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Zum Unabhängigkeitstag kam es in der polnischen Hauptstadt Warschau auch zum Aufmarsch von Rechtsextremen.

© Adam Chelstowski/AFP

Marsch der Unabhängigkeit in Polen: Die Angst der Rechten vor den Rechtsextremen

Der Nationalfeiertag bringt die PiS-Regierung in die Klemme: Sie wird Schirmherr einer Demonstration, an der ihre Wähler nicht teilnehmen sollen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wem gehört der Nationalfeiertag? Allen Bürgerinnen und Bürgern, jedenfalls in den meisten Staaten. In der Regel hat er heiteren und festlichen Charakter. Die Menschen zeigen ihren Patriotismus und Nationalstolz ohne deshalb auf andere Nationalitäten herabzuschauen.

In Polen wird der Unabhängigkeitstag am 11. November immer mehr zur Farce. Er markiert die Erinnerung an die staatliche Wiedergeburt 1918 nach über hundert Jahren ohne polnischen Staat. Preußen, Russland und Österreich hatten Polen Ende des 18. Jahrhunderts unter sich aufgeteilt.

Wer darf am Nationalfeiertag wo und wie sein Verständnis von Patriotismus demonstrieren? Darüber hatten Antifaschisten und Nationalisten, Liberale und Konservative seit Wochen erbittert vor Gericht gestritten. Am Ende marschierten die Rechtsextremen.

Die größte Klemme ergibt sich daraus für die nationalpopulistische Regierungspartei PiS. Sie hat nach langem Zögern eine Art Schirmherrschaft für den Marsch der Unabhängigkeit übernommen. Zugleich wollte sie jedoch vermeiden, dass ihre Wähler daran teilnehmen. Sie weigerte sich standhaft, ihnen die Teilnahme an einer Kundgebung zu empfehlen, der sie zugleich einen offiziellen staatlichen Charakter zugestand.

Justizminister ruft zu zivilem Ungehorsam auf

Das klingt wie Kabarett. Und es ist auch eine Posse, freilich eine bitterböse. Sie spiegelt die Angst der Rechten vor den Rechtsextremen. Und die gleichzeitige Angst vor den Folgen, wenn sie der demokratischen Opposition einen symbolischen Sieg erlaubt.

Zu den delikaten Details dieser Posse gehört, zum Beispiel, dass der erzkonservative Justizminister Zbigniew Ziobro, der sonst auf "Law and Order" pocht, den Rechtsextremen riet: Sie sollten sich das Konzept des zivilen Ungehorsams von den Linken abschauen.

Einerseits will sich die PiS nicht mit den Rechtsextremen gemein machen. Am 100. Jahrestag der Unabhängigkeit 2018 war der Marsch noch eine Initiative der PiS. Seither haben jedoch die extremen Nationalisten die Kontrolle übernommen.

"14 Frauen von der Brücke" düpieren die Rechten

Andererseits will die PiS auch nicht hinnehmen, dass der von der liberalen Opposition gestellte Oberbürgermeister von Warschau, Rafal Trzaskowski, die traditionelle Demonstrationsstrecke einer antifaschistischen Gruppe namens "14 kobiet z mostu" (14 Frauen von der Brücke) überlässt. Ihre Mehrheit wackelt immer öfter. Der Ausgang der Wahl 2023 ist offen.

Die traditionelle Route des Marschs führt vom Dmowski-Rondo nahe dem Kulturpalast auf der mehrspurigen Jerusalem-Allee über die Weichsel zum Nationalstadion.

Doch die Nationalisten versäumten es, ihre Demo auf dieser Strecke rechtzeitig anzumelden. Die "14 Frauen von der Brücke" kamen ihnen zuvor.

Die erste Argumentation der Rechten verfing nicht: Bei dem Marsch der Unabhängigkeit handele es sich um einr jährlich wiederkehrende Tradition; die habe Vorrang im Genehmigungsverfahren. Doch die Behörden meinten, da der Marsch 2020 wegen Corona nicht stattgefunden habe, sei die Kontinuität fraglich.

In der Folge stand für Warschaus OB Trzaskowski die Sorge im Zentrum, wie er die vergleichsweise kleine Gruppe "14 Frauen von der Brücke" vor gewalttätigen Übergriffen der Rechten schützen könne. Die hatten die Absicht, die Route, die sie als ihre betrachteten, zurückzuerobern.

Das Amt für Kombattanten übernimmt die Organisation

Die Vorstellung, dass linke Antifaschisten am Nationalfeiertag einen Sieg über die Nationalisten erringen, erschien der PiS jedoch am Ende noch weniger erträglich als die Bilder vom Triumph der Rechtsextremen. Am Dienstag erklärte das Amt für Angelegenheiten der Kombattanten und Verfolgten, sie übernehme die Organisation des Marschs der Unabhängigkeit.

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Damit bekam die Kundgebung einen offiziellen staatlichen Charakter. In solchen Fällen hat sie bei der Routenwahl Vorrang vor privat angemeldeten Demonstrationen.

Wie schon bei früheren Interessenkonflikten verstrickt sich die PiS immer tiefer in den Widersprüchen zwischen ihrer Ideologie, ihren Propagandainteressen und der Realität. Wenn eine Parlamentsabstimmung nicht das gewünschte Ergebnis hat, wird sie wiederholt, bis das Resultat passt. Und wenn die Hörer der populären Hitparade im staatlichen Radio ein Lied auf Platz eins wählen, das PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski kritisiert, dann wird die Sendung abgesetzt.

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