommen. Das ist eine Diskussion, die mir noch fehlt.

Tritt die EU-Rüstungsindustrie zu den USA in Konkurrenz?

Ja, eindeutig, aber da sollten wir uns nicht verstecken. Wenn wir die Ansage machen, dass wir für den EU-Verteidigungsfonds nur europäische Komponenten verwenden wollen, um unabhängig zu sein, ist das nur rechtens. Wir können ja trotzdem zusammenarbeiten.

Erschienen bei EurActiv.

Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Florence Schulz

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