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 Heiko Maas in schwieriger Mission. Israel verabschiedet sich von der Zwei-Staaten-Lösung..

© dpa

Israel will Teile der Westbank annektieren: Deutschlands Dilemma

Deutschlands muss die Auslegung seiner besonderen Verantwortung für Israel überdenken. Sie ist keine „carte blanche“ für Völkerrechtsverletzungen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Ja, es gibt ihn noch, den Nahostkonflikt. Wenn er in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit zuletzt kaum eine Rolle gespielt hat, dann lag das auch daran, dass die EU auf den „ Jahrhundertplan“ von US-Präsident Donald Trump vom Januar und das Annexionsvorhaben des alten und neuen israelischen Premiers Benjamin Netanjahu mit den üblichen, folgenlosen Floskeln reagierte.

Diplomatische Gegeninitiativen gab es in den vergangenen Monaten nicht. Doch nun kommt das Thema mit „Wumms“ auf die Agenda zurück und stellt insbesondere Deutschland vor eine delikate Aufgabe.

Am 1. Juli übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft der EU und auch den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat – an genau dem Tag, an dem Israels Regierung mit der völkerrechtswidrigen Annexion von etwa 30 Prozent der Westbank beginnen will, zu der sie sich durch Trumps „Jahrhundertplan“ ermuntert sehen.

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Bundesaußenminister Heiko Maas hat am Mittwoch bei seinem Besuch in Israel wie erwartet übermittelt, dass Deutschland und die EU die Annexion als „nicht vereinbar“ mit internationalem Recht sähen, mögliche Konsequenzen deutet er nicht an.

Aber die EU muss sich spätestens ab dem 1. Juli positionieren – bedeutet die Annexion doch das endgültige Aus einer Zwei-Staaten-Lösung, die Deutschland und die EU seit Jahrzehnten unterstützen.

Deutschland steckt in einem Dilemma

Eine Debatte über Konsequenzen von der Anerkennung eines Staates Palästina bis hin zu möglichen Sanktionen gegen Israel wird kommen – ausgerechnet unter der Federführung Deutschlands. Damit steckt Deutschland in einem Dilemma. Die Verantwortung und das besondere Verhältnis zu Israel, die aus der deutschen Vergangenheit erwachsen, sind unbestritten. Daher tritt die Bundesregierung international als Unterstützer israelischer Interessen auf und als Moderator, der sich notfalls der Stimme enthält.

Doch diese Haltung könnte angesichts der Tragweite der Annexionspläne politisch und an ihre Grenzen kommen: Sind Hinweise auf internationales Recht ausreichend, wenn das Völkerrecht ignoriert und der bisherige Lösungsansatz einseitig verworfen wird? Wenn Jordanien als Reaktion den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen wird? Wenn die Autonomiebehörde die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel beendet und der Konflikt in der Region angeheizt wird?

Deutschland hat die Chance verpasst Grenzen aufzuzeigen, wo es möglich gewesen wäre

Sicher, das lehrt die Erfahrung, Netanjahu ist durch europäische Reaktionen nicht von seinen Plänen abzuhalten. Obwohl auch viele Israelis bezweifeln, dass ihre Sicherheit mit diesen radikalen Plänen erhöht wird.

Aber Deutschland hat es auch versäumt, Grenzen da aufzuzeigen, wo es trotz seines besonderen Verhältnisses zu Israel möglich gewesen wäre: So hat Berlin Anfang des Jahres beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag interveniert, um zu verhindern, dass Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten aufgenommen werden – wofür laut der Chefanklägerin die Indizien ausreichen.

Wird Berlin sich hinter der zerstrittenen EU verstecken?

Damit hat Deutschland ohne Not eine Chance verpasst, Israel zu signalisieren, dass es trotz der besonderen Beziehungen keine „carte blanche“ für Menschen- und Völkerrechtsverletzungen hat.

Deutschland darf sicher nicht Wortführer von Sanktionen gegen Israel sein. Wahrscheinlich kann es sich hinter der in der Nahostfrage zerstrittenen EU verstecken.

Dennoch ist jetzt der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob die besondere Verantwortung gegenüber Israel immer richtig ausgelegt wird.

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