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Darf die Bundesregierung den neuen Machthabern in Afghanistan Vorteile dafür verschaffen, dass die Menschen freilassen?

© AFP/HO/AL JAZEERA

Berlin und die Taliban: Der Preis eines Menschenlebens

Noch immer sind deutsche Staatsbürger und viele afghanische Ortskräfte in Kabul gefangen. Welchen Preis darf Deutschland den Taliban für sie zahlen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Manchmal macht der Blick zurück eine grausame Gegenwart noch bitterer. Als Joschka Fischer im November 2001 nahe Bonn die Petersberger Konferenz eröffnete, schien Afghanistan besseren Zeiten entgegenzugehen. „Jetzt ist die Zeit für eine Zukunft, in der Terror und Gewalt keinen Platz haben“, sagte der damalige Außenminister.

Die Deutschen, die mit Afghanistan eine lange Freundschaft verbindet, hatten gemeinsam mit den Vereinten Nationen alle wichtigen Gruppen aus dem Land eingeladen – nur die damals gerade geschlagenen Taliban nicht. Denn Ziel des Aussöhnungsprozesses war eine stabile Friedensordnung ohne diese radikalislamische Bewegung.

Die Bundesregierung hat sich von den Taliban abhängig gemacht

20 Jahre später beherrschen die Taliban wieder fast das gesamte Land, und die Bundesregierung hat sich durch das Verschleppen einer rechtzeitigen Evakuierung in eine Lage gebracht, in der sie vom guten Willen der neuen Machthaber völlig abhängig und damit womöglich erpressbar geworden ist.

Denn ohne deren Einverständnis können Deutsche nicht auf sicherem Wege außer Landes gebracht werden, Ortskräfte noch schwerer. Zunächst hatten die Taliban-Kämpfer es afghanischen Staatsbürgern nicht erlaubt, überhaupt zum Flughafen von Kabul zu gelangen. Nun scheint sich die Praxis an den Checkpoints zu ändern.

Erst wer es trotz aller Hürden in ein Evakuierungsflugzeug geschafft hat, darf sich in Sicherheit fühlen.
Erst wer es trotz aller Hürden in ein Evakuierungsflugzeug geschafft hat, darf sich in Sicherheit fühlen.

© AFP/ LA MONCLOA

Ob deutsche Diplomaten überhaupt mit der lange international geächteten Gruppe  verhandeln sollen, ist längst nicht mehr die Frage. Das tun sie seit Jahren, vor allem in Doha im Golfemirat Katar, und die Kontakte sind gut und belastbar. Es geht nun darum, welchen Preis die Bundesregierung für hunderte von Menschenleben zahlen darf und wo die Grenzen eines Entgegenkommens liegen müssen.

Eine diplomatische Anerkennung der Rebellen darf Berlin im Alleingang  nicht anbieten. Sie würde die eigenen politischen Ansprüche der Lächerlichkeit preisgeben sowie eine gemeinsamen Antwort der EU und westlicher Partner unmöglich machen, die zusammen mehr Einfluss nehmen können als jede Nation allein.

Muss Heiko Maas dementieren, dass Afghanistan kein Geld bekommt?

Unterhalb dieser Schwelle gibt es andere Möglichkeiten, den Wünschen der Taliban entgegenzukommen – etwa die Zahlung eines Lösegeldes für die festsitzenden Ortskräfte, was natürlich nie offiziell bestätigt würde.

Vor dem Fall von Kabul hat Außenminister Heiko Maas vollmundig angekündigt, Deutschland werde an ein von den Taliban beherrschtes Afghanistan "keinen Cent" mehr zahlen. Das wird er womöglich widerrufen müssen. Damals glaubte er wie viele andere, die Hauptstadt sei gesichert.

Das gilt übrigens nicht nur für ein mögliches Lösegeld, sondern auch für humanitäre Hilfe. Wenn die Menschen in Afghanistan hungern, wird Deutschland nicht tatenlos zusehen können, nur weil über dem Präsidentenpalast in Kabul die Taliban-Flagge weht.

"Keinen Cent" mehr solle ein von den Taliban regiertes Afghanistan erhalten, hatte Außenminister Heiko Maas angekündigt. Muss er diese Festlegung widerrufen?
"Keinen Cent" mehr solle ein von den Taliban regiertes Afghanistan erhalten, hatte Außenminister Heiko Maas angekündigt. Muss er diese Festlegung widerrufen?

© Janine Schmitz/imago images/photothek

Von hohem Wert für die Verhandlungspartner wäre auch eine Zusage, ihrer Regierung einer internationalen Anerkennung näherzubringen. Die Aussicht auf den Zugang zur Weltbühne müsste allerdings an die strenge Voraussetzung geknüpft werden, dass sie die Macht tatsächlich teilen, Frauen nicht unterdrücken und menschenrechtliche Grundstandards einhalten. Ob die modernisierten Stammeskrieger, die „Taliban 2.0“, ihre Versprechen einhalten, müsste ständig überprüft werden.

Das alles klingt hässlich, ist aber nicht neu. Manchmal sind blitzsauber Lösungen nicht möglich, nur weniger schlechte als noch schlechtere Entscheidungen. Die Bundesrepublik hat von der DDR rund 30.000 Häftlinge freigekauft, auch nach Geiselnahmen im Ausland, auf den Philippinen und in Algerien, floss Geld.

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Es gehört zur jüngeren Tradition deutscher Staatspraxis, das Leben seiner eigenen Bürger höher zu achten als das hehre Prinzip, wonach der Täter und Regelbrecher nicht belohnt werden darf. Die afghanischen Ortskräfte haben sich für Deutschland eingesetzt und dafür viel riskiert. Deshalb ist es nur billig, wenn dieses Prinzip nun auch für sie gilt.

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