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Bitte einmal sitzen bleiben! Deutschlands Rentner müssen sich im kommenden Jahr auf eine Nullrunde einstellen - außer wohl im Osten.

© Sebastian Kahnert / dpa

Nullrunde bei der Rente: Der Preis der Gerechtigkeit

Deutschland Rentner erwartet 2021 im Westen eine Nullrunde. Ist das nur ungerecht? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rainer Woratschka

Immer auf die Alten. Wegen der Coronakrise müssen sich die Rentnerinnen und Rentner fürs kommende Jahr auf eine Renten-Nullrunde einstellen. Zumindest im Westen der Republik, wie ein Regierungsbericht prognostiziert. Dabei steigen die laufenden Ausgaben, Gesundheitskosten, Mieten. Und sind die Älteren nicht schon jetzt die Hauptleidtragenden der Pandemie?

Viele von ihnen sitzen vereinsamt in ihren Wohnungen, trauen sich kaum noch zum Einkaufen, bekommen selbst enge Angehörige und Enkel nicht mehr zu Gesicht. In den Pflegeheimen, noch schlimmer, leben sie wie hinter Glas. Besuche sind unerwünscht und selten – wenn sie dennoch stattfinden, dann unter abschreckenden Sicherheitsprozeduren. Und wer sich professionell um die Alten kümmert, tut es nur mit Maske und mit möglichst wenig Körperkontakt.

Alles notwendig, rational besehen. Die Hälfte der an oder mit Covid-19 Verstorbenen ist über 80. Wer die Krankheit überlebt, kommt kaum mehr auf die Beine. Das unheimliche Virus bedroht Ältere weit stärker als die Jungen. Manche aus der jüngeren Generation sehen darin gar den Hauptgrund für die erzwungene Begrenzung ihrer eigenen Freizügigkeit – was dem Verhältnis zwischen Alt und Jung auch nicht gerade förderlich ist.

Immer auf die Alten? Man darf das auch anders sehen, zumindest was das Finanzielle betrifft. Die Rentenanpassungen der vergangenen Jahre waren nicht ohne. 4,2 Prozent dieses Jahr für Ostdeutsche, im Westen 3,45 Prozent. Die beiden Jahre davor auch eine Drei vor dem Komma. Da wird mancher Arbeitnehmer blass, zumal der tarifungebundene. Von den Kurzarbeitern und denen, die der Lockdown existenziell komplett aus der Bahn wirft, ganz zu schweigen. Ist Solidarität nur was für die Jungen?

Entlastung beim Eigenanteil

Auf anderer Ebene geschieht gerade viel für alte Menschen im Land. Der Gesundheitsminister plant nochmal eine Pflegereform. Dabei geht es nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um Entlastung bei Eigenanteilen. Jens Spahn will verhindern, dass immer mehr Pflegebedürftige in die Sozialhilfe abrutschen. Das hat mit Würde zu tun, mit Anerkennung für Lebensleistung. Und nicht zu vergessen: Wenn die Kosten fürs Heim zu hoch werden, erwägen Angehörige womöglich den Verzicht auf professionelle Betreuung.

Hinfällige Menschen bis zuletzt und auf Teufel komm raus zu Hause zu lassen, um vielleicht noch bisschen was vom erhofften Erbe zu retten, trotz eigener Überlastung und Unfähigkeit zu angemessener Versorgung: Das kann – auch wenn sich viele wünschen, im Alter längstmöglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben – zu Verwahrlosung führen, zu Quälerei und Misshandlung.

Um die Entlastung zu finanzieren, ist für die Pflege nun endlich ein Zuschuss aus Steuern vorgesehen. Das ist nicht nur überfällig, weil es mehr Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich bei einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe schafft. Verlässliche Versorgung im Alter, erschwinglichere Leistungen und mehr Hilfe für pflegende Angehörige, etwa bei deren Altersversorgung, helfen auch den Jungen.

Druck der Sandwich-Generation

Vielleicht ist das momentan wichtiger als Rentenerhöhungen, die vor allem aus Beiträgen von derzeit besonders belasteten Beschäftigten und ihren Arbeitgebern aufzubringen wären.

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Wir reden über eine Sandwich-Generation, die alles gleichzeitig hinbekommen muss: eigene Eltern pflegen, Kinder großziehen, fürs eigene Alter vorsorgen. Dazu der wachsende Druck des Berufslebens, die Erwartung von immer mehr Flexibilität, Mobilität, Einsatz rund um die Uhr.

Das war schon vor der Coronakrise für viele kaum zu schaffen – es wird sich im Katzenjammer nach der Pandemie weiter verstärken. Von der Klimakrise, die mit bislang immer noch unterschätzter Wucht über die junge Generation hereinbrechen wird, gar nicht zu reden.

Die Alten haben Grund zum Jammern. Die Jungen aber vielleicht noch mehr. Ohne generationsübergreifende Solidarität und zumindest zeitweiligen Verzicht auf Besitzstände sind die Herausforderungen nicht zu bewältigen.

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