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Gemeinsame Zeit mit Freundinnen und Freunden nach dem Unterricht: Viele Kinder gehen sehr gern in den Hort.

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Lücke bei Grundschulkindern: Warum der Ausbau der Ganztagsbetreuung schleppend verläuft

Ab 2026 gilt ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für neue Grundschulkinder. Doch in vielen Ländern geht es nicht voran – und die Zahl der Berechtigten ist inzwischen gestiegen.

Es ist ein ganz großes Versprechen, das die Politik Deutschlands Eltern gegeben hat. Für alle Kinder, die ab 2026 eingeschult werden, wird es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule geben. Familie und Beruf sollen vereinbar bleiben, auch wenn die Kinder im Schulalter angekommen sind. In manchen Gegenden des Landes würde das für Eltern einer Revolution gleichkommen. Doch wird genug getan, um dieses Versprechen einzulösen?

2026 – das klingt, als wäre es noch lange hin. Aber in Wirklichkeit ist die Zeit sehr knapp. Es müssen Hortgebäude und Mensen errichtet und Fachkräfte ausgebildet werden. Das alles dauert.

„Der anvisierte Termin ist längst nicht mehr zu halten“, sagt Oliver Kamlage, Geschäftsführer des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes: „Diese Wahrheit möchte aber niemand in den Reihen der Kultusministerinnen und -minister verantworten müssen.“ Kamlage vertritt diejenigen, die am Ende vor den Eltern in der Verantwortung stehen – und verklagt werden, wenn die Sache schiefgeht.

Das Frustrierende für die Verantwortlichen vor Ort: Zwar will der Bund den Ausbau mit rund drei Milliarden Euro fördern. Doch knapp zwei Jahre, nachdem der Rechtsanspruch beschlossen wurde, können viele Kommunen, die dringend Plätze schaffen müssen, das versprochene Geld noch nicht beantragen und mit dem Ausbau nicht beginnen.

Bildungsföderalismus zeigt sich von seiner schlechten Seite

In den Ländern ist die Wut auf den Bund groß – und in umgekehrter Richtung ist die Laune nicht viel besser. Kamlages Prognose, der Termin sei nicht zu halten, gilt unter Fachleuten allgemein als realistisch.

Das liegt einerseits am Fachkräftemangel in der Branche – aber eben auch daran, dass sich der Bildungsföderalismus beim Thema Ganztag von seiner schlechten Seite zeigt.

Die unnötige Einmischung des eigentlich unzuständigen Bundes führt seit Jahren zu einer großen Verzögerung.

Oliver Kamlage, Geschäftsführer des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes

Im September 2021, als noch die große Koalition regierte, beschlossen Bundestag und Bundesrat den Rechtsanspruch ab 2026. Als Nächstes musste eine sogenannte Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern her.

Das dauerte mehr als anderthalb Jahre. Erst im Mai 2023 wurde sie final unterzeichnet: von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), deren Haus federführend ist, und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).

© dpa/Photothek/Janine Schmitz

Diese Gemütlichkeit im Timing verursacht bei den Ländern viel Ärger. „Aus Sicht von Rheinland-Pfalz waren bereits im Sommer 2022 alle wesentlichen Fragen zwischen Bund und Ländern geklärt. Der Entwurf ging uns jedoch erst am 17. Januar 2023 zu“, sagt eine Sprecherin des Bildungsministeriums in Rheinland-Pfalz. Aus anderen Ländern ist Ähnliches zu hören.

Warum wurde die Verwaltungsvereinbarung erst im Mai 2023 unterzeichnet, wenn doch eigentlich schon im Sommer zuvor alle einig waren? Eine gute Antwort auf diese Frage hat niemand.

Doch auch jetzt sind noch nicht alle Formalitäten geklärt: Als nächstes muss jedes Land eine eigene Förderrichtlinie erstellen und mit dem Bund abstimmen. Auch da ist der Frust groß.

Zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. „Das Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung ist sich seiner Verantwortung bewusst und hat frühzeitig mit der Erarbeitung der Richtlinie begonnen“, sagt ein Sprecher des Bildungsministeriums in Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings: „Darüber hinaus ist jedoch auch die enge Abstimmung mit dem Bundesfamilienministerium notwendig.“

So klingt es, wenn ein Landesministerium vom Bund genervt ist. Und es passt zu dem, was Oliver Kamlage, Vertreter niedersächsischer Kommunen, sagt: „Die unnötige Einmischung des eigentlich unzuständigen Bundes im Bildungsbereich führt seit Jahren zu einer großen Verzögerung, bis die Rahmenbedingungen geklärt sind.“

Ein Sprecher des sächsischen Kultusministeriums teilt geradeheraus mit: „Der Vorwurf der Kommunen ist berechtigt. Das Verfahren hat zu viel Zeit in Anspruch genommen.“

Der Vorwurf: zweijähriges Nichtstun

Aus dem hessischen Kultusministerium heißt es, landesintern sei man im März 2023 mit der Richtlinie fertig gewesen, die Abstimmung mit dem Bund laufe aber noch immer. Ähnlich in Bayern: Man selbst sei fertig, aber vom Bund sei bisher keine Zustimmung zu bekommen.

Dem Ministerium ist an einer zügigen Herstellung des Einvernehmens sehr gelegen.

Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums

Unterm Strich sind erst in zwei Ländern die Richtlinien fertig und es kann tatsächlich losgehen. Immerhin: Aus mehreren Landesministerien heißt es, mit der finalen Zustimmung des Bundes werde in naher Zukunft gerechnet. Bayern fordert dringend, alle Fristen zu verlängern, damit das Geld überhaupt noch investiert werden kann.

Dafür plädiert auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund. „Ich kann den Ärger der Länder nachvollziehen“, sagt Referatsleiterin Ursula Krickl. Es fehle an Planungssicherheit.

Doch wie sieht man die Sache im Bund? Die Abstimmungsprozesse würden laufen, sagt eine Sprecherin von Paus’ Ressort. „Dem Ministerium ist an einer zügigen Herstellung des Einvernehmens sehr gelegen.“ Zu Details schweigt man sich aus.

Kritik an den Ländern aber kommt aus dem Bundestag. In der Tat sind nicht alle Kultusministerien mit den eigenen Aufgaben fertig. So laufen etwa in Schleswig-Holstein nach Auskunft des Kultusministeriums noch die Verhandlungen mit den Kommunen über die Förderrichtlinie.

Er betrachte die Lage mit Sorge, sagt Matthias Seestern-Pauly, familienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die Kommunen seien angewiesen auf Fördermittelrichtlinien der Länder. Von denen aber komme zu wenig. „Zweijähriges Nichtstun“ wirft er den Landesregierungen vor.

Einigkeit herrscht wohl nur in einer Frage: Es geht zu langsam voran.

Auf Ebene der Länder kursieren schon Überlegungen, ob der Rechtsanspruch nicht doch auf das Jahr 2028 verschoben werden sollte. Im Familienministerium ist man alarmiert. Es wäre eine Blamage für die Bildungs- und Familienpolitik als Ganzes. Eine Blamage, die kaum jemand wird verantworten wollen.

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