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Im Jahr 2019 vereint: Deutsche Einheit: Systematisch abgewickelt

2019 wird zum zentralen Datum für die innere Einheit – der Solidarpakt läuft aus und die Stasiunterlagenbehörde soll schließen.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Der Streit darüber, wann wohl die innere Einheit Deutschlands erreicht sei, begann mit der staatlichen Einheit 1990 – und dauert bis heute an. Weil es so müßig ist, darüber zu philosophieren, an welchen Maßstäben man denn nun bemisst, ob Ost und West zusammengewachsen sind – blühende Landschaften, Verschwinden der Ossi- und Wessi- Witze, gleiches Lohnniveau und vergleichbare Quoten der Arbeitslosigkeit –, tut es gut, sich an einer Jahreszahl zu orientieren: 2019. In neun Jahren also, 70 Jahre nach der Gründung von DDR und Bundesrepublik, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, 29 Jahre nach dem Einigungsakt auf den Treppen des Reichstags, 14 Jahre nach der Wahl der ersten Frau und Ostdeutschen zur Kanzlerin werden wir jene schwarz-rot-goldene Markierung erreicht haben, die die Politik in den Kalender der deutschen Geschichte gemalt hat.

Denn 2019 läuft die Förderung der dann wahrlich nicht mehr neuen Bundesländer über den sogenannten Solidarpakt II endgültig aus. Schon seit Jahren werden die Finanzströme planmäßig reduziert, 2019 werden sie gänzlich versiegt sein. In den Osten werden dann allein über den ersten und zweiten Solidarpakt innerhalb von 25 Jahren rund 250 Milliarden Euro geflossen sein. In neun Jahren werden die fünf Ostländer auf eigenen Füßen stehen müssen und den bundesweit einheitlichen Regelungen des Finanzausgleichs unterworfen sein – wie immer diese bis dahin aussehen mögen.

Obwohl wirtschaftliche Leistungskraft und geistig-moralische Verfasstheit zwei ziemlich eigenständige – wenngleich nicht gänzlich voneinander abgekoppelte – Merkmale eines Staatsgebildes sind, orientiert sich derzeit auch die politische Aufarbeitung der DDR-Geschichte an diesem rein fiskalisch determinierten Datum. So besteht in der schwarz-gelben Regierungskoalition wie auch darüber hinaus mittlerweile offenbar Konsens darüber, dass das Jahr 2019 den geeigneten Rahmen böte, um die strahlkräftigste, größte und zugleich umstrittenste Aufarbeitungsinstitution abzuschaffen: die Stasiunterlagenbehörde. Wenn die Behörde, die in ihren besten Zeiten über 3000 Mitarbeiter beschäftigte, bis 2019 systematisch abgewickelt wird und ihre Bestände dann ins Bundesarchiv übergehen, bedeutet das freilich nicht, dass die Akten versiegelt werden. Für Betroffene wie für Wissenschaftler und Journalisten werden sie weiterhin zugänglich sein.

Das in Juristenkreisen umstrittene Sonderrecht des Aktenzugangs, das einst die letzte DDR-Volkskammer erzwang und das dem Aufarbeitungsinteresse ungewöhnlich hohen Rang gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einräumt, würde somit fortgesetzt. Doch weil dann die im Archivrecht so wichtige Zeitspanne von 30 Jahren ohnehin durchmessen wäre, mögen auch die Zweifler besser mit dieser Situation umgehen können. Gleichwohl: Die Stasiunterlagenbehörde ist in der deutschen Geschichte mit einem Alleinstellungsmerkmal behaftet. Deshalb wird ihre voraussichtliche Auflösung im Jahr 2019 zweifellos eine Zäsur im Einigungsprozess sein.

Flugs hat sich die Regierungskoalition auch in der Frage der Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst an die Jahreszahl 2019 angekoppelt. Die Möglichkeit, Beschäftigte im öffentlichen Dienst auf frühere Mitarbeit in Mielkes Schnüffelapparat zu checken, ist im Stasiunterlagengesetz bereits zwei Mal verlängert worden. Zuletzt ist sie zugleich auf einen kleineren Personenkreis, nämlich nur noch auf Personen in führenden Positionen, eingegrenzt worden. 2011 sollte die Regelung nun wieder auslaufen. Jetzt ist man sich in der Koalition einig, die Möglichkeit von Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst bis 2019 zu verlängern.

Auch für Opfer der SED-Diktatur ist ein solcher Zeithorizont eröffnet worden. Der Bundesrat billigte am Freitag ein Gesetz, das Nachbesserungen bei finanziellen Entschädigungen vorsieht. So wird das Kindergeld, das die einst Inhaftierten heute für ihre Kinder erhalten, bei der Gewährung der Opferrente nicht mehr angerechnet. Deshalb kommen nun mehr Betroffene in den Genuss der monatlichen Zuwendung von bis zu 250 Euro. Und: Die Frist für Anträge auf Opferrente wurde verlängert. Bis zum Jahr 2019.

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