zum Hauptinhalt

Deutschlands EU-Vorsitz: Merkel im Europa-Modus

Nach der Ansicht von Angela Merkel steht die EU ihrer bislang größten Herausforderung gegenüber. Beim kommenden EU-Vorsitz kommt auf die Kanzlerin viel zu.

erl

„Die Pandemie zeigt uns: Unser Europa ist verwundbar.“ Mit diesen Worten beschrieb Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag im Bundestag den fragilen Zustand der Europäischen Union. Durch die Corona-Krise, so lautete der Befund der Kanzlerin, seien die Unterschiede in der Wirtschafts- und Haushaltslage der EU-Länder vertieft worden. Um einem möglichen Zerfall der EU entgegenzuwirken, wird in der EU seit dem vergangenen Monat mit großen Summen operiert: 500 Milliarden Euro sieht ein von Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorgeschlagener Wiederaufbaufonds vor. Das Programm der EU-Kommission zur Wiederbelebung der EU-Wirtschaft hat sogar ein Volumen von 750 Milliarden Euro.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Ob die Operation zur konjunkturellen Genesung des europäischen Patienten gelingt, wird nicht zuletzt von Merkels Geschick und der am 1. Juli beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft abhängen, deren Schwerpunkte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung skizzierte. Merkel hat als dienstälteste Regierungschefin in der EU schon etliche Erfahrungen mit europäischen Krisen gesammelt. Als Deutschland zum letzten Mal im Jahr 2007 die halbjährlich rotierende EU-Präsidentschaft übernahm, galt es seinerzeit für die Kanzlerin, nach gescheiterten EU-Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu wahren. Das gelang auch, die EU-Staaten einigten sich auf einen neuen EU-Vertrag, der bis heute die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft bildet.

Allerdings ist nach der Einschätzung der Kanzlerin der gegenwärtige Wirtschaftseinbruch gravierender als sämtliche Verwerfungen, mit denen die EU in den letzten Jahren von der Euro- bis  zur Flüchtlingskrise zu kämpfen hatte.  Die EU stehe „der größten Herausforderung in ihrer Geschichte“ gegenüber, so Merkel. Und wie das so häufig bei solchen Dingen in der nach dem Einstimmigkeitsprinzip funktionierenden EU der Fall ist, tastet sich die Gemeinschaft bei einer Lösung des gemeinschaftlichen Konjunkturproblems nur langsam voran. Die Videokonferenz, bei der die Staats- und Regierungschefs der EU an diesem Freitag zum ersten Mal das von der Kommission vorgeschlagene 750-Milliarden-Paket besprechen wollen, wird noch keinen Durchbruch bringen. Entscheidung seien es möglich, wenn sich die Staats- und Regierungschefs auch wieder physisch treffen können, sagte Merkel.

Am 9. und 10. Juli ist ein weiterer Gipfel geplant - diesmal physisch

Das wird voraussichtlich gleich zu Beginn des deutschen EU-Vorsitzes bei einem am 9. und 10. Juli geplanten „echten“ Treffen der Fall sein, bei dem Merkel und Co. erstmals wieder in einem Raum verhandeln wollen. Zu den entscheidenden Knackpunkten gehört die Frage, welches Volumen in dem geplanten Milliardenpaket jeweils Zuschüsse und Kredite haben sollen. Der 750-Milliarden-Euro-Vorschlag von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht vor, dass zwei Drittel der Summe an besonders betroffene Länder wie Italien oder Spanien als nicht zurückzuzahlende Zuschüsse und ein Drittel in der Form von Krediten ausgezahlt werden. Während sich Italien, Spanien, Zypern, Griechenland, Portugal und Slowenien über eine derartige Aufteilung  freuen würden, haben Österreich, die Niederlande, Schweden, Dänemark und Finnland ein Problem damit: Die „sparsamen Vier“ und Helsinki verlangen, dass Kredite, die von den Empfängerländern zurückgezahlt werden müssen, einen größeren Raum einnehmen.

In Brüssel ist eine Rabattschlacht zu erwarten

Aus Sicht der Bundesregierung steht neben dem Streit um die Aufteilung zwischen Krediten und Zuschüssen auch die Frage des Gesamtvolumens im Vordergrund – schließlich besteht zwischen dem Merkel-Macron-Vorstoß und dem Vorschlag von der Leyens eine Differenz von 250 Milliarden Euro. Besonders wichtig ist aus deutscher Sicht ein weiteres Thema, das den kommenden Sieben-Jahres-Haushalt der EU für die Jahre von 2021 bis 2027  betrifft und in den kommenden Wochen noch für zahlreiche Diskussionen sorgen wird: die sogenannten Rabatte auf den Mitgliedsbeitrag, die für Deutschland und andere Nettozahler die Einzahlungen in die gemeinsame EU-Kasse verringern. Es wäre im Sinne der Bundesregierung, wenn die Rabatte auch künftig erhalten blieben. Allerdings gibt es ein Problem für Berlin: In der Ratspräsidentschaft muss die Bundesregierung moderieren und kann mit ihren Forderungen weniger offensiv auftreten als sonst üblich.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte.]

Der Rabatt für Deutschland ist auch wichtig, um die absehbaren zusätzlichen Berliner Einzahlungen in die EU-Kasse in Grenzen zu halten. Schon vor der Corona-Krise war klar, dass Deutschland wegen des Wegfalls Großbritanniens als Nettozahler mehr für den künftigen Sieben-Jahres-Haushalt berappen muss.  Nach Schätzungen des Finanzministeriums könnten sich die Zahlungen Deutschlands pro Jahr zwischen 2021 und 2027 im Schnitt um 13 Milliarden Euro erhöhen. Entscheidend ist bei dabei am Ende allerdings der Saldo – also die Zahlungen aus Berlin nach Abzug der Rückflüsse aus Brüssel. Da noch nicht feststeht, welche EU-Zuschüsse Deutschland in der kommenden Haushaltsperiode erwarten kann, lässt sich Deutschlands Nettobeitrag in den nächsten Jahren noch nicht beziffern. Zum Vergleich: 2018 zahlte Deutschland mehr als 13 Milliarden Euro in den europäischen Haushalt ein, als Berlin zurückbekam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false