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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Justin Trudeau (r), Premierminister von Kanada, geben eine Pressekonferenz.

© Kay Nietfeld/dpa

Scholz und Habeck in Montreal: Deutschlands LNG-Hunger stellt Kanada vor eine schwierige Entscheidung

Kein anderer Antrittsbesuch des Kanzlers war so aufwändig wie der bei Justin Trudeau. Auch Vizekanzler Habeck ist dabei - aus guten Gründen. Eine Analyse.

Von Hans Monath

Bei keinem seiner bisher mehr als zwanzig Antrittsbesuchen als Kanzler hat Olaf Scholz einen so großen Aufwand betrieben wie nun bei seiner Reise nach Kanada. Der Regierungschef wird nicht nur von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck und einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet, sondern nimmt sich für den Besuch auch ganze drei Tage Zeit. Dabei hat der nördliche Nachbar der USA nicht einmal halb so viele Einwohner wie Deutschland.

Und doch gibt es viele gute Gründe für das besondere Interesse und die Investition in die Pflege der Beziehungen zum zweitgrößten Flächenstaat der Erde: Deutschland braucht andere Energielieferanten als Russland, auch neue Energiequellen, und es braucht für die Energiewende wichtige Rohstoffe. „Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland - mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist“, sagte Scholz vor dem Abflug.

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Schließlich will die Ampelkoalition nach dem Schock über die dramatische wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands vom Autokraten Wladimir Putin den Handel mit anderen Demokratien ausbauen. Die engere Zusammenarbeit soll die eigene Seite im Systemwettbewerb mit Staaten wie Russland und China stärken.

Justin Trudeau ist für Scholz ein Vertrauter

Dazu kommt: Für Olaf Scholz ist sein Gastgeber Justin Trudeau ein Vertrauter. Lange, bevor er Kanzler wurde, hatte der damalige Bürgermeister von Hamburg vor fünfeinhalb Jahren den Premierminister aus Ottawa als Ehrengast zum traditionellen Matthiae-Mahl in die Hansestadt eingeladen.

Das war im Februar 2017, einen Monat nach dem Amtsantritt von Donald Trump ein Signal gegen Populismus. Und es war ein Bekenntnis zum Freihandel. Denn kurz zuvor hatte das Europäische Parlament das besonders in Deutschland von der SPD und den Grünen lange äußerst kritisch gesehene Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada, kurz Ceta, gebilligt.

Auch dieser guten Beziehung war es geschuldet, dass die Regierung in Ottawa sich kürzlich über eigene Bedenken hinwegsetzte und die Ausfuhrgenehmigung für die Gasturbine nach Deutschland erteilte, die Nordstream-Betreiber Gazprom zur Überholung nach Kanada geschickt hatte.

Nimmt sich ebenfalls drei Tage Zeit für den Ausflug nach Kanada: Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) auf dem Hinflug im Gespräch mit Journalisten.

© Kay Nietfeld/dpa

In einem ähnlichen Zwiespalt steckt Trudeaus Kabinett auch angesichts der Wünsche der deutschen Gäste nach der Lieferung von kanadischem Flüssiggas (LNG). Für ein schnelles Geschäft fehlt momentan die nötige Infrastruktur wie Pipelines und Terminals für den Transport per Schiff nach Deutschland. Zudem steht eine Ausweitung der Förderung dieser fossilen Energie im Widerspruch zu den eigenen Klimazielen, Umweltschützer warnen vor neuen Eingriffen in die Natur.

Keine einfache Entscheidung für Kanadas Regierung

Deshalb wollen beide Seiten ein Abkommen zur Kooperation bei der Produktion und dem Transport von grünem Wasserstoff unterzeichnen, denn der lässt mit erneuerbaren Energien erzeugen. Kanada will diese Energieart künftig in großem Stil exportieren, muss aber dafür noch die technischen Voraussetzungen schaffen.

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Insgesamt gilt: Jede Anstrengung für noch engere Beziehungen zu Kanada lohnt und und ist im gemeinsamen Interesse. So hatte sich die Ampelkoalition gegen die Bedenken vor allem der Grünen vor der Sommerpause entschlossen, das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada nun endlich zu ratifizieren. Manchmal macht die Zeitenwende doch klüger.

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